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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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und Worte ausstieß, die nur der Verzweiflung zu ver-
geben sind. Endlich stürzt er dem Schlosse zu, der
Präsident, voll Theilnahme, eilt nach. Auf seinen
Wink wollen einige Leute sich der Verrückten bemäch-
tigen, aber mit einer Schnelligkeit, als hätte sie es
aus der Luft gehascht, schwingt sie ein blankes Messer
drohend in der Faust, daß Niemand sich zu nähern
wagt. Dann stand sie eine ganze Weile ruhig, und
nach einer unbeschreiblich schmerzvollen Gebärde des
Abschieds, indem sie ihre beiden Arme nach der
Seite auswarf, wo Nolten sich entfernt hat, wandte
sie sich und verschwand zögernden Schritts in der
Finsterniß.


Die Nacht ging ruhig vorüber. Agnes hatte
sich gestern, noch eh' der Arzt erschienen war, unter
den Bemühungen so vieler zärtlichen Hände sehr bald
erholt. Das Fräulein und die Schwägerin wichen
die ganze Nacht nicht von ihrem Bette: von Stunde
zu Stunde war Nolten an die Thür getreten, zu
hören, wie es drinne stand. Gesprochen hatte das
Mädchen seit gestern fast nichts, nur in einem wenig
unterbrochenen Schlummer hörte man sie einige Mal
leise wimmern. Am Morgen aber nahm sie das Früh-
stück mit einer erfreulichen Heiterkeit aus Margots
Hand, verlangte, daß diese und Nannette sich nie-
derlegen, und ausruhn, für sich selber wünschte sie

und Worte ausſtieß, die nur der Verzweiflung zu ver-
geben ſind. Endlich ſtürzt er dem Schloſſe zu, der
Präſident, voll Theilnahme, eilt nach. Auf ſeinen
Wink wollen einige Leute ſich der Verrückten bemäch-
tigen, aber mit einer Schnelligkeit, als hätte ſie es
aus der Luft gehaſcht, ſchwingt ſie ein blankes Meſſer
drohend in der Fauſt, daß Niemand ſich zu nähern
wagt. Dann ſtand ſie eine ganze Weile ruhig, und
nach einer unbeſchreiblich ſchmerzvollen Gebärde des
Abſchieds, indem ſie ihre beiden Arme nach der
Seite auswarf, wo Nolten ſich entfernt hat, wandte
ſie ſich und verſchwand zögernden Schritts in der
Finſterniß.


Die Nacht ging ruhig vorüber. Agnes hatte
ſich geſtern, noch eh’ der Arzt erſchienen war, unter
den Bemühungen ſo vieler zärtlichen Hände ſehr bald
erholt. Das Fräulein und die Schwägerin wichen
die ganze Nacht nicht von ihrem Bette: von Stunde
zu Stunde war Nolten an die Thür getreten, zu
hören, wie es drinne ſtand. Geſprochen hatte das
Mädchen ſeit geſtern faſt nichts, nur in einem wenig
unterbrochenen Schlummer hörte man ſie einige Mal
leiſe wimmern. Am Morgen aber nahm ſie das Früh-
ſtück mit einer erfreulichen Heiterkeit aus Margots
Hand, verlangte, daß dieſe und Nannette ſich nie-
derlegen, und ausruhn, für ſich ſelber wünſchte ſie

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[579/0265] und Worte ausſtieß, die nur der Verzweiflung zu ver- geben ſind. Endlich ſtürzt er dem Schloſſe zu, der Präſident, voll Theilnahme, eilt nach. Auf ſeinen Wink wollen einige Leute ſich der Verrückten bemäch- tigen, aber mit einer Schnelligkeit, als hätte ſie es aus der Luft gehaſcht, ſchwingt ſie ein blankes Meſſer drohend in der Fauſt, daß Niemand ſich zu nähern wagt. Dann ſtand ſie eine ganze Weile ruhig, und nach einer unbeſchreiblich ſchmerzvollen Gebärde des Abſchieds, indem ſie ihre beiden Arme nach der Seite auswarf, wo Nolten ſich entfernt hat, wandte ſie ſich und verſchwand zögernden Schritts in der Finſterniß. Die Nacht ging ruhig vorüber. Agnes hatte ſich geſtern, noch eh’ der Arzt erſchienen war, unter den Bemühungen ſo vieler zärtlichen Hände ſehr bald erholt. Das Fräulein und die Schwägerin wichen die ganze Nacht nicht von ihrem Bette: von Stunde zu Stunde war Nolten an die Thür getreten, zu hören, wie es drinne ſtand. Geſprochen hatte das Mädchen ſeit geſtern faſt nichts, nur in einem wenig unterbrochenen Schlummer hörte man ſie einige Mal leiſe wimmern. Am Morgen aber nahm ſie das Früh- ſtück mit einer erfreulichen Heiterkeit aus Margots Hand, verlangte, daß dieſe und Nannette ſich nie- derlegen, und ausruhn, für ſich ſelber wünſchte ſie

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/265>, abgerufen am 24.11.2024.