hend Ideal zerpflückt, daß ich, ersättigt und enttäuscht am Gegenstande meiner Liebe, zulezt dastehe -- arm -- mit welkem Herzen? Du merkst, ich rede hier zu- nächst von dem gepriesenen Glück der Ehe: denn dieß ist's doch, um was deine ganze Demonstration sich dreht."
"Und was gilt es, ich bringe dich noch zurechte, wenn ich nur erst deine tollen Prätensionen herabge- stimmt habe! Wer heißt dich Ideale im Kopf tragen, wo von Liebe die Rede ist? Bei allen Grazien und Musen! ein gutes natürliches Geschöpf, das dir einen Himmel voll Zärtlichkeit, voll aufopfernder Treu' ent- gegenbringt, dir den gesunden Muth erhält, den fri- schen Blick in die Welt, dich freundlich losspannt von der wühlenden Begier einer geschäftigen Einbildung und dich zur rechten Zeit herauslockt in die helle All- tagssonne, die doch dem Weisen wie dem Thoren gleich unentbehrlich ist -- was willst du weiter?"
Nolten sah schweigend vor sich nieder und sagte endlich: "Es gab eine Zeit, wo ich eben so dachte." Er waudte sich erschüttert auf die Seite, ging mit lebhaften Schritten durch den Saal und ließ sich dann erschöpft auf einen entfernten Stuhl nieder.
Der Schauspieler, nachdem er die Erörterung des ihm über Alles wichtigen Gegenstands nicht ohne Klug- heit und Nachdruck bis hieher geführt, war voll Be- gierde, den Augenblick zu nutzen, und jezt mit dem Gedanken an Agnes entschiedener hervorzutreten, mußte jedoch von diesem Wagniß ganz abstehen, da er
hend Ideal zerpflückt, daß ich, erſättigt und enttäuſcht am Gegenſtande meiner Liebe, zulezt daſtehe — arm — mit welkem Herzen? Du merkſt, ich rede hier zu