Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 263–362. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Gleich wird er sich in der Zerstreuung eine herunter holen. Vielmehr, rief Mozart, er wird gleich diesen Schelmenmund mit tausend Küssen schließen! Damit erwischte er sie am Arm und schwur, sie nicht mehr loszulassen, bis sie ihm ihre Lippen reiche, was sie denn auch ohne vieles Sträuben that. Erkläre uns doch, Max, sagte die Gräfin, was unter dem Bilde hier steht Es sind Verse aus einer berühmten Horazischen Ode. Der Dichter Ramler in Berlin hat uns das Stück vor kurzen unübertrefflich deutsch gegeben. Es ist vom höchsten Schwung. Wie prächtig eben diese eine Stelle: -- -- -- "hier, der auf der Schulter Keinen unthätigen Bogen führet! Der seines Delos grünenden Mutterhain Und Patara's beschatteten Strand bewohnt, Der seines Hauptes goldne Locken In die kastalischen Fluthen tauchet." Schön! wirklich schön! sagte der Graf, nur hie und da bedarf es der Erläuterung. So z. B. "der keinen unthätigen Bogen führet", hieße natürlich schlechtweg: der allezeit einer der fleißigsten Geiger gewesen. Doch, was ich sagen wollte: bester Mozart, Sie säen Unkraut zwischen zwei zärtliche Herzen. Gleich wird er sich in der Zerstreuung eine herunter holen. Vielmehr, rief Mozart, er wird gleich diesen Schelmenmund mit tausend Küssen schließen! Damit erwischte er sie am Arm und schwur, sie nicht mehr loszulassen, bis sie ihm ihre Lippen reiche, was sie denn auch ohne vieles Sträuben that. Erkläre uns doch, Max, sagte die Gräfin, was unter dem Bilde hier steht Es sind Verse aus einer berühmten Horazischen Ode. Der Dichter Ramler in Berlin hat uns das Stück vor kurzen unübertrefflich deutsch gegeben. Es ist vom höchsten Schwung. Wie prächtig eben diese eine Stelle: — — — „hier, der auf der Schulter Keinen unthätigen Bogen führet! Der seines Delos grünenden Mutterhain Und Patara's beschatteten Strand bewohnt, Der seines Hauptes goldne Locken In die kastalischen Fluthen tauchet.“ Schön! wirklich schön! sagte der Graf, nur hie und da bedarf es der Erläuterung. So z. B. „der keinen unthätigen Bogen führet“, hieße natürlich schlechtweg: der allezeit einer der fleißigsten Geiger gewesen. Doch, was ich sagen wollte: bester Mozart, Sie säen Unkraut zwischen zwei zärtliche Herzen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div> <p><pb facs="#f0064"/> Gleich wird er sich in der Zerstreuung eine herunter holen.</p><lb/> <p>Vielmehr, rief Mozart, er wird gleich diesen Schelmenmund mit tausend Küssen schließen! Damit erwischte er sie am Arm und schwur, sie nicht mehr loszulassen, bis sie ihm ihre Lippen reiche, was sie denn auch ohne vieles Sträuben that.</p><lb/> <p>Erkläre uns doch, Max, sagte die Gräfin, was unter dem Bilde hier steht</p><lb/> <p>Es sind Verse aus einer berühmten Horazischen Ode. Der Dichter Ramler in Berlin hat uns das Stück vor kurzen unübertrefflich deutsch gegeben. Es ist vom höchsten Schwung. Wie prächtig eben diese eine Stelle:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>— — — „hier, der auf der Schulter</l> <l>Keinen unthätigen Bogen führet!</l> <lg n="1"> <l>Der seines Delos grünenden Mutterhain</l><lb/> <l>Und Patara's beschatteten Strand bewohnt,</l><lb/> <l>Der seines Hauptes goldne Locken</l><lb/> <l>In die kastalischen Fluthen tauchet.“</l><lb/> </lg> </lg> <p>Schön! wirklich schön! sagte der Graf, nur hie und da bedarf es der Erläuterung. So z. B. „der keinen unthätigen Bogen führet“, hieße natürlich schlechtweg: der allezeit einer der fleißigsten Geiger gewesen. Doch, was ich sagen wollte: bester Mozart, Sie säen Unkraut zwischen zwei zärtliche Herzen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0064]
Gleich wird er sich in der Zerstreuung eine herunter holen.
Vielmehr, rief Mozart, er wird gleich diesen Schelmenmund mit tausend Küssen schließen! Damit erwischte er sie am Arm und schwur, sie nicht mehr loszulassen, bis sie ihm ihre Lippen reiche, was sie denn auch ohne vieles Sträuben that.
Erkläre uns doch, Max, sagte die Gräfin, was unter dem Bilde hier steht
Es sind Verse aus einer berühmten Horazischen Ode. Der Dichter Ramler in Berlin hat uns das Stück vor kurzen unübertrefflich deutsch gegeben. Es ist vom höchsten Schwung. Wie prächtig eben diese eine Stelle:
— — — „hier, der auf der Schulter Keinen unthätigen Bogen führet! Der seines Delos grünenden Mutterhain
Und Patara's beschatteten Strand bewohnt,
Der seines Hauptes goldne Locken
In die kastalischen Fluthen tauchet.“
Schön! wirklich schön! sagte der Graf, nur hie und da bedarf es der Erläuterung. So z. B. „der keinen unthätigen Bogen führet“, hieße natürlich schlechtweg: der allezeit einer der fleißigsten Geiger gewesen. Doch, was ich sagen wollte: bester Mozart, Sie säen Unkraut zwischen zwei zärtliche Herzen.
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