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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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soll ich ihn eher als nöthig ist, aus seinem guten
Glauben reißen, da er die Wahrheit jezt noch nicht
begriffe, warum nicht immerfort so an ihn schreiben,
wie er's bisher an mir gewohnt war? Ach, ganz
gewiß, ich sündige daran nicht, mein Herz sagt mir's;
er soll, er darf noch nicht erfahren, was ihm blüht,
und, Vater, wenn Ihr ihn lieb habt, wenn Euch an
seinem Frieden etwas liegt, sagt Ihr ihm auch nichts!
Dagegen aber kann ich euch versprechen, ich will vor
der Hand mit Otto nichts mehr gemein haben. Die
Zeit wird ja das Uebrige schon lehren."

Der Förster wußte nicht so recht, was er aus
diesen Reden machen sollte, er schüttelte den Kopf,
nahm sich aber vor, das Beste zu hoffen, und entließ
Agnesen, die sich ruhig wieder niederlegte.

Wie groß war seine Freude, als er sie des an-
dern Morgens in aller Frühe mit einem Brief an
Theobald beschäftigt fand, den sie ihm auch nachher
zur Durchsicht reichte, wiewohl mit Widerstreben und
ohne gegenwärtig zu bleiben, so lange der Alte las.
Aber welch' köstliche, hinreißende, und doch wohlbe-
dachte Worte waren das! So kann bloß ein Mädchen
schreiben, das völlig ungetheilt in dem Geliebten lebt
und webt. Nur die absichtliche Leichtigkeit, womit
jene ernsten und tiefen Bewegungen in Agnesens
innerm Leben hier gänzlich übergangen waren, frap-
pirte den Vater an dem sonst so redlichen Kinde. Er
selber hatte noch geschwankt, ob die Pflicht von ihm

ſoll ich ihn eher als nöthig iſt, aus ſeinem guten
Glauben reißen, da er die Wahrheit jezt noch nicht
begriffe, warum nicht immerfort ſo an ihn ſchreiben,
wie er’s bisher an mir gewohnt war? Ach, ganz
gewiß, ich ſündige daran nicht, mein Herz ſagt mir’s;
er ſoll, er darf noch nicht erfahren, was ihm blüht,
und, Vater, wenn Ihr ihn lieb habt, wenn Euch an
ſeinem Frieden etwas liegt, ſagt Ihr ihm auch nichts!
Dagegen aber kann ich euch verſprechen, ich will vor
der Hand mit Otto nichts mehr gemein haben. Die
Zeit wird ja das Uebrige ſchon lehren.“

Der Förſter wußte nicht ſo recht, was er aus
dieſen Reden machen ſollte, er ſchüttelte den Kopf,
nahm ſich aber vor, das Beſte zu hoffen, und entließ
Agneſen, die ſich ruhig wieder niederlegte.

Wie groß war ſeine Freude, als er ſie des an-
dern Morgens in aller Frühe mit einem Brief an
Theobald beſchäftigt fand, den ſie ihm auch nachher
zur Durchſicht reichte, wiewohl mit Widerſtreben und
ohne gegenwärtig zu bleiben, ſo lange der Alte las.
Aber welch’ köſtliche, hinreißende, und doch wohlbe-
dachte Worte waren das! So kann bloß ein Mädchen
ſchreiben, das völlig ungetheilt in dem Geliebten lebt
und webt. Nur die abſichtliche Leichtigkeit, womit
jene ernſten und tiefen Bewegungen in Agneſens
innerm Leben hier gänzlich übergangen waren, frap-
pirte den Vater an dem ſonſt ſo redlichen Kinde. Er
ſelber hatte noch geſchwankt, ob die Pflicht von ihm

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[86/0094] ſoll ich ihn eher als nöthig iſt, aus ſeinem guten Glauben reißen, da er die Wahrheit jezt noch nicht begriffe, warum nicht immerfort ſo an ihn ſchreiben, wie er’s bisher an mir gewohnt war? Ach, ganz gewiß, ich ſündige daran nicht, mein Herz ſagt mir’s; er ſoll, er darf noch nicht erfahren, was ihm blüht, und, Vater, wenn Ihr ihn lieb habt, wenn Euch an ſeinem Frieden etwas liegt, ſagt Ihr ihm auch nichts! Dagegen aber kann ich euch verſprechen, ich will vor der Hand mit Otto nichts mehr gemein haben. Die Zeit wird ja das Uebrige ſchon lehren.“ Der Förſter wußte nicht ſo recht, was er aus dieſen Reden machen ſollte, er ſchüttelte den Kopf, nahm ſich aber vor, das Beſte zu hoffen, und entließ Agneſen, die ſich ruhig wieder niederlegte. Wie groß war ſeine Freude, als er ſie des an- dern Morgens in aller Frühe mit einem Brief an Theobald beſchäftigt fand, den ſie ihm auch nachher zur Durchſicht reichte, wiewohl mit Widerſtreben und ohne gegenwärtig zu bleiben, ſo lange der Alte las. Aber welch’ köſtliche, hinreißende, und doch wohlbe- dachte Worte waren das! So kann bloß ein Mädchen ſchreiben, das völlig ungetheilt in dem Geliebten lebt und webt. Nur die abſichtliche Leichtigkeit, womit jene ernſten und tiefen Bewegungen in Agneſens innerm Leben hier gänzlich übergangen waren, frap- pirte den Vater an dem ſonſt ſo redlichen Kinde. Er ſelber hatte noch geſchwankt, ob die Pflicht von ihm

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/94>, abgerufen am 09.11.2024.