Kunst mit treuem Flügel über all' die kleine Roth des Lebens wegzuheben schien, so frühe schon ein ekles Auge auf dieses Treiben werfen kann, was bleibt alsdann so manchem Andern zum Troste übrig, der ungleich ärmer ausgestattet, sich in der Niederung des Erdenlebens hinschleppt? Und wenn das vor- treffliche Talent selbst, womit Ihr Freund die Welt entzückte, so harmlos nicht war, als es schien, wenn die heitere Geistesflamme sich vielleicht vom besten Oel des innerlichen Menschen schmerzhaft nährte, wer sagt mir dann, warum jenes namenlose Weh, das alle Mannheit, alle Lust und Kraft der Seele, bald bänglich schmelzend untergräbt, bald zornig aus den Gränzen treibt, warum doch jene Heimathlosigkeit des Geistes, dieß Fort- und Nirgendhin-Verlangen, in Mitten eines reichen, menschlich schönen Daseyns, so oft das Erbtheil herrlicher Naturen seyn muß? -- Das Räthsel eines solchen Unglücks aber völlig zu machen, muß noch der Körper helfen, um, wenn die wahre Krankheit fehlt, mit einem nur um desto gräß- licheren Schein die arme Seele abzuängstigen und vol- lends irre an sich selber zu machen!"
Auf diese Weise wechselten nun beide Männer, beinahe mehr den Todten als einander selbst anredend und oft von einer längern Pause unterbrochen, ihre Klagen und Betrachtungen. Erst ganz zulezt, bevor sie auseinander gingen, veranlaßte der Fremde, in- dem er seinen Namen nannte, den Maler, ein
Kunſt mit treuem Flügel über all’ die kleine Roth des Lebens wegzuheben ſchien, ſo frühe ſchon ein ekles Auge auf dieſes Treiben werfen kann, was bleibt alsdann ſo manchem Andern zum Troſte übrig, der ungleich ärmer ausgeſtattet, ſich in der Niederung des Erdenlebens hinſchleppt? Und wenn das vor- treffliche Talent ſelbſt, womit Ihr Freund die Welt entzückte, ſo harmlos nicht war, als es ſchien, wenn die heitere Geiſtesflamme ſich vielleicht vom beſten Oel des innerlichen Menſchen ſchmerzhaft nährte, wer ſagt mir dann, warum jenes namenloſe Weh, das alle Mannheit, alle Luſt und Kraft der Seele, bald bänglich ſchmelzend untergräbt, bald zornig aus den Gränzen treibt, warum doch jene Heimathloſigkeit des Geiſtes, dieß Fort- und Nirgendhin-Verlangen, in Mitten eines reichen, menſchlich ſchönen Daſeyns, ſo oft das Erbtheil herrlicher Naturen ſeyn muß? — Das Räthſel eines ſolchen Unglücks aber völlig zu machen, muß noch der Körper helfen, um, wenn die wahre Krankheit fehlt, mit einem nur um deſto gräß- licheren Schein die arme Seele abzuängſtigen und vol- lends irre an ſich ſelber zu machen!“
Auf dieſe Weiſe wechſelten nun beide Männer, beinahe mehr den Todten als einander ſelbſt anredend und oft von einer längern Pauſe unterbrochen, ihre Klagen und Betrachtungen. Erſt ganz zulezt, bevor ſie auseinander gingen, veranlaßte der Fremde, in- dem er ſeinen Namen nannte, den Maler, ein
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Kunſt mit treuem Flügel über all’ die kleine
Roth des Lebens wegzuheben ſchien, ſo frühe ſchon
ein ekles Auge auf dieſes Treiben werfen kann, was
bleibt alsdann ſo manchem Andern zum Troſte übrig,
der ungleich ärmer ausgeſtattet, ſich in der Niederung
des Erdenlebens hinſchleppt? Und wenn das vor-
treffliche Talent ſelbſt, womit Ihr Freund die Welt
entzückte, ſo harmlos nicht war, als es ſchien, wenn
die heitere Geiſtesflamme ſich vielleicht vom beſten
Oel des innerlichen Menſchen ſchmerzhaft nährte, wer
ſagt mir dann, warum jenes namenloſe Weh, das
alle Mannheit, alle Luſt und Kraft der Seele, bald
bänglich ſchmelzend untergräbt, bald zornig aus den
Gränzen treibt, warum doch jene Heimathloſigkeit des
Geiſtes, dieß Fort- und Nirgendhin-Verlangen, in
Mitten eines reichen, menſchlich ſchönen Daſeyns,
ſo oft das Erbtheil herrlicher Naturen ſeyn muß? —
Das Räthſel eines ſolchen Unglücks aber völlig zu
machen, muß noch der Körper helfen, um, wenn die
wahre Krankheit fehlt, mit einem nur um deſto gräß-
licheren Schein die arme Seele abzuängſtigen und vol-
lends irre an ſich ſelber zu machen!“
Auf dieſe Weiſe wechſelten nun beide Männer,
beinahe mehr den Todten als einander ſelbſt anredend
und oft von einer längern Pauſe unterbrochen, ihre
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/197>, abgerufen am 22.11.2024.
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