alter Kamerad! Ad pectus manum, sagte der Rek- tor, wenn wir gelogen hatten: manum ad pectus, ich liebe Dich und habe nicht gelogen. O ich möchte schreien, daß die Berge aufhüpften, möcht' alle Glo- cken zusammenläuten lassen, durch's ganze Ort möcht' ich posaunen und duten, wäre ich just nicht der See- lenhirt, der sich im Respekt erhalten muß, sondern ein Anderer."
In diesem Tone fuhr Amandus fort, Eins nach dem Andern zu salutiren, und noch als man bereits vor dem Pfarrhause stand, war er nicht fertig. Jezt sprang, so leicht und zierlich wie ein achtzehnjähriges Mädchen unter der Haube, die Pastorin entgegen, aber auch sie konnte über dem Muthwillen ihres Manns nicht zum Worte kommen. Mit Jubel be- tritt man endlich die Stube, die hell und neu, recht eigentlich ein Bild ihrer Bewohner darstellte. Kaum über die Schwelle getreten, kann man sogleich bemer- ken, wie der Pfarrer in eiliger Verlegenheit einen grünen Uniformrock, der an der Wand hing, zu ent- fernen sucht; er bleibt jedoch, da er seine Absicht ver- rathen sieht, mitten auf dem Wege stehn: "daß dich!" rief er, gegen Nolten gewendet -- "nun Freund- chen, ist mir's herzlich leid, da du eine Heimlichkeit doch einmal gewittert hast, so will ich lieber gar mit der sonderbaren Geschichte herausrücken." (Er zupfte heimlich seine Frau und fuhr mit verstelltem Ernst und vieler Gutmüthigkeit fort.) "Seit gestern baben
alter Kamerad! Ad pectus manum, ſagte der Rek- tor, wenn wir gelogen hatten: manum ad pectus, ich liebe Dich und habe nicht gelogen. O ich möchte ſchreien, daß die Berge aufhüpften, möcht’ alle Glo- cken zuſammenläuten laſſen, durch’s ganze Ort möcht’ ich poſaunen und duten, wäre ich juſt nicht der See- lenhirt, der ſich im Reſpekt erhalten muß, ſondern ein Anderer.“
In dieſem Tone fuhr Amandus fort, Eins nach dem Andern zu ſalutiren, und noch als man bereits vor dem Pfarrhauſe ſtand, war er nicht fertig. Jezt ſprang, ſo leicht und zierlich wie ein achtzehnjähriges Mädchen unter der Haube, die Paſtorin entgegen, aber auch ſie konnte über dem Muthwillen ihres Manns nicht zum Worte kommen. Mit Jubel be- tritt man endlich die Stube, die hell und neu, recht eigentlich ein Bild ihrer Bewohner darſtellte. Kaum über die Schwelle getreten, kann man ſogleich bemer- ken, wie der Pfarrer in eiliger Verlegenheit einen grünen Uniformrock, der an der Wand hing, zu ent- fernen ſucht; er bleibt jedoch, da er ſeine Abſicht ver- rathen ſieht, mitten auf dem Wege ſtehn: „daß dich!“ rief er, gegen Nolten gewendet — „nun Freund- chen, iſt mir’s herzlich leid, da du eine Heimlichkeit doch einmal gewittert haſt, ſo will ich lieber gar mit der ſonderbaren Geſchichte herausrücken.“ (Er zupfte heimlich ſeine Frau und fuhr mit verſtelltem Ernſt und vieler Gutmüthigkeit fort.) „Seit geſtern baben
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alter Kamerad! Ad pectus manum, ſagte der Rek-
tor, wenn wir gelogen hatten: manum ad pectus,
ich liebe Dich und habe nicht gelogen. O ich möchte
ſchreien, daß die Berge aufhüpften, möcht’ alle Glo-
cken zuſammenläuten laſſen, durch’s ganze Ort möcht’
ich poſaunen und duten, wäre ich juſt nicht der See-
lenhirt, der ſich im Reſpekt erhalten muß, ſondern
ein Anderer.“
In dieſem Tone fuhr Amandus fort, Eins nach
dem Andern zu ſalutiren, und noch als man bereits
vor dem Pfarrhauſe ſtand, war er nicht fertig. Jezt
ſprang, ſo leicht und zierlich wie ein achtzehnjähriges
Mädchen unter der Haube, die Paſtorin entgegen,
aber auch ſie konnte über dem Muthwillen ihres
Manns nicht zum Worte kommen. Mit Jubel be-
tritt man endlich die Stube, die hell und neu, recht
eigentlich ein Bild ihrer Bewohner darſtellte. Kaum
über die Schwelle getreten, kann man ſogleich bemer-
ken, wie der Pfarrer in eiliger Verlegenheit einen
grünen Uniformrock, der an der Wand hing, zu ent-
fernen ſucht; er bleibt jedoch, da er ſeine Abſicht ver-
rathen ſieht, mitten auf dem Wege ſtehn: „daß dich!“
rief er, gegen Nolten gewendet — „nun Freund-
chen, iſt mir’s herzlich leid, da du eine Heimlichkeit
doch einmal gewittert haſt, ſo will ich lieber gar mit
der ſonderbaren Geſchichte herausrücken.“ (Er zupfte
heimlich ſeine Frau und fuhr mit verſtelltem Ernſt
und vieler Gutmüthigkeit fort.) „Seit geſtern baben
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/122>, abgerufen am 21.11.2024.
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