Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie befand sich im schlechtesten Zustande, bis Henni
vor anderthalb Jahren sie entdeckte. Er hatte nun
nicht Rast noch Ruhe, das verwahrlos'te staubige Werk,
Klaviatur, Pedal und Blasbälge, sammt den fehlen-
den und zerbrochenen Stäbchen, Klappen und Dräh-
ten, deren Zahl beiläufig Hundert und Eines seyn
mag, wieder ordentlich herzurichten. Oft hörte man
ihn bei Nacht operiren, klopfen und sägen, und es
war sonderbar, ihn dann so ohne alles Licht in der
einsamen Kammer bei seiner Arbeit zu denken. Was
ihm aber kein Mensch geglaubt hätte: nach weniger
als vier Wochen war er wirklich mit Allem zu Stande
gekommen. Sie müssen ihn einmal, und ohne daß
er's weiß, auf der Orgel phantasieren hören; er be-
handelt sie auf eine eigene Art und nicht leicht würde
ein anderes Instrument das eigentliche Wesen dieses
Menschen so rein und vollständig ausdrücken können.
Ich hätte billig unter seinen Vorzügen zuerst von sei-
ner Frömmigkeit gesprochen, doch wird Ihnen diese
nach dem bisher Gesagten um so wahrer und zärter
erscheinen, und ich brauche jezt desto weniger Worte
davon zu machen. -- Klavierspielen hatte er schon
früher ohne Anleitung auf einem schlechten Pantalon
gelernt, mein Vater versprach, ihm auf seinen Ge-
burtstag ein ordentliches Instrument zu schenken. So
lange wir in der Stadt wohnen, laß' ich auch wohl
zuweilen den Schlüssel in dem meinigen stecken und
mag mir gerne denken, daß er sich ein Stündchen nach

Sie befand ſich im ſchlechteſten Zuſtande, bis Henni
vor anderthalb Jahren ſie entdeckte. Er hatte nun
nicht Raſt noch Ruhe, das verwahrloſ’te ſtaubige Werk,
Klaviatur, Pedal und Blasbälge, ſammt den fehlen-
den und zerbrochenen Stäbchen, Klappen und Dräh-
ten, deren Zahl beiläufig Hundert und Eines ſeyn
mag, wieder ordentlich herzurichten. Oft hörte man
ihn bei Nacht operiren, klopfen und ſägen, und es
war ſonderbar, ihn dann ſo ohne alles Licht in der
einſamen Kammer bei ſeiner Arbeit zu denken. Was
ihm aber kein Menſch geglaubt hätte: nach weniger
als vier Wochen war er wirklich mit Allem zu Stande
gekommen. Sie müſſen ihn einmal, und ohne daß
er’s weiß, auf der Orgel phantaſieren hören; er be-
handelt ſie auf eine eigene Art und nicht leicht würde
ein anderes Inſtrument das eigentliche Weſen dieſes
Menſchen ſo rein und vollſtändig ausdrücken können.
Ich hätte billig unter ſeinen Vorzügen zuerſt von ſei-
ner Frömmigkeit geſprochen, doch wird Ihnen dieſe
nach dem bisher Geſagten um ſo wahrer und zärter
erſcheinen, und ich brauche jezt deſto weniger Worte
davon zu machen. — Klavierſpielen hatte er ſchon
früher ohne Anleitung auf einem ſchlechten Pantalon
gelernt, mein Vater verſprach, ihm auf ſeinen Ge-
burtstag ein ordentliches Inſtrument zu ſchenken. So
lange wir in der Stadt wohnen, laß’ ich auch wohl
zuweilen den Schlüſſel in dem meinigen ſtecken und
mag mir gerne denken, daß er ſich ein Stündchen nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0227" n="541"/>
Sie befand &#x017F;ich im &#x017F;chlechte&#x017F;ten Zu&#x017F;tande, bis <hi rendition="#g">Henni</hi><lb/>
vor anderthalb Jahren &#x017F;ie entdeckte. Er hatte nun<lb/>
nicht Ra&#x017F;t noch Ruhe, das verwahrlo&#x017F;&#x2019;te &#x017F;taubige Werk,<lb/>
Klaviatur, Pedal und Blasbälge, &#x017F;ammt den fehlen-<lb/>
