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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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fältige Erziehung von Hause aus, bezog er sehr jung
die Akademie, wo er, keinen festen Plan im Auge,
neben einem lustigen kameradschaftlichen Treiben den-
noch schöne philosophische und ästhetische Studien machte.
Eine Reise nach England und die Höhe des dortigen
Schauspielwesens bekräftigte den Entschluß, sich mit
höchstem Ernste dieser Kunst zu weihen. Seine erste
theatralische Schule begleiteten bereits öffentliche Pro-
ben auf einem der angesehensten Schauplätze, und die
Aufmerksamkeit des Publikums wurde zur Bewunde-
rung, als er, obwohl ungerne, dem Rathe eines er-
fahrnen Mannes folgend, sich eine Zeitlang in durch-
aus komischen Repräsentationen erging. In dem Maße,
wie er, einem sonderbaren Naturzwang zufolge, wieder
zum Ernsthaften einlenkte, nahm der allgemeine Bei-
fall ab, und so schwankte er unbefriedigt, mißlaunisch
ein volles Jahr hin und her, ohne einsehen zu wol-
len, welchem von beiden Fächern er sein Talent zu-
wenden müsse. Dazu kam der Uebelstand, daß dem
praktischen Künstler seine poetische Produktivität viel-
mehr hinderlich als förderlich war; er wollte im Reiche
seiner eigenen Dichtung leben und empfand es übel,
wenn ihn mitten in der schaffenden Lust das Hand-
werk störte, was um so unvermeidlicher war, da seine
Arbeiten ganz außer der allgemeinen Bühnensphäre
lagen und nur von einem engen Freundeskreise ge-
faßt und geschäzt werden konnten. Dieser widrige
Konflikt des Dichters und des Brodmenschen brachte

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fältige Erziehung von Hauſe aus, bezog er ſehr jung
die Akademie, wo er, keinen feſten Plan im Auge,
neben einem luſtigen kameradſchaftlichen Treiben den-
noch ſchöne philoſophiſche und äſthetiſche Studien machte.
Eine Reiſe nach England und die Höhe des dortigen
Schauſpielweſens bekräftigte den Entſchluß, ſich mit
höchſtem Ernſte dieſer Kunſt zu weihen. Seine erſte
theatraliſche Schule begleiteten bereits öffentliche Pro-
ben auf einem der angeſehenſten Schauplätze, und die
Aufmerkſamkeit des Publikums wurde zur Bewunde-
rung, als er, obwohl ungerne, dem Rathe eines er-
fahrnen Mannes folgend, ſich eine Zeitlang in durch-
aus komiſchen Repräſentationen erging. In dem Maße,
wie er, einem ſonderbaren Naturzwang zufolge, wieder
zum Ernſthaften einlenkte, nahm der allgemeine Bei-
fall ab, und ſo ſchwankte er unbefriedigt, mißlauniſch
ein volles Jahr hin und her, ohne einſehen zu wol-
len, welchem von beiden Fächern er ſein Talent zu-
wenden müſſe. Dazu kam der Uebelſtand, daß dem
praktiſchen Künſtler ſeine poetiſche Produktivität viel-
mehr hinderlich als förderlich war; er wollte im Reiche
ſeiner eigenen Dichtung leben und empfand es übel,
wenn ihn mitten in der ſchaffenden Luſt das Hand-
werk ſtörte, was um ſo unvermeidlicher war, da ſeine
Arbeiten ganz außer der allgemeinen Bühnenſphäre
lagen und nur von einem engen Freundeskreiſe ge-
faßt und geſchäzt werden konnten. Dieſer widrige
Konflikt des Dichters und des Brodmenſchen brachte

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[257/0265] fältige Erziehung von Hauſe aus, bezog er ſehr jung die Akademie, wo er, keinen feſten Plan im Auge, neben einem luſtigen kameradſchaftlichen Treiben den- noch ſchöne philoſophiſche und äſthetiſche Studien machte. Eine Reiſe nach England und die Höhe des dortigen Schauſpielweſens bekräftigte den Entſchluß, ſich mit höchſtem Ernſte dieſer Kunſt zu weihen. Seine erſte theatraliſche Schule begleiteten bereits öffentliche Pro- ben auf einem der angeſehenſten Schauplätze, und die Aufmerkſamkeit des Publikums wurde zur Bewunde- rung, als er, obwohl ungerne, dem Rathe eines er- fahrnen Mannes folgend, ſich eine Zeitlang in durch- aus komiſchen Repräſentationen erging. In dem Maße, wie er, einem ſonderbaren Naturzwang zufolge, wieder zum Ernſthaften einlenkte, nahm der allgemeine Bei- fall ab, und ſo ſchwankte er unbefriedigt, mißlauniſch ein volles Jahr hin und her, ohne einſehen zu wol- len, welchem von beiden Fächern er ſein Talent zu- wenden müſſe. Dazu kam der Uebelſtand, daß dem praktiſchen Künſtler ſeine poetiſche Produktivität viel- mehr hinderlich als förderlich war; er wollte im Reiche ſeiner eigenen Dichtung leben und empfand es übel, wenn ihn mitten in der ſchaffenden Luſt das Hand- werk ſtörte, was um ſo unvermeidlicher war, da ſeine Arbeiten ganz außer der allgemeinen Bühnenſphäre lagen und nur von einem engen Freundeskreiſe ge- faßt und geſchäzt werden konnten. Dieſer widrige Konflikt des Dichters und des Brodmenſchen brachte 17

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/265>, abgerufen am 02.06.2024.