Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

aufging, welches ihm seinen gegenwärtigen Zustand
wunderbar zu erklären schien. Er wiederholte sich die
Verse seines Freundes, und konnte zulezt nicht umhin,
sie laut für sich zu singen.

In dieser Winterfrühe,
Wie ist mir doch zu Muth?
O Morgenroth! ich glühe
Von deinem Jugendblut.
Es glüht der alte Felsen,
Die Wälder Funken sprühn;
Berauschte Nebel wälzen
Sich in dem Thale hin.
Wie von der Höhe nieder
Der reinste Himmel flimmt,
Der nun um Rosenglieder
Entzückter Engel schwimmt!
Und Wunderkräfte spielen
Mir fröhlich durch die Brust,
In taumelnden Gefühlen
Kaum bin ich mir bewußt.
Mit thatenlust'ger Eile
Erhebt sich Geist und Sinn,
Und flügelt gold'ne Pfeile
Durch alle Ferne hin.
Wo denk' ich hinzuschweifen?
Faßt mich ein Zauberschwarm?
Will ich die Welt ergreifen
Mit diesem jungen Arm?

aufging, welches ihm ſeinen gegenwärtigen Zuſtand
wunderbar zu erklären ſchien. Er wiederholte ſich die
Verſe ſeines Freundes, und konnte zulezt nicht umhin,
ſie laut für ſich zu ſingen.

In dieſer Winterfrühe,
Wie iſt mir doch zu Muth?
O Morgenroth! ich glühe
Von deinem Jugendblut.
Es glüht der alte Felſen,
Die Wälder Funken ſprühn;
Berauſchte Nebel wälzen
Sich in dem Thale hin.
Wie von der Höhe nieder
Der reinſte Himmel flimmt,
Der nun um Roſenglieder
Entzückter Engel ſchwimmt!
Und Wunderkräfte ſpielen
Mir fröhlich durch die Bruſt,
In taumelnden Gefühlen
Kaum bin ich mir bewußt.
Mit thatenluſt’ger Eile
Erhebt ſich Geiſt und Sinn,
Und flügelt gold’ne Pfeile
Durch alle Ferne hin.
Wo denk’ ich hinzuſchweifen?
Faßt mich ein Zauberſchwarm?
Will ich die Welt ergreifen
Mit dieſem jungen Arm?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0117" n="109"/>
aufging, welches ihm &#x017F;einen gegenwärtigen Zu&#x017F;tand<lb/>
wunderbar zu erklären &#x017F;chien. Er wiederholte &#x017F;ich die<lb/>
Ver&#x017F;e &#x017F;eines Freundes, und konnte zulezt nicht umhin,<lb/>
&#x017F;ie laut für &#x017F;ich zu &#x017F;ingen.</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>In die&#x017F;er Winterfrühe,</l><lb/>
              <l>Wie i&#x017F;t mir doch zu Muth?</l><lb/>
              <l>O Morgenroth! ich glühe</l><lb/>
              <l>Von deinem Jugendblut.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Es glüht der alte Fel&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Die Wälder Funken &#x017F;prühn;</l><lb/>
              <l>Berau&#x017F;chte Nebel wälzen</l><lb/>
              <l>Sich in dem Thale hin.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Wie von der Höhe nieder</l><lb/>
              <l>Der rein&#x017F;te Himmel flimmt,</l><lb/>
              <l>Der nun um Ro&#x017F;englieder</l><lb/>
              <l>Entzückter Engel &#x017F;chwimmt!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Und Wunderkräfte &#x017F;pielen</l><lb/>
              <l>Mir fröhlich durch die Bru&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>In taumelnden Gefühlen</l><lb/>
              <l>Kaum bin ich mir bewußt.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Mit thatenlu&#x017F;t&#x2019;ger Eile</l><lb/>
              <l>Erhebt &#x017F;ich Gei&#x017F;t und Sinn,</l><lb/>
              <l>Und flügelt gold&#x2019;ne Pfeile</l><lb/>
              <l>Durch alle Ferne hin.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Wo denk&#x2019; ich hinzu&#x017F;chweifen?</l><lb/>
              <l>Faßt mich ein Zauber&#x017F;chwarm?</l><lb/>
              <l>Will ich die Welt ergreifen</l><lb/>
              <l>Mit die&#x017F;em jungen Arm?</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0117] aufging, welches ihm ſeinen gegenwärtigen Zuſtand wunderbar zu erklären ſchien. Er wiederholte ſich die Verſe ſeines Freundes, und konnte zulezt nicht umhin, ſie laut für ſich zu ſingen. In dieſer Winterfrühe, Wie iſt mir doch zu Muth? O Morgenroth! ich glühe Von deinem Jugendblut. Es glüht der alte Felſen, Die Wälder Funken ſprühn; Berauſchte Nebel wälzen Sich in dem Thale hin. Wie von der Höhe nieder Der reinſte Himmel flimmt, Der nun um Roſenglieder Entzückter Engel ſchwimmt! Und Wunderkräfte ſpielen Mir fröhlich durch die Bruſt, In taumelnden Gefühlen Kaum bin ich mir bewußt. Mit thatenluſt’ger Eile Erhebt ſich Geiſt und Sinn, Und flügelt gold’ne Pfeile Durch alle Ferne hin. Wo denk’ ich hinzuſchweifen? Faßt mich ein Zauberſchwarm? Will ich die Welt ergreifen Mit dieſem jungen Arm?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/117
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/117>, abgerufen am 20.05.2024.