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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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begreiflich und verzeihlich, womit sich mein Herz ver-
schloß, sobald jene Eigenschaften anfingen, sich im Ge-
ringsten zu verläugnen; denn je gemäßigter meine An-
sprüche in jedem andern Sinne waren, desto beharr-
licher durften sie seyn in dieser einzigen Rücksicht, mit
welcher nach meinem Gefühle der schönste und blei-
bendste Reiz aller Weiblichkeit wegfällt."

"Ha ha ha!" lachte der Freund, "deine Forderun-
gen sind bescheiden, und doch auch impertinent groß von
Weibern der jetzigen Welt!"

"O," fuhr der Andere fort, "o Larkens! ja
verlache mich, denn ich verdien's! daß ich der Thor
seyn konnte, zu glauben an die Unwandelbarkeit jener
ursprünglichen Einfalt, die mir unendlichen Ersatz für
jeden glänzenden Vorzug der Erziehung gab! Wo blieb
doch jener fromm genügsame Sinn, den auch die leise
Ahnung nie beschlich, daß es außer dem Geliebten noch
etwas Wünschenswerthes geben könne? jene ungefärbte
Wahrheit, welche auch den kleinsten Rückhalt nicht in
sich duldet, jene Demuth, die sich selbst Geheimniß ist?
Das Alles lag einst in dem Mädchen! Wie heimlich
und entzückt belauscht' ich nicht zu tausend Malen das
reine Aderspiel ihres verborgensten Lebens! Durch-
sichtig wie Krystall schien der ganze Umfang ihres Da-
seyns vor mir aufgeschlossen und auch nicht Ein un-
ebner Zug ließ sich entdecken. Sprich! mußte darum
nicht der erste Schatten weiblicher Falschheit mich auf
ewig von ihr schrecken? Mein Paradies, gesteh' es,

begreiflich und verzeihlich, womit ſich mein Herz ver-
ſchloß, ſobald jene Eigenſchaften anfingen, ſich im Ge-
ringſten zu verläugnen; denn je gemäßigter meine An-
ſprüche in jedem andern Sinne waren, deſto beharr-
licher durften ſie ſeyn in dieſer einzigen Rückſicht, mit
welcher nach meinem Gefühle der ſchönſte und blei-
bendſte Reiz aller Weiblichkeit wegfällt.“

„Ha ha ha!“ lachte der Freund, „deine Forderun-
gen ſind beſcheiden, und doch auch impertinent groß von
Weibern der jetzigen Welt!“

„O,“ fuhr der Andere fort, „o Larkens! ja
verlache mich, denn ich verdien’s! daß ich der Thor
ſeyn konnte, zu glauben an die Unwandelbarkeit jener
urſprünglichen Einfalt, die mir unendlichen Erſatz für
jeden glänzenden Vorzug der Erziehung gab! Wo blieb
doch jener fromm genügſame Sinn, den auch die leiſe
Ahnung nie beſchlich, daß es außer dem Geliebten noch
etwas Wünſchenswerthes geben könne? jene ungefärbte
Wahrheit, welche auch den kleinſten Rückhalt nicht in
ſich duldet, jene Demuth, die ſich ſelbſt Geheimniß iſt?
Das Alles lag einſt in dem Mädchen! Wie heimlich
und entzückt belauſcht’ ich nicht zu tauſend Malen das
reine Aderſpiel ihres verborgenſten Lebens! Durch-
ſichtig wie Kryſtall ſchien der ganze Umfang ihres Da-
ſeyns vor mir aufgeſchloſſen und auch nicht Ein un-
ebner Zug ließ ſich entdecken. Sprich! mußte darum
nicht der erſte Schatten weiblicher Falſchheit mich auf
ewig von ihr ſchrecken? Mein Paradies, geſteh’ es,

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[55/0063] begreiflich und verzeihlich, womit ſich mein Herz ver- ſchloß, ſobald jene Eigenſchaften anfingen, ſich im Ge- ringſten zu verläugnen; denn je gemäßigter meine An- ſprüche in jedem andern Sinne waren, deſto beharr- licher durften ſie ſeyn in dieſer einzigen Rückſicht, mit welcher nach meinem Gefühle der ſchönſte und blei- bendſte Reiz aller Weiblichkeit wegfällt.“ „Ha ha ha!“ lachte der Freund, „deine Forderun- gen ſind beſcheiden, und doch auch impertinent groß von Weibern der jetzigen Welt!“ „O,“ fuhr der Andere fort, „o Larkens! ja verlache mich, denn ich verdien’s! daß ich der Thor ſeyn konnte, zu glauben an die Unwandelbarkeit jener urſprünglichen Einfalt, die mir unendlichen Erſatz für jeden glänzenden Vorzug der Erziehung gab! Wo blieb doch jener fromm genügſame Sinn, den auch die leiſe Ahnung nie beſchlich, daß es außer dem Geliebten noch etwas Wünſchenswerthes geben könne? jene ungefärbte Wahrheit, welche auch den kleinſten Rückhalt nicht in ſich duldet, jene Demuth, die ſich ſelbſt Geheimniß iſt? Das Alles lag einſt in dem Mädchen! Wie heimlich und entzückt belauſcht’ ich nicht zu tauſend Malen das reine Aderſpiel ihres verborgenſten Lebens! Durch- ſichtig wie Kryſtall ſchien der ganze Umfang ihres Da- ſeyns vor mir aufgeſchloſſen und auch nicht Ein un- ebner Zug ließ ſich entdecken. Sprich! mußte darum nicht der erſte Schatten weiblicher Falſchheit mich auf ewig von ihr ſchrecken? Mein Paradies, geſteh’ es,

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/63>, abgerufen am 09.11.2024.