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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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du, es hat dich nicht befremdet noch verdrossen, wenn
du seit der ganzen Zeit, als wir uns kennen, nichts
von überschwänglichem Lobe, von enthusiastischen Dis-
kursen über den Gang deines Geistes und derglei-
chen aus meinem Munde vernahmst; ich bin nun ein-
mal wie ich bin. Aber in diesem Augenblick, wo sich
so viel ernste Betrachtung von selbst aufdringt, du
deine Sache gleichsam auf die Spitze stellst, jezt möcht'
ich wohl, daß die Zunge sich mir löste, daß ich dir
sagen könnte, wie ich von Anfang an mit einer stillen
Rührung, mit einer bewundernden Freude deiner Ent-
wicklung zugeschaut, ja gewiß mit mehr Pietät und
Sorgfalt, als du mir zuzutrauen scheinst."

Nolten hörte mit zunehmendem Staunen die
Bekenntnisse seines Freundes, wodurch er sich wirklich
höher geehrt und herzlicher gestärkt fühlte, als durch
das ruhmvollste Lob, das ihm irgend ein mächtiger
Gönner hätte spenden mögen. Er wollte so eben et-
was erwiedern, als der Schauspieler fortfuhr:

"Laß mich dir Eins anführen. Du erinnerst dich
des Gesprächs, das wir bei einem Spazierritt nach L.
zusammen hatten. Es war der köstlichste Abend mit-
ten im Juli, die untergehende Sonne warf ihren ro-
then Schein auf unsere Gesichter, wir schwazten ein
Weites und Breites über die Kunst. Mit jedem
Worte schlossest du, ohne es zu wollen, mir die Bil-
dung deiner Natur vollständiger auf, zum Erstenmal
durft' ich mich freudig in den innern Kelch deines

du, es hat dich nicht befremdet noch verdroſſen, wenn
du ſeit der ganzen Zeit, als wir uns kennen, nichts
von überſchwänglichem Lobe, von enthuſiaſtiſchen Dis-
kurſen über den Gang deines Geiſtes und derglei-
chen aus meinem Munde vernahmſt; ich bin nun ein-
mal wie ich bin. Aber in dieſem Augenblick, wo ſich
ſo viel ernſte Betrachtung von ſelbſt aufdringt, du
deine Sache gleichſam auf die Spitze ſtellſt, jezt möcht’
ich wohl, daß die Zunge ſich mir löste, daß ich dir
ſagen könnte, wie ich von Anfang an mit einer ſtillen
Rührung, mit einer bewundernden Freude deiner Ent-
wicklung zugeſchaut, ja gewiß mit mehr Pietät und
Sorgfalt, als du mir zuzutrauen ſcheinſt.“

Nolten hörte mit zunehmendem Staunen die
Bekenntniſſe ſeines Freundes, wodurch er ſich wirklich
höher geehrt und herzlicher geſtärkt fühlte, als durch
das ruhmvollſte Lob, das ihm irgend ein mächtiger
Gönner hätte ſpenden mögen. Er wollte ſo eben et-
was erwiedern, als der Schauſpieler fortfuhr:

„Laß mich dir Eins anführen. Du erinnerſt dich
des Geſprächs, das wir bei einem Spazierritt nach L.
zuſammen hatten. Es war der köſtlichſte Abend mit-
ten im Juli, die untergehende Sonne warf ihren ro-
then Schein auf unſere Geſichter, wir ſchwazten ein
Weites und Breites über die Kunſt. Mit jedem
Worte ſchloſſeſt du, ohne es zu wollen, mir die Bil-
dung deiner Natur vollſtändiger auf, zum Erſtenmal
durft’ ich mich freudig in den innern Kelch deines

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[338/0024] du, es hat dich nicht befremdet noch verdroſſen, wenn du ſeit der ganzen Zeit, als wir uns kennen, nichts von überſchwänglichem Lobe, von enthuſiaſtiſchen Dis- kurſen über den Gang deines Geiſtes und derglei- chen aus meinem Munde vernahmſt; ich bin nun ein- mal wie ich bin. Aber in dieſem Augenblick, wo ſich ſo viel ernſte Betrachtung von ſelbſt aufdringt, du deine Sache gleichſam auf die Spitze ſtellſt, jezt möcht’ ich wohl, daß die Zunge ſich mir löste, daß ich dir ſagen könnte, wie ich von Anfang an mit einer ſtillen Rührung, mit einer bewundernden Freude deiner Ent- wicklung zugeſchaut, ja gewiß mit mehr Pietät und Sorgfalt, als du mir zuzutrauen ſcheinſt.“ Nolten hörte mit zunehmendem Staunen die Bekenntniſſe ſeines Freundes, wodurch er ſich wirklich höher geehrt und herzlicher geſtärkt fühlte, als durch das ruhmvollſte Lob, das ihm irgend ein mächtiger Gönner hätte ſpenden mögen. Er wollte ſo eben et- was erwiedern, als der Schauſpieler fortfuhr: „Laß mich dir Eins anführen. Du erinnerſt dich des Geſprächs, das wir bei einem Spazierritt nach L. zuſammen hatten. Es war der köſtlichſte Abend mit- ten im Juli, die untergehende Sonne warf ihren ro- then Schein auf unſere Geſichter, wir ſchwazten ein Weites und Breites über die Kunſt. Mit jedem Worte ſchloſſeſt du, ohne es zu wollen, mir die Bil- dung deiner Natur vollſtändiger auf, zum Erſtenmal durft’ ich mich freudig in den innern Kelch deines

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/24>, abgerufen am 21.11.2024.