selbst recht verstehe, so ist's am Ende nur diese son- derbare Herzensnoth, was mich zu dem Bekenntniß unwiderstehlich treibt. Ich kann nicht ruhn, bis ich's in deiner liebevollen Brust begraben, bis ich durch deinen Mund mich freudig und auf immer losgespro- chen weiß."
Der Maler wurde nicht gewahr, wie dieser Ein- gang schon die Arme innig beben machte. In weni- gen, nur schnell hervorgestoßenen Sätzen war endlich ein Theil der unseligen Beichte heraus. Aber das Wort erstirbt ihm plötzlich auf der Zunge. "Vollende nur!" sagt sie mit sanftem Schmeichelton, mit künstli- cher Gelassenheit, indem sie zitternd seine Hände bald küßt, bald streichelt. Er schwankt und hängt besin- nungslos an einem Absturz angstvoll kreisender Ge- danken, er kann nicht rückwärts, nicht voran, unwider- stehlich drängt und zerrt es ihn, er hält sich länger nicht, er zuckt und -- läßt sich fallen. Nun wird ein jedes Wort zum Dolchstich für Agnesens Herz. Otto -- die unterschobenen Briefe -- die Verirrung zu der Gräfin -- Alles ist herausgesagt, nur die Zi- geunerin, ist er so klug, völlig zu übergehn.
Er war zu Ende. Sanft drückt er ihre Hand an seinen Mund; sie aber, stumm und kalt und ver- steinert, gibt nicht das kleinste Zeichen von sich.
"Mein Kind! o liebes Kind!" ruft er, "hab' ich zu viel gesagt? hab' ich? Um Gotteswillen, rede nur ein Wort! was ist dir?"
ſelbſt recht verſtehe, ſo iſt’s am Ende nur dieſe ſon- derbare Herzensnoth, was mich zu dem Bekenntniß unwiderſtehlich treibt. Ich kann nicht ruhn, bis ich’s in deiner liebevollen Bruſt begraben, bis ich durch deinen Mund mich freudig und auf immer losgeſpro- chen weiß.“
Der Maler wurde nicht gewahr, wie dieſer Ein- gang ſchon die Arme innig beben machte. In weni- gen, nur ſchnell hervorgeſtoßenen Sätzen war endlich ein Theil der unſeligen Beichte heraus. Aber das Wort erſtirbt ihm plötzlich auf der Zunge. „Vollende nur!“ ſagt ſie mit ſanftem Schmeichelton, mit künſtli- cher Gelaſſenheit, indem ſie zitternd ſeine Hände bald küßt, bald ſtreichelt. Er ſchwankt und hängt beſin- nungslos an einem Abſturz angſtvoll kreiſender Ge- danken, er kann nicht rückwärts, nicht voran, unwider- ſtehlich drängt und zerrt es ihn, er hält ſich länger nicht, er zuckt und — läßt ſich fallen. Nun wird ein jedes Wort zum Dolchſtich für Agneſens Herz. Otto — die unterſchobenen Briefe — die Verirrung zu der Gräfin — Alles iſt herausgeſagt, nur die Zi- geunerin, iſt er ſo klug, völlig zu übergehn.
Er war zu Ende. Sanft drückt er ihre Hand an ſeinen Mund; ſie aber, ſtumm und kalt und ver- ſteinert, gibt nicht das kleinſte Zeichen von ſich.
„Mein Kind! o liebes Kind!“ ruft er, „hab’ ich zu viel geſagt? hab’ ich? Um Gotteswillen, rede nur ein Wort! was iſt dir?“
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ſelbſt recht verſtehe, ſo iſt’s am Ende nur dieſe ſon-
derbare Herzensnoth, was mich zu dem Bekenntniß
unwiderſtehlich treibt. Ich kann nicht ruhn, bis ich’s
in deiner liebevollen Bruſt begraben, bis ich durch
deinen Mund mich freudig und auf immer losgeſpro-
chen weiß.“
Der Maler wurde nicht gewahr, wie dieſer Ein-
gang ſchon die Arme innig beben machte. In weni-
gen, nur ſchnell hervorgeſtoßenen Sätzen war endlich
ein Theil der unſeligen Beichte heraus. Aber das
Wort erſtirbt ihm plötzlich auf der Zunge. „Vollende
nur!“ ſagt ſie mit ſanftem Schmeichelton, mit künſtli-
cher Gelaſſenheit, indem ſie zitternd ſeine Hände bald
küßt, bald ſtreichelt. Er ſchwankt und hängt beſin-
nungslos an einem Abſturz angſtvoll kreiſender Ge-
danken, er kann nicht rückwärts, nicht voran, unwider-
ſtehlich drängt und zerrt es ihn, er hält ſich länger
nicht, er zuckt und — läßt ſich fallen. Nun wird ein
jedes Wort zum Dolchſtich für Agneſens Herz.
Otto — die unterſchobenen Briefe — die Verirrung
zu der Gräfin — Alles iſt herausgeſagt, nur die Zi-
geunerin, iſt er ſo klug, völlig zu übergehn.
Er war zu Ende. Sanft drückt er ihre Hand
an ſeinen Mund; ſie aber, ſtumm und kalt und ver-
ſteinert, gibt nicht das kleinſte Zeichen von ſich.
„Mein Kind! o liebes Kind!“ ruft er, „hab’ ich
zu viel geſagt? hab’ ich? Um Gotteswillen, rede nur
ein Wort! was iſt dir?“
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 566. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/252>, abgerufen am 22.11.2024.
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