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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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diesem kleinen Lichtblick so sonderbar gerührt, daß sie
eine Sekunde lang meinte, nun sey die ganze Noth
am Ende und Alles wieder gut.

Man ging jezt auseinander. Eine Person mußte
die Nacht wachen; übrigens kam die ganz anfänglich
getroffene Einrichtung, daß Nannette mit Agnes
in Einem Zimmer schlief, nun freilich sehr zu Statten.


Die tiefe Pause, welche wie durch einen furcht-
baren Zauberschlag im Leben unserer Gesellschaft ein-
getreten war, bezeichnete auch die nächstfolgenden Tage.
Nannette und Margot waren indeß von dem Zu-
sammenhang des Uebels unterrichtet worden. Alles
hatte einen andern Gang im Schlosse angenommen.
Es war nicht anders, als es läge ein Todtkrankes
im Hause; unwillkürlich vermied man jede Art von
Geräusch, auch an Orten, von wo nicht leicht etwas
in Agnesens Abgeschiedenheit hätte dringen können;
es schien, das müsse nun einmal so seyn, und wahr-
lich, wer auch nur den Maler ansah, das leidende
Entsagen, den stumpfen Schmerz in seiner gesunkenen
Haltung, der glaubte nicht leise, nicht zart genug auf-
treten zu können, um durch jede Bewegung, durch jede
kleine Zuvorkommenheit das Unglück zu ehren, das uns in
solchem Fall eine Art von Ehrfurcht abnöthigt. Der Präsi-
dent jedoch tadelte mit Ernst diese Aengstlichkeit, welche
sich selbst auf die Dienerschaft erstreckte; dergleichen,

dieſem kleinen Lichtblick ſo ſonderbar gerührt, daß ſie
eine Sekunde lang meinte, nun ſey die ganze Noth
am Ende und Alles wieder gut.

Man ging jezt auseinander. Eine Perſon mußte
die Nacht wachen; übrigens kam die ganz anfänglich
getroffene Einrichtung, daß Nannette mit Agnes
in Einem Zimmer ſchlief, nun freilich ſehr zu Statten.


Die tiefe Pauſe, welche wie durch einen furcht-
baren Zauberſchlag im Leben unſerer Geſellſchaft ein-
getreten war, bezeichnete auch die nächſtfolgenden Tage.
Nannette und Margot waren indeß von dem Zu-
ſammenhang des Uebels unterrichtet worden. Alles
hatte einen andern Gang im Schloſſe angenommen.
Es war nicht anders, als es läge ein Todtkrankes
im Hauſe; unwillkürlich vermied man jede Art von
Geräuſch, auch an Orten, von wo nicht leicht etwas
in Agneſens Abgeſchiedenheit hätte dringen können;
es ſchien, das müſſe nun einmal ſo ſeyn, und wahr-
lich, wer auch nur den Maler anſah, das leidende
Entſagen, den ſtumpfen Schmerz in ſeiner geſunkenen
Haltung, der glaubte nicht leiſe, nicht zart genug auf-
treten zu können, um durch jede Bewegung, durch jede
kleine Zuvorkommenheit das Unglück zu ehren, das uns in
ſolchem Fall eine Art von Ehrfurcht abnöthigt. Der Präſi-
dent jedoch tadelte mit Ernſt dieſe Aengſtlichkeit, welche
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[585/0271] dieſem kleinen Lichtblick ſo ſonderbar gerührt, daß ſie eine Sekunde lang meinte, nun ſey die ganze Noth am Ende und Alles wieder gut. Man ging jezt auseinander. Eine Perſon mußte die Nacht wachen; übrigens kam die ganz anfänglich getroffene Einrichtung, daß Nannette mit Agnes in Einem Zimmer ſchlief, nun freilich ſehr zu Statten. Die tiefe Pauſe, welche wie durch einen furcht- baren Zauberſchlag im Leben unſerer Geſellſchaft ein- getreten war, bezeichnete auch die nächſtfolgenden Tage. Nannette und Margot waren indeß von dem Zu- ſammenhang des Uebels unterrichtet worden. Alles hatte einen andern Gang im Schloſſe angenommen. Es war nicht anders, als es läge ein Todtkrankes im Hauſe; unwillkürlich vermied man jede Art von Geräuſch, auch an Orten, von wo nicht leicht etwas in Agneſens Abgeſchiedenheit hätte dringen können; es ſchien, das müſſe nun einmal ſo ſeyn, und wahr- lich, wer auch nur den Maler anſah, das leidende Entſagen, den ſtumpfen Schmerz in ſeiner geſunkenen Haltung, der glaubte nicht leiſe, nicht zart genug auf- treten zu können, um durch jede Bewegung, durch jede kleine Zuvorkommenheit das Unglück zu ehren, das uns in ſolchem Fall eine Art von Ehrfurcht abnöthigt. Der Präſi- dent jedoch tadelte mit Ernſt dieſe Aengſtlichkeit, welche ſich ſelbſt auf die Dienerſchaft erſtreckte; dergleichen,

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/271>, abgerufen am 24.11.2024.