Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 263–362. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.mors, und in den Erzählungen, die beides vereinigen, die vollendete Anmuth des echt epischen Vortrags, dies Alles ist lange noch nicht nach Gebühr in weiteren Kreisen erkannt und gewürdigt worden. Theils die Stoffe, die vorwiegend der engeren Heimath des Dichters angehören, theils seine Abneigung gegen alle Effekthascherei und die Lust, sich ins Heimlichste und Persönlichste recht eigentlich zu verstecken, machen es dem größeren Publikum schwer, dieser reich begabten Natur gerecht zu werden. Wir können hier unsere Ueberzeugung, daß wir in Mörike einen Dichter von unvergänglicher Bedeutung besitzen, nur einfach aussprechen, glauben aber durch die mitgetheilte Novelle, die ihn in seiner vollen Meisterschaft zeigt, einer näheren Begründung überhoben zu sein. Denn selbst in einer Sammlung von novelas ejemplares im strengsten Sinn der Musternovelle, wäre dieser Dichtung eine der obersten Stellen anzuweisen. "Mozart auf der Reise nach Prag" ist keine musikalische, keine sogenannte Kunstnovelle (gleichwie auch "Maler Nolten" kein Kunstroman ist). Wer nur so viel Empfänglichkeit für die Tonkunst hat, um, ohne alle und jede Musikkennerschaft, den Don Juan auf sich wirken zu lassen, wird sich auch in den paar ausschließlich musikalischen Abschnitten der Erzählung ganz zu Hause finden. Denn auch in diesen stört nichts Technisches den Genuß: der Componist erzählt von seinen Eingebungen nur eben so, wie auch ein Dichter vom Funde eines Motivs erzählen könnte. Das Ganze aber: wie Mozart zur ersten Aufführung seines Don Juan nach Prag reisend unterwegs ein Abenteuer besteht, das nach kurzer Verwicklung die schönste Lösung findet, indem er eine beabsichtigte Ueberraschung verdirbt und zugleich eine doppelt freudige bereitet; die kindliche Unbewußtheit im Un-schick, die nur ihm, aber ihm auch unbedenklich, zuzutrauen ist, die eben so kindliche Sicherheit des Vertrauens auf Geist und edle Sitte, eines Vertrauens, das denn auch reichlich belohnt wird; die porträtähnlich hervortretende Eigenart des Mannes, dem in eigenartigen Redewendungen die man um keinen Preis missen möchte, der Dichter selbst mitunter Gesellschaft leistet; der Glückstag, den er seinem Helden gönnt, welcher den nie verwirklichten Glückstraum eines so kurzen Lebens ein mors, und in den Erzählungen, die beides vereinigen, die vollendete Anmuth des echt epischen Vortrags, dies Alles ist lange noch nicht nach Gebühr in weiteren Kreisen erkannt und gewürdigt worden. Theils die Stoffe, die vorwiegend der engeren Heimath des Dichters angehören, theils seine Abneigung gegen alle Effekthascherei und die Lust, sich ins Heimlichste und Persönlichste recht eigentlich zu verstecken, machen es dem größeren Publikum schwer, dieser reich begabten Natur gerecht zu werden. Wir können hier unsere Ueberzeugung, daß wir in Mörike einen Dichter von unvergänglicher Bedeutung besitzen, nur einfach aussprechen, glauben aber durch die mitgetheilte Novelle, die ihn in seiner vollen Meisterschaft zeigt, einer näheren Begründung überhoben zu sein. Denn selbst in einer Sammlung von novelas ejemplares im strengsten Sinn der Musternovelle, wäre dieser Dichtung eine der obersten Stellen anzuweisen. „Mozart auf der Reise nach Prag“ ist keine musikalische, keine sogenannte Kunstnovelle (gleichwie auch „Maler Nolten“ kein Kunstroman ist). Wer nur so viel Empfänglichkeit für die Tonkunst hat, um, ohne alle und jede Musikkennerschaft, den Don Juan auf sich wirken zu lassen, wird sich auch in den paar ausschließlich musikalischen Abschnitten der Erzählung ganz zu Hause finden. Denn auch in diesen stört nichts Technisches den Genuß: der Componist erzählt von seinen Eingebungen nur eben so, wie auch ein Dichter vom Funde eines Motivs erzählen könnte. Das Ganze aber: wie Mozart zur ersten Aufführung seines Don Juan nach Prag reisend unterwegs ein Abenteuer besteht, das nach kurzer Verwicklung die schönste Lösung findet, indem er eine beabsichtigte Ueberraschung verdirbt und zugleich eine doppelt freudige bereitet; die kindliche Unbewußtheit im Un-schick, die nur ihm, aber ihm auch unbedenklich, zuzutrauen ist, die eben so kindliche Sicherheit des Vertrauens auf Geist und edle Sitte, eines Vertrauens, das denn auch reichlich belohnt wird; die porträtähnlich hervortretende Eigenart des Mannes, dem in eigenartigen Redewendungen die man um keinen Preis missen möchte, der Dichter selbst mitunter Gesellschaft leistet; der Glückstag, den er seinem Helden gönnt, welcher den nie verwirklichten Glückstraum eines so kurzen Lebens ein <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <p><pb