Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

finden. Das Einzige erfuhren wir des andern Tages
zufällig von Theobalds Bedienten, daß eine Bettle-
rin, deren Beschreibung mit jener Person vollkommen
zusammenstimmte, sich Tags vorher in Noltens Hause
eingefunden und auf die Versicherung, er sey auf län-
gere Zeit abwesend, sich wieder fortgeschlichen. Alles
mein Fragen und Forschen blieb fruchtlos."

"Also" -- fing Larkens an -- "merken Sie auf.
Zwei Tage vor der lezten Neujahrsnacht, die Ihnen
hoffentlich noch im Gedächtniß ist, traf ich auf meinem
Hausflur ein Mädchen an, dessen Aeußeres mich gleich
frappirte, und zwar eben auch in der von Ihnen ange-
gebenen Beziehung. Es war eine Zigeunerin, hoch,
schlank gewachsen, nicht mehr ganz jung, aber immer
noch eine wirkliche Schönheit, kurz die Aehnlichkeit mit
jenem Bilde bis auf wenig zwischenliegende Jahre voll-
kommen. Ein Korb mit hölzerner Schnitzwaare hing
ihr am Arme, allein meine erste Ahnung, daß sie wohl
in anderer Absicht als des Verkaufs wegen hieherge-
kommen, bestätigte mir bald ihre Frage nach einem
Maler, der hier wohnen sollte; sie zog einen Brief
hervor, es war die Handschrift von Noltens Braut,
doch lautete die Adresse, ich weiß nicht mehr warum,
an mich, die Sendung selbst gehörte für Nolten.
Es hatte nämlich die Zigeunerin auf ihren Streifzügen
auch Neuburg berührt und einen Gruß mit hieher ge-
nommen. Mir war die Person nach mehrfältigen Er-
zählungen Theobalds nichts weniger als fremd, aber

finden. Das Einzige erfuhren wir des andern Tages
zufällig von Theobalds Bedienten, daß eine Bettle-
rin, deren Beſchreibung mit jener Perſon vollkommen
zuſammenſtimmte, ſich Tags vorher in Noltens Hauſe
eingefunden und auf die Verſicherung, er ſey auf län-
gere Zeit abweſend, ſich wieder fortgeſchlichen. Alles
mein Fragen und Forſchen blieb fruchtlos.“

