Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Madame Mozart konnte oder wollte von der Rich¬
tung, die sein leicht bewegliches Gefühl hier mehr und
mehr nahm, auf keine Weise ablenken, und leider
konnte sie ihm nur von ganzem Herzen Recht geben,
indem er mit steigendem Eifer fortfuhr: "Ward ich
denn je nur meiner Kinder ein volles Stündchen
froh? Wie halb ist das bei mir, und immer en
passant! Die Buben einmal rittlings auf das Knie
gesetzt, mich zwei Minuten mit ihnen durch's Zimmer
gejagt, und damit basta, wieder abgeschüttelt! Es
denkt mir nicht, daß wir uns auf dem Lande zu¬
sammen einen schönen Tag gemacht hätten, an Ostern
oder Pfingsten, in einem Garten oder Wäldel, auf
der Wiese, wir unter uns allein, bei Kinderscherz
und Blumenspiel, um selber einmal wieder Kind zu
werden. Allmittelst geht und rennt und saust das
Leben hin -- Herr Gott! bedenkt man's recht, es
möcht' einem der Angstschweiß ausbrechen!"

Mit der so eben ausgesprochenen Selbstanklage
war unerwartet ein sehr ernsthaftes Gespräch in aller
Traulichkeit und Güte zwischen beiden eröffnet. Wir
theilen dasselbe nicht ausführlich mit, und werfen
lieber einen allgemeinen Blick auf die Verhältnisse,
die theils ausdrücklich und unmittelbar den Stoff,

Madame Mozart konnte oder wollte von der Rich¬
tung, die ſein leicht bewegliches Gefühl hier mehr und
mehr nahm, auf keine Weiſe ablenken, und leider
konnte ſie ihm nur von ganzem Herzen Recht geben,
indem er mit ſteigendem Eifer fortfuhr: „Ward ich
denn je nur meiner Kinder ein volles Stündchen
froh? Wie halb iſt das bei mir, und immer en
paſſant! Die Buben einmal rittlings auf das Knie
geſetzt, mich zwei Minuten mit ihnen durch's Zimmer
gejagt, und damit baſta, wieder abgeſchüttelt! Es
denkt mir nicht, daß wir uns auf dem Lande zu¬
ſammen einen ſchönen Tag gemacht hätten, an Oſtern
oder Pfingſten, in einem Garten oder Wäldel, auf
der Wieſe, wir unter uns allein, bei Kinderſcherz
und Blumenſpiel, um ſelber einmal wieder Kind zu
werden. Allmittelſt geht und rennt und ſauſt das
Leben hin — Herr Gott! bedenkt man's recht, es
möcht' einem der Angſtſchweiß ausbrechen!“

Mit der ſo eben ausgeſprochenen Selbſtanklage
war unerwartet ein ſehr ernſthaftes Geſpräch in aller
Traulichkeit und Güte zwiſchen beiden eröffnet. Wir
theilen daſſelbe nicht ausführlich mit, und werfen
lieber einen allgemeinen Blick auf die Verhältniſſe,
die theils ausdrücklich und unmittelbar den Stoff,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0021" n="9"/>
      <p>Madame Mozart konnte oder wollte von der Rich¬<lb/>
tung, die &#x017F;ein leicht bewegliches Gefühl hier mehr und<lb/>
mehr nahm, auf keine Wei&#x017F;e ablenken, und leider<lb/>
konnte &#x017F;ie ihm nur von ganzem Herzen Recht geben,<lb/>
indem er mit &#x017F;teigendem Eifer fortfuhr: &#x201E;Ward ich<lb/>
denn je nur meiner Kinder ein volles Stündchen<lb/>
froh? Wie halb i&#x017F;t das bei mir, und immer en<lb/>
pa&#x017F;&#x017F;ant! Die Buben einmal rittlings auf das Knie<lb/>
ge&#x017F;etzt, mich zwei Minuten mit ihnen durch's Zimmer<lb/>
gejagt, und damit ba&#x017F;ta, wieder abge&#x017F;chüttelt! Es<lb/>
denkt mir nicht, daß wir uns auf dem Lande zu¬<lb/>
&#x017F;ammen einen &#x017F;chönen Tag gemacht hätten, an O&#x017F;tern<lb/>
oder Pfing&#x017F;ten, in einem Garten oder Wäldel, auf<lb/>
der Wie&#x017F;e, wir unter uns allein, bei Kinder&#x017F;cherz<lb/>
und Blumen&#x017F;piel, um &#x017F;elber einmal wieder Kind zu<lb/>
werden. Allmittel&#x017F;t geht und rennt und &#x017F;au&#x017F;t das<lb/>
Leben hin &#x2014; Herr Gott! bedenkt man's recht, es<lb/>
möcht' einem der Ang&#x017F;t&#x017F;chweiß ausbrechen!&#x201C;</p><lb/>
      <p>Mit der &#x017F;o eben ausge&#x017F;prochenen Selb&#x017F;tanklage<lb/>
war unerwartet ein &#x017F;ehr ern&#x017F;thaftes Ge&#x017F;präch in aller<lb/>
Traulichkeit und Güte zwi&#x017F;chen beiden eröffnet. Wir<lb/>
theilen da&#x017F;&#x017F;elbe nicht ausführlich mit, und werfen<lb/>
lieber einen allgemeinen Blick auf die Verhältni&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
die theils ausdrücklich und unmittelbar den Stoff,<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0021] Madame Mozart konnte oder wollte von der Rich¬ tung, die ſein leicht bewegliches Gefühl hier mehr und mehr nahm, auf keine Weiſe ablenken, und leider konnte ſie ihm nur von ganzem Herzen Recht geben, indem er mit ſteigendem Eifer fortfuhr: „Ward ich denn je nur meiner Kinder ein volles Stündchen froh? Wie halb iſt das bei mir, und immer en paſſant! Die Buben einmal rittlings auf das Knie geſetzt, mich zwei Minuten mit ihnen durch's Zimmer gejagt, und damit baſta, wieder abgeſchüttelt! Es denkt mir nicht, daß wir uns auf dem Lande zu¬ ſammen einen ſchönen Tag gemacht hätten, an Oſtern oder Pfingſten, in einem Garten oder Wäldel, auf der Wieſe, wir unter uns allein, bei Kinderſcherz und Blumenſpiel, um ſelber einmal wieder Kind zu werden. Allmittelſt geht und rennt und ſauſt das Leben hin — Herr Gott! bedenkt man's recht, es möcht' einem der Angſtſchweiß ausbrechen!“ Mit der ſo eben ausgeſprochenen Selbſtanklage war unerwartet ein ſehr ernſthaftes Geſpräch in aller Traulichkeit und Güte zwiſchen beiden eröffnet. Wir theilen daſſelbe nicht ausführlich mit, und werfen lieber einen allgemeinen Blick auf die Verhältniſſe, die theils ausdrücklich und unmittelbar den Stoff,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856/21
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856/21>, abgerufen am 21.11.2024.