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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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Sinne blieb jenes Gesicht mit bestimmter Zeichnung
wie eine feste Maske hingebannt, in grünflammender
Umgebung des nassen glänzenden Gezweigs. Nichts
in meinem Leben hat einen solchen Eindruck auf mich
gemacht, als die Erscheinung dieses Nu. Unwillkür-
lich streckte sich mein Arm aus, um mich zu überzeu-
gen, aber es rauschte schon an mir vorüber und eine
längere Zeit, als meine Ungeduld wollte, verging, bis
ich in's Klare kommen sollte. Doch das blieb nicht aus.

Ein Mädchen, das Anfangs in dem Zelt ver-
borgen gewesen seyn mochte, und das man mit dem
Namen Loskine rief, zeigte sich jezt auch unter den
Andern, als man bei nachlassendem Regen wieder
Feuer anmachte und sich unter wechselnden Scherz-
und Scheltworten auf den störenden Ueberfall wieder
in Ordnung brachte. Das Mädchen ist die Nichte
des Hauptmanns. -- Loskine -- wie soll ich sie
beschreiben? Sind doch seit jener Nacht vier volle
Tage hingegangen, in denen ich dieß Gebilde der ei-
gensten Schönheit stündlich Aug in Auge vor mir hatte,
ohne daß dem Maler in mir eingefallen wäre, sich
ihrer durch das elende Medium von Linien und Stri-
chen zu bemächtigen! O diese wenigen Tage, wie reich
an Entdeckungen, wie unermeßlich in ihren Folgen
für meine ganze Art zu existiren!

Ich bin seither der freiwillige Begleiter dieser
streifenden Gesellschaft. Ja, das bin ich und ich er-
röthe keineswegs über diesen Einfall, den mir auch

Sinne blieb jenes Geſicht mit beſtimmter Zeichnung
wie eine feſte Maske hingebannt, in grünflammender
Umgebung des naſſen glänzenden Gezweigs. Nichts
in meinem Leben hat einen ſolchen Eindruck auf mich
gemacht, als die Erſcheinung dieſes Nu. Unwillkür-
lich ſtreckte ſich mein Arm aus, um mich zu überzeu-
gen, aber es rauſchte ſchon an mir vorüber und eine
längere Zeit, als meine Ungeduld wollte, verging, bis
ich in’s Klare kommen ſollte. Doch das blieb nicht aus.

Ein Mädchen, das Anfangs in dem Zelt ver-
borgen geweſen ſeyn mochte, und das man mit dem
Namen Loskine rief, zeigte ſich jezt auch unter den
Andern, als man bei nachlaſſendem Regen wieder
Feuer anmachte und ſich unter wechſelnden Scherz-
und Scheltworten auf den ſtörenden Ueberfall wieder
in Ordnung brachte. Das Mädchen iſt die Nichte
des Hauptmanns. — Loskine — wie ſoll ich ſie
beſchreiben? Sind doch ſeit jener Nacht vier volle
Tage hingegangen, in denen ich dieß Gebilde der ei-
genſten Schönheit ſtündlich Aug in Auge vor mir hatte,
ohne daß dem Maler in mir eingefallen wäre, ſich
ihrer durch das elende Medium von Linien und Stri-
chen zu bemächtigen! O dieſe wenigen Tage, wie reich
an Entdeckungen, wie unermeßlich in ihren Folgen
für meine ganze Art zu exiſtiren!

Ich bin ſeither der freiwillige Begleiter dieſer
ſtreifenden Geſellſchaft. Ja, das bin ich und ich er-
röthe keineswegs über dieſen Einfall, den mir auch

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[304/0312] Sinne blieb jenes Geſicht mit beſtimmter Zeichnung wie eine feſte Maske hingebannt, in grünflammender Umgebung des naſſen glänzenden Gezweigs. Nichts in meinem Leben hat einen ſolchen Eindruck auf mich gemacht, als die Erſcheinung dieſes Nu. Unwillkür- lich ſtreckte ſich mein Arm aus, um mich zu überzeu- gen, aber es rauſchte ſchon an mir vorüber und eine längere Zeit, als meine Ungeduld wollte, verging, bis ich in’s Klare kommen ſollte. Doch das blieb nicht aus. Ein Mädchen, das Anfangs in dem Zelt ver- borgen geweſen ſeyn mochte, und das man mit dem Namen Loskine rief, zeigte ſich jezt auch unter den Andern, als man bei nachlaſſendem Regen wieder Feuer anmachte und ſich unter wechſelnden Scherz- und Scheltworten auf den ſtörenden Ueberfall wieder in Ordnung brachte. Das Mädchen iſt die Nichte des Hauptmanns. — Loskine — wie ſoll ich ſie beſchreiben? Sind doch ſeit jener Nacht vier volle Tage hingegangen, in denen ich dieß Gebilde der ei- genſten Schönheit ſtündlich Aug in Auge vor mir hatte, ohne daß dem Maler in mir eingefallen wäre, ſich ihrer durch das elende Medium von Linien und Stri- chen zu bemächtigen! O dieſe wenigen Tage, wie reich an Entdeckungen, wie unermeßlich in ihren Folgen für meine ganze Art zu exiſtiren! Ich bin ſeither der freiwillige Begleiter dieſer ſtreifenden Geſellſchaft. Ja, das bin ich und ich er- röthe keineswegs über dieſen Einfall, den mir auch

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/312>, abgerufen am 19.05.2024.