facs="#f0006"/> mors, und in den Erzählungen, die beides vereinigen, die vollendete Anmuth des echt epischen Vortrags, dies Alles ist lange noch nicht nach Gebühr in weiteren Kreisen erkannt und gewürdigt worden. Theils die Stoffe, die vorwiegend der engeren Heimath des Dichters angehören, theils seine Abneigung gegen alle Effekthascherei und die Lust, sich ins Heimlichste und Persönlichste recht eigentlich zu verstecken, machen es dem größeren Publikum schwer, dieser reich begabten Natur gerecht zu werden. Wir können hier unsere Ueberzeugung, daß wir in Mörike einen Dichter von unvergänglicher Bedeutung besitzen, nur einfach aussprechen, glauben aber durch die mitgetheilte Novelle, die ihn in seiner vollen Meisterschaft zeigt, einer näheren Begründung überhoben zu sein. Denn selbst in einer Sammlung von novelas ejemplares im strengsten Sinn der Musternovelle, wäre dieser Dichtung eine der obersten Stellen anzuweisen. „Mozart auf der Reise nach Prag“ ist keine musikalische, keine sogenannte Kunstnovelle (gleichwie auch „Maler Nolten“ kein Kunstroman ist). Wer nur so viel Empfänglichkeit für die Tonkunst hat, um, ohne alle und jede Musikkennerschaft, den Don Juan auf sich wirken zu lassen, wird sich auch in den paar ausschließlich musikalischen Abschnitten der Erzählung ganz zu Hause finden. Denn auch in diesen stört nichts Technisches den Genuß: der Componist erzählt von seinen Eingebungen nur eben so, wie auch ein Dichter vom Funde eines Motivs erzählen könnte. Das Ganze aber: wie Mozart zur ersten Aufführung seines Don Juan nach Prag reisend unterwegs ein Abenteuer besteht, das nach kurzer Verwicklung die schönste Lösung findet, indem er eine beabsichtigte Ueberraschung verdirbt und zugleich eine doppelt freudige bereitet; die kindliche Unbewußtheit im Un-schick, die nur ihm, aber ihm auch unbedenklich, zuzutrauen ist, die eben so kindliche Sicherheit des Vertrauens auf Geist und edle Sitte, eines Vertrauens, das denn auch reichlich belohnt wird; die porträtähnlich hervortretende Eigenart des Mannes, dem in eigenartigen Redewendungen die man um keinen Preis missen möchte, der Dichter selbst mitunter Gesellschaft leistet; der Glückstag, den er seinem Helden gönnt, welcher den nie verwirklichten Glückstraum eines so kurzen Lebens ein<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0006]
mors, und in den Erzählungen, die beides vereinigen, die vollendete Anmuth des echt epischen Vortrags, dies Alles ist lange noch nicht nach Gebühr in weiteren Kreisen erkannt und gewürdigt worden. Theils die Stoffe, die vorwiegend der engeren Heimath des Dichters angehören, theils seine Abneigung gegen alle Effekthascherei und die Lust, sich ins Heimlichste und Persönlichste recht eigentlich zu verstecken, machen es dem größeren Publikum schwer, dieser reich begabten Natur gerecht zu werden. Wir können hier unsere Ueberzeugung, daß wir in Mörike einen Dichter von unvergänglicher Bedeutung besitzen, nur einfach aussprechen, glauben aber durch die mitgetheilte Novelle, die ihn in seiner vollen Meisterschaft zeigt, einer näheren Begründung überhoben zu sein. Denn selbst in einer Sammlung von novelas ejemplares im strengsten Sinn der Musternovelle, wäre dieser Dichtung eine der obersten Stellen anzuweisen. „Mozart auf der Reise nach Prag“ ist keine musikalische, keine sogenannte Kunstnovelle (gleichwie auch „Maler Nolten“ kein Kunstroman ist). Wer nur so viel Empfänglichkeit für die Tonkunst hat, um, ohne alle und jede Musikkennerschaft, den Don Juan auf sich wirken zu lassen, wird sich auch in den paar ausschließlich musikalischen Abschnitten der Erzählung ganz zu Hause finden. Denn auch in diesen stört nichts Technisches den Genuß: der Componist erzählt von seinen Eingebungen nur eben so, wie auch ein Dichter vom Funde eines Motivs erzählen könnte. Das Ganze aber: wie Mozart zur ersten Aufführung seines Don Juan nach Prag reisend unterwegs ein Abenteuer besteht, das nach kurzer Verwicklung die schönste Lösung findet, indem er eine beabsichtigte Ueberraschung verdirbt und zugleich eine doppelt freudige bereitet; die kindliche Unbewußtheit im Un-schick, die nur ihm, aber ihm auch unbedenklich, zuzutrauen ist, die eben so kindliche Sicherheit des Vertrauens auf Geist und edle Sitte, eines Vertrauens, das denn auch reichlich belohnt wird; die porträtähnlich hervortretende Eigenart des Mannes, dem in eigenartigen Redewendungen die man um keinen Preis missen möchte, der Dichter selbst mitunter Gesellschaft leistet; der Glückstag, den er seinem Helden gönnt, welcher den nie verwirklichten Glückstraum eines so kurzen Lebens ein
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