Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Die kleine Bank und wo das Hüttchen stund; Hier schlang sich tausendmal ein junger Arm Um meinen Hals mit inn'gem Wohlgefallen. O säh' ich mich, als Knaben sonder Harm, Wie einst, mit Necken durch die Haine wallen! Ihr Hügel, von der alten Sonne warm, Erscheint mir denn auf keinem von euch allen Mein Ebenbild, in jugendlicher Frische Hervorgesprungen aus dem Waldgebüsche? O komm, enthülle dich! dann sollst du mir Mit Freundlichkeit in's dunkle Auge schauen! Noch immer, guter Knabe, gleich' ich dir, Uns beiden wird nicht vor einander grauen! So komm' und laß mich unaufhaltsam hier Mich deinem reinen Busen anvertrauen! -- Umsonst, daß ich die Arme nach dir strecke, Den Boden, wo du gingst, mit Küssen decke! Hier will ich denn laut schluchzend liegen bleiben,
Fühllos, und Alles habe seinen Lauf! Mein Finger, matt, in's Gras beginnt zu schreiben: Hin ist die Lust! hab' Alles seinen Lauf! -- Da, plötzlich, hör' ich's durch die Lüfte treiben, Und ein entfernter Donner schreckt mich auf; Elastisch angespannt mein ganzes Wesen Ist von Gewitterluft wie neu genesen. Die kleine Bank und wo das Huͤttchen ſtund; Hier ſchlang ſich tauſendmal ein junger Arm Um meinen Hals mit inn'gem Wohlgefallen. O ſaͤh' ich mich, als Knaben ſonder Harm, Wie einſt, mit Necken durch die Haine wallen! Ihr Huͤgel, von der alten Sonne warm, Erſcheint mir denn auf keinem von euch allen Mein Ebenbild, in jugendlicher Friſche Hervorgeſprungen aus dem Waldgebuͤſche? O komm, enthuͤlle dich! dann ſollſt du mir Mit Freundlichkeit in's dunkle Auge ſchauen! Noch immer, guter Knabe, gleich' ich dir, Uns beiden wird nicht vor einander grauen! So komm' und laß mich unaufhaltſam hier Mich deinem reinen Buſen anvertrauen! — Umſonſt, daß ich die Arme nach dir ſtrecke, Den Boden, wo du gingſt, mit Kuͤſſen decke! Hier will ich denn laut ſchluchzend liegen bleiben,
Fuͤhllos, und Alles habe ſeinen Lauf! Mein Finger, matt, in's Gras beginnt zu ſchreiben: Hin iſt die Luſt! hab' Alles ſeinen Lauf! — Da, ploͤtzlich, hoͤr' ich's durch die Luͤfte treiben, Und ein entfernter Donner ſchreckt mich auf; Elaſtiſch angeſpannt mein ganzes Weſen Iſt von Gewitterluft wie neu geneſen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="7"> <pb facs="#f0066" n="50"/> <l>Die kleine Bank und wo das Huͤttchen ſtund;</l><lb/> <l>Erinn'rung reicht mit Laͤcheln die verbittert —</l><lb/> <l>Bis zur Betaͤubung ſuͤßen Zauberſchalen,</l><lb/> <l>So trink' ich gierig die entzuͤckten Qualen.</l><lb/> </lg> <lg n="8"> <l>Hier ſchlang ſich tauſendmal ein junger Arm</l><lb/> <l>Um meinen Hals mit inn'gem Wohlgefallen.</l><lb/> <l>O ſaͤh' ich mich, als Knaben ſonder Harm,</l><lb/> <l>Wie einſt, mit Necken durch die Haine wallen!</l><lb/> <l>Ihr Huͤgel, von der <hi rendition="#g">alten</hi> Sonne warm,</l><lb/> <l>Erſcheint mir denn auf keinem von euch allen</l><lb/> <l>Mein Ebenbild, in jugendlicher Friſche</l><lb/> <l>Hervorgeſprungen aus dem Waldgebuͤſche?</l><lb/> </lg> <lg n="9"> <l>O komm, enthuͤlle dich! dann ſollſt du mir</l><lb/> <l>Mit Freundlichkeit in's dunkle Auge ſchauen!</l><lb/> <l>Noch immer, guter Knabe, gleich' ich dir,</l><lb/> <l>Uns beiden wird nicht vor einander grauen!</l><lb/> <l>So komm' und laß mich unaufhaltſam hier</l><lb/> <l>Mich deinem reinen Buſen anvertrauen! —</l><lb/> <l>Umſonſt, daß ich die Arme nach dir ſtrecke,</l><lb/> <l>Den Boden, wo du gingſt, mit Kuͤſſen decke!</l><lb/> </lg> <lg n="10"> <l>Hier will ich denn laut ſchluchzend liegen bleiben,</l><lb/> <l>Fuͤhllos, und Alles habe ſeinen Lauf!</l><lb/> <l>Mein Finger, matt, in's Gras beginnt zu ſchreiben:</l><lb/> <l>Hin iſt die Luſt! hab' Alles ſeinen Lauf! —</l><lb/> <l>Da, ploͤtzlich, hoͤr' ich's durch die Luͤfte treiben,</l><lb/> <l>Und ein entfernter Donner ſchreckt mich auf;</l><lb/> <l>Elaſtiſch angeſpannt mein ganzes Weſen</l><lb/> <l>Iſt von Gewitterluft wie neu geneſen.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [50/0066]
Die kleine Bank und wo das Huͤttchen ſtund;
Erinn'rung reicht mit Laͤcheln die verbittert —
Bis zur Betaͤubung ſuͤßen Zauberſchalen,
So trink' ich gierig die entzuͤckten Qualen.
Hier ſchlang ſich tauſendmal ein junger Arm
Um meinen Hals mit inn'gem Wohlgefallen.
O ſaͤh' ich mich, als Knaben ſonder Harm,
Wie einſt, mit Necken durch die Haine wallen!
Ihr Huͤgel, von der alten Sonne warm,
Erſcheint mir denn auf keinem von euch allen
Mein Ebenbild, in jugendlicher Friſche
Hervorgeſprungen aus dem Waldgebuͤſche?
O komm, enthuͤlle dich! dann ſollſt du mir
Mit Freundlichkeit in's dunkle Auge ſchauen!
Noch immer, guter Knabe, gleich' ich dir,
Uns beiden wird nicht vor einander grauen!
So komm' und laß mich unaufhaltſam hier
Mich deinem reinen Buſen anvertrauen! —
Umſonſt, daß ich die Arme nach dir ſtrecke,
Den Boden, wo du gingſt, mit Kuͤſſen decke!
Hier will ich denn laut ſchluchzend liegen bleiben,
Fuͤhllos, und Alles habe ſeinen Lauf!
Mein Finger, matt, in's Gras beginnt zu ſchreiben:
Hin iſt die Luſt! hab' Alles ſeinen Lauf! —
Da, ploͤtzlich, hoͤr' ich's durch die Luͤfte treiben,
Und ein entfernter Donner ſchreckt mich auf;
Elaſtiſch angeſpannt mein ganzes Weſen
Iſt von Gewitterluft wie neu geneſen.
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