den und zerbrochenen Stäbchen, Klappen und Dräh-<lb/>
ten, deren Zahl beiläufig Hundert und Eines &#x017F;eyn<lb/>
mag, wieder ordentlich herzurichten. Oft hörte man<lb/>
ihn bei Nacht operiren, klopfen und &#x017F;ägen, und es<lb/>
war &#x017F;onderbar, ihn dann &#x017F;o ohne alles Licht in der<lb/>
ein&#x017F;amen Kammer bei &#x017F;einer Arbeit zu denken. Was<lb/>
ihm aber kein Men&#x017F;ch geglaubt hätte: nach weniger<lb/>
als vier Wochen war er wirklich mit Allem zu Stande<lb/>
gekommen. Sie mü&#x017F;&#x017F;en ihn einmal, und ohne daß<lb/>
er&#x2019;s weiß, auf der Orgel phanta&#x017F;ieren hören; er be-<lb/>
handelt &#x017F;ie auf eine eigene Art und nicht leicht würde<lb/>
ein anderes In&#x017F;trument das eigentliche We&#x017F;en die&#x017F;es<lb/>
Men&#x017F;chen &#x017F;o rein und voll&#x017F;tändig ausdrücken können.<lb/>
Ich hätte billig unter &#x017F;einen Vorzügen zuer&#x017F;t von &#x017F;ei-<lb/>
ner Frömmigkeit ge&#x017F;prochen, doch wird Ihnen die&#x017F;e<lb/>
nach dem bisher Ge&#x017F;agten um &#x017F;o wahrer und zärter<lb/>
er&#x017F;cheinen, und ich brauche jezt de&#x017F;to weniger Worte<lb/>
davon zu machen. &#x2014; Klavier&#x017F;pielen hatte er &#x017F;chon<lb/>
früher ohne Anleitung auf einem &#x017F;chlechten Pantalon<lb/>
gelernt, mein Vater ver&#x017F;prach, ihm auf &#x017F;einen Ge-<lb/>
burtstag ein ordentliches In&#x017F;trument zu &#x017F;chenken. So<lb/>
lange wir in der Stadt wohnen, laß&#x2019; ich auch wohl<lb/>
zuweilen den Schlü&#x017F;&#x017F;el in dem meinigen &#x017F;tecken und<lb/>
mag mir gerne denken, daß er &#x017F;ich ein Stündchen nach<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[541/0227] Sie befand ſich im ſchlechteſten Zuſtande, bis Henni vor anderthalb Jahren ſie entdeckte. Er hatte nun nicht Raſt noch Ruhe, das verwahrloſ’te ſtaubige Werk, Klaviatur, Pedal und Blasbälge, ſammt den fehlen- den und zerbrochenen Stäbchen, Klappen und Dräh- ten, deren Zahl beiläufig Hundert und Eines ſeyn mag, wieder ordentlich herzurichten. Oft hörte man ihn bei Nacht operiren, klopfen und ſägen, und es war ſonderbar, ihn dann ſo ohne alles Licht in der einſamen Kammer bei ſeiner Arbeit zu denken. Was ihm aber kein Menſch geglaubt hätte: nach weniger als vier Wochen war er wirklich mit Allem zu Stande gekommen. Sie müſſen ihn einmal, und ohne daß er’s weiß, auf der Orgel phantaſieren hören; er be- handelt ſie auf eine eigene Art und nicht leicht würde ein anderes Inſtrument das eigentliche Weſen dieſes Menſchen ſo rein und vollſtändig ausdrücken können. Ich hätte billig unter ſeinen Vorzügen zuerſt von ſei- ner Frömmigkeit geſprochen, doch wird Ihnen dieſe nach dem bisher Geſagten um ſo wahrer und zärter erſcheinen, und ich brauche jezt deſto weniger Worte davon zu machen. — Klavierſpielen hatte er ſchon früher ohne Anleitung auf einem ſchlechten Pantalon gelernt, mein Vater verſprach, ihm auf ſeinen Ge- burtstag ein ordentliches Inſtrument zu ſchenken. So lange wir in der Stadt wohnen, laß’ ich auch wohl zuweilen den Schlüſſel in dem meinigen ſtecken und mag mir gerne denken, daß er ſich ein Stündchen nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/227
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/227>, abgerufen am 24.11.2024.