danke wollte haften; Mitternacht war vorüber; sollte sie sich niederlegen, schlafen? Es wäre unmöglich ge- wesen, so bang', so heiß und unbehaglich wie ihr war.
Ich will Emilien wecken, fiel ihr endlich ein, das Mädchen soll mit mir plaudern. Sie bedachte sich um so weniger, die Gesellschaft des Kammermädchens zu suchen, da zu ihrer Verwunderung wirklich noch der Schein eines Lichtes in dem Erker zu sehen war, wo jene schlief. Sie ging leise über den Gang, öffnete das Kabinet und fand das Mädchen fest eingeschlafen im Bette, daneben das Licht, ausflammend in den Leuchter hinabgesunken. Eine offene Brieftasche und eine Anzahl zerstreuter Blätter lag unter den Händen der Schlafenden. Auf einen Anruf erwachte diese, hef- tig erschrocken, und ihre erste Bewegung war, schnell Tasche und Papiere zu verbergen, so daß Constanze dadurch aufmerksam gemacht, gelassen fragte: was sie hier ge- lesen?
"Ach!" war die bebende Antwort, "zürnen Sie nicht, gnädige Frau! es sind alte Briefe, die ich nach langer Zeit einmal wieder vornahm, und darüber muß der Schlaf mich überrascht haben -- wie viel Uhr ist es doch?"
"Wie viel?" sagte Constanze, sie scharf anse- hend, "ich denke es ist halb -- gelogen, was du da sprichst. Laß doch sehen!"
"O bitte, liebste, süße gnädige Frau! ich habe ja gewiß nichts Unrechtes -- aber -- erlassen Sie's mir!"
danke wollte haften; Mitternacht war vorüber; ſollte ſie ſich niederlegen, ſchlafen? Es wäre unmöglich ge- weſen, ſo bang’, ſo heiß und unbehaglich wie ihr war.
Ich will Emilien wecken, fiel ihr endlich ein, das Mädchen ſoll mit mir plaudern. Sie bedachte ſich um ſo weniger, die Geſellſchaft des Kammermädchens zu ſuchen, da zu ihrer Verwunderung wirklich noch der Schein eines Lichtes in dem Erker zu ſehen war, wo jene ſchlief. Sie ging leiſe über den Gang, öffnete das Kabinet und fand das Mädchen feſt eingeſchlafen im Bette, daneben das Licht, ausflammend in den Leuchter hinabgeſunken. Eine offene Brieftaſche und eine Anzahl zerſtreuter Blätter lag unter den Händen der Schlafenden. Auf einen Anruf erwachte dieſe, hef- tig erſchrocken, und ihre erſte Bewegung war, ſchnell Taſche und Papiere zu verbergen, ſo daß Conſtanze dadurch aufmerkſam gemacht, gelaſſen fragte: was ſie hier ge- leſen?
„Ach!“ war die bebende Antwort, „zürnen Sie nicht, gnädige Frau! es ſind alte Briefe, die ich nach langer Zeit einmal wieder vornahm, und darüber muß der Schlaf mich überraſcht haben — wie viel Uhr iſt es doch?“
„Wie viel?“ ſagte Conſtanze, ſie ſcharf anſe- hend, „ich denke es iſt halb — gelogen, was du da ſprichſt. Laß doch ſehen!“
„O bitte, liebſte, ſüße gnädige Frau! ich habe ja gewiß nichts Unrechtes — aber — erlaſſen Sie’s mir!“
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danke wollte haften; Mitternacht war vorüber; ſollte
ſie ſich niederlegen, ſchlafen? Es wäre unmöglich ge-
weſen, ſo bang’, ſo heiß und unbehaglich wie ihr war.
Ich will Emilien wecken, fiel ihr endlich ein,
das Mädchen ſoll mit mir plaudern. Sie bedachte ſich
um ſo weniger, die Geſellſchaft des Kammermädchens
zu ſuchen, da zu ihrer Verwunderung wirklich noch der
Schein eines Lichtes in dem Erker zu ſehen war, wo
jene ſchlief. Sie ging leiſe über den Gang, öffnete
das Kabinet und fand das Mädchen feſt eingeſchlafen
im Bette, daneben das Licht, ausflammend in den
Leuchter hinabgeſunken. Eine offene Brieftaſche und
eine Anzahl zerſtreuter Blätter lag unter den Händen
der Schlafenden. Auf einen Anruf erwachte dieſe, hef-
tig erſchrocken, und ihre erſte Bewegung war, ſchnell Taſche
und Papiere zu verbergen, ſo daß Conſtanze dadurch
aufmerkſam gemacht, gelaſſen fragte: was ſie hier ge-
leſen?
„Ach!“ war die bebende Antwort, „zürnen Sie
nicht, gnädige Frau! es ſind alte Briefe, die ich nach
langer Zeit einmal wieder vornahm, und darüber muß
der Schlaf mich überraſcht haben — wie viel Uhr iſt
es doch?“
„Wie viel?“ ſagte Conſtanze, ſie ſcharf anſe-
hend, „ich denke es iſt halb — gelogen, was du da
ſprichſt. Laß doch ſehen!“
„O bitte, liebſte, ſüße gnädige Frau! ich habe ja gewiß
nichts Unrechtes — aber — erlaſſen Sie’s mir!“
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/228>, abgerufen am 29.07.2024.
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