„Alſo“ — fing Larkens an — „merken Sie auf.
Zwei Tage vor der lezten Neujahrsnacht, die Ihnen
hoffentlich noch im Gedächtniß iſt, traf ich auf meinem
Hausflur ein Mädchen an, deſſen Aeußeres mich gleich
frappirte, und zwar eben auch in der von Ihnen ange-
gebenen Beziehung. Es war eine Zigeunerin, hoch,
ſchlank gewachſen, nicht mehr ganz jung, aber immer
noch eine wirkliche Schönheit, kurz die Aehnlichkeit mit
jenem Bilde bis auf wenig zwiſchenliegende Jahre voll-
kommen. Ein Korb mit hölzerner Schnitzwaare hing
ihr am Arme, allein meine erſte Ahnung, daß ſie wohl
in anderer Abſicht als des Verkaufs wegen hieherge-
kommen, beſtätigte mir bald ihre Frage nach einem
Maler, der hier wohnen ſollte; ſie zog einen Brief
hervor, es war die Handſchrift von Noltens Braut,
doch lautete die Adreſſe, ich weiß nicht mehr warum,
an mich, die Sendung ſelbſt gehörte für Nolten.
Es hatte nämlich die Zigeunerin auf ihren Streifzügen
auch Neuburg berührt und einen Gruß mit hieher ge-
nommen. Mir war die Perſon nach mehrfältigen Er-
zählungen Theobalds nichts weniger als fremd, aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0278" n="270"/>
finden. Das Einzige erfuhren wir des andern Tages<lb/>
zufällig von <hi rendition="#g">Theobalds</hi> Bedienten, daß eine Bettle-<lb/>
rin, deren Be&#x017F;chreibung mit jener Per&#x017F;on vollkommen<lb/>
zu&#x017F;ammen&#x017F;timmte, &#x017F;ich Tags vorher in <hi rendition="#g">Noltens</hi> Hau&#x017F;e<lb/>
eingefunden und auf die Ver&#x017F;icherung, er &#x017F;ey auf län-<lb/>
gere Zeit abwe&#x017F;end, &#x017F;ich wieder fortge&#x017F;chlichen. Alles<lb/>
mein Fragen und For&#x017F;chen blieb fruchtlos.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Al&#x017F;o&#x201C; &#x2014; fing <hi rendition="#g">Larkens</hi> an &#x2014; &#x201E;merken Sie auf.<lb/>
Zwei Tage vor der lezten Neujahrsnacht, die Ihnen<lb/>
hoffentlich noch im Gedächtniß i&#x017F;t, traf ich auf meinem<lb/>
Hausflur ein Mädchen an, de&#x017F;&#x017F;en Aeußeres mich gleich<lb/>
frappirte, und zwar eben auch in der von Ihnen ange-<lb/>
gebenen Beziehung. Es war eine Zigeunerin, hoch,<lb/>
&#x017F;chlank gewach&#x017F;en, nicht mehr ganz jung, aber immer<lb/>
noch eine wirkliche Schönheit, kurz die Aehnlichkeit mit<lb/>
jenem Bilde bis auf wenig zwi&#x017F;chenliegende Jahre voll-<lb/>
kommen. Ein Korb mit hölzerner Schnitzwaare hing<lb/>
ihr am Arme, allein meine er&#x017F;te Ahnung, daß &#x017F;ie wohl<lb/>
in anderer Ab&#x017F;icht als des Verkaufs wegen hieherge-<lb/>
kommen, be&#x017F;tätigte mir bald ihre Frage nach einem<lb/>
Maler, der hier wohnen &#x017F;ollte; &#x017F;ie zog einen Brief<lb/>
hervor, es war die Hand&#x017F;chrift von <hi rendition="#g">Noltens</hi> Braut,<lb/>
doch lautete die Adre&#x017F;&#x017F;e, ich weiß nicht mehr warum,<lb/>
an <hi rendition="#g">mich</hi>, die Sendung &#x017F;elb&#x017F;t gehörte für <hi rendition="#g">Nolten</hi>.<lb/>
Es hatte nämlich die Zigeunerin auf ihren Streifzügen<lb/>
auch Neuburg berührt und einen Gruß mit hieher ge-<lb/>
nommen. Mir war die Per&#x017F;on nach mehrfältigen Er-<lb/>
zählungen <hi rendition="#g">Theobalds</hi> nichts weniger als fremd, aber<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270/0278] finden. Das Einzige erfuhren wir des andern Tages zufällig von Theobalds Bedienten, daß eine Bettle- rin, deren Beſchreibung mit jener Perſon vollkommen zuſammenſtimmte, ſich Tags vorher in Noltens Hauſe eingefunden und auf die Verſicherung, er ſey auf län- gere Zeit abweſend, ſich wieder fortgeſchlichen. Alles mein Fragen und Forſchen blieb fruchtlos.“ „Alſo“ — fing Larkens an — „merken Sie auf. Zwei Tage vor der lezten Neujahrsnacht, die Ihnen hoffentlich noch im Gedächtniß iſt, traf ich auf meinem Hausflur ein Mädchen an, deſſen Aeußeres mich gleich frappirte, und zwar eben auch in der von Ihnen ange- gebenen Beziehung. Es war eine Zigeunerin, hoch, ſchlank gewachſen, nicht mehr ganz jung, aber immer noch eine wirkliche Schönheit, kurz die Aehnlichkeit mit jenem Bilde bis auf wenig zwiſchenliegende Jahre voll- kommen. Ein Korb mit hölzerner Schnitzwaare hing ihr am Arme, allein meine erſte Ahnung, daß ſie wohl in anderer Abſicht als des Verkaufs wegen hieherge- kommen, beſtätigte mir bald ihre Frage nach einem Maler, der hier wohnen ſollte; ſie zog einen Brief hervor, es war die Handſchrift von Noltens Braut, doch lautete die Adreſſe, ich weiß nicht mehr warum, an mich, die Sendung ſelbſt gehörte für Nolten. Es hatte nämlich die Zigeunerin auf ihren Streifzügen auch Neuburg berührt und einen Gruß mit hieher ge- nommen. Mir war die Perſon nach mehrfältigen Er- zählungen Theobalds nichts weniger als fremd, aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/278
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/278>, abgerufen am 27.07.2024.