Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 263–362. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.steht? Sie kennt wahrhaftig ihren alten Liebling in seinem neuen Flor und Früchteschmuck nicht mehr! Bestürzt, ungläubig sah das Fräulein bald den Baum, bald ihren Oheim an. Es ist nicht möglich, sagte sie, ich weiß ja wohl, er war nicht mehr zu retten. Du meinst also, versetzte jener, man habe dir nur irgend ungefähr so ein Ersatzstück ausgesucht? Das wär' was Rechts! Nein, sieh nur her -- ich muß es machen, wie's in der Komödie der Brauch ist, wo sich die todtgeglaubten Söhne oder Brüder durch ihre Muttermäler und Narben legitimiren. Schau diesen Auswuchs da! und hier die Schrunde übers Kreuz, du mußt sie hundertmal bemerkt haben. Nun, ist er's oder ist er's nicht? -- Sie konnte nicht mehr zweifeln; ihr Staunen, ihre Rührung und Freude war unbeschreiblich. Es knüpfte sich an diesen Baum für die Familie das mehr als hundertjährige Gedächtniß einer ausgezeichneten Frau, welche wohl verdient, daß wir ihrer mit Wenigem hier gedenken. Des Oheims Großvater, durch seine diplomatischen Verdienste im Wiener Cabinet rühmlich bekannt, von zwei Regenten nach einander mit gleichem Vertrauen beehrt, war innerhalb seines eigenen Hauses nicht minder glücklich im Besitz einer vortrefflichen Gemahlin, Renate Leonore. Ihr wiederholter Aufenthalt in Frankreich brachte sie vielfach mit dem glänzen- steht? Sie kennt wahrhaftig ihren alten Liebling in seinem neuen Flor und Früchteschmuck nicht mehr! Bestürzt, ungläubig sah das Fräulein bald den Baum, bald ihren Oheim an. Es ist nicht möglich, sagte sie, ich weiß ja wohl, er war nicht mehr zu retten. Du meinst also, versetzte jener, man habe dir nur irgend ungefähr so ein Ersatzstück ausgesucht? Das wär' was Rechts! Nein, sieh nur her — ich muß es machen, wie's in der Komödie der Brauch ist, wo sich die todtgeglaubten Söhne oder Brüder durch ihre Muttermäler und Narben legitimiren. Schau diesen Auswuchs da! und hier die Schrunde übers Kreuz, du mußt sie hundertmal bemerkt haben. Nun, ist er's oder ist er's nicht? — Sie konnte nicht mehr zweifeln; ihr Staunen, ihre Rührung und Freude war unbeschreiblich. Es knüpfte sich an diesen Baum für die Familie das mehr als hundertjährige Gedächtniß einer ausgezeichneten Frau, welche wohl verdient, daß wir ihrer mit Wenigem hier gedenken. Des Oheims Großvater, durch seine diplomatischen Verdienste im Wiener Cabinet rühmlich bekannt, von zwei Regenten nach einander mit gleichem Vertrauen beehrt, war innerhalb seines eigenen Hauses nicht minder glücklich im Besitz einer vortrefflichen Gemahlin, Renate Leonore. Ihr wiederholter Aufenthalt in Frankreich brachte sie vielfach mit dem glänzen- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div> <p><pb facs="#f0057"/> steht? Sie kennt wahrhaftig ihren alten Liebling in seinem neuen Flor und Früchteschmuck nicht mehr!</p><lb/> <p>Bestürzt, ungläubig sah das Fräulein bald den Baum, bald ihren Oheim an. Es ist nicht möglich, sagte sie, ich weiß ja wohl, er war nicht mehr zu retten.</p><lb/> <p>Du meinst also, versetzte jener, man habe dir nur irgend ungefähr so ein Ersatzstück ausgesucht? Das wär' was Rechts! Nein, sieh nur her — ich muß es machen, wie's in der Komödie der Brauch ist, wo sich die todtgeglaubten Söhne oder Brüder durch ihre Muttermäler und Narben legitimiren. Schau diesen Auswuchs da! und hier die Schrunde übers Kreuz, du mußt sie hundertmal bemerkt haben. Nun, ist er's oder ist er's nicht? — Sie konnte nicht mehr zweifeln; ihr Staunen, ihre Rührung und Freude war unbeschreiblich.</p><lb/> <p>Es knüpfte sich an diesen Baum für die Familie das mehr als hundertjährige Gedächtniß einer ausgezeichneten Frau, welche wohl verdient, daß wir ihrer mit Wenigem hier gedenken.</p><lb/> <p>Des Oheims Großvater, durch seine diplomatischen Verdienste im Wiener Cabinet rühmlich bekannt, von zwei Regenten nach einander mit gleichem Vertrauen beehrt, war innerhalb seines eigenen Hauses nicht minder glücklich im Besitz einer vortrefflichen Gemahlin, Renate Leonore. Ihr wiederholter Aufenthalt in Frankreich brachte sie vielfach mit dem glänzen-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0057]
steht? Sie kennt wahrhaftig ihren alten Liebling in seinem neuen Flor und Früchteschmuck nicht mehr!
Bestürzt, ungläubig sah das Fräulein bald den Baum, bald ihren Oheim an. Es ist nicht möglich, sagte sie, ich weiß ja wohl, er war nicht mehr zu retten.
Du meinst also, versetzte jener, man habe dir nur irgend ungefähr so ein Ersatzstück ausgesucht? Das wär' was Rechts! Nein, sieh nur her — ich muß es machen, wie's in der Komödie der Brauch ist, wo sich die todtgeglaubten Söhne oder Brüder durch ihre Muttermäler und Narben legitimiren. Schau diesen Auswuchs da! und hier die Schrunde übers Kreuz, du mußt sie hundertmal bemerkt haben. Nun, ist er's oder ist er's nicht? — Sie konnte nicht mehr zweifeln; ihr Staunen, ihre Rührung und Freude war unbeschreiblich.
Es knüpfte sich an diesen Baum für die Familie das mehr als hundertjährige Gedächtniß einer ausgezeichneten Frau, welche wohl verdient, daß wir ihrer mit Wenigem hier gedenken.
Des Oheims Großvater, durch seine diplomatischen Verdienste im Wiener Cabinet rühmlich bekannt, von zwei Regenten nach einander mit gleichem Vertrauen beehrt, war innerhalb seines eigenen Hauses nicht minder glücklich im Besitz einer vortrefflichen Gemahlin, Renate Leonore. Ihr wiederholter Aufenthalt in Frankreich brachte sie vielfach mit dem glänzen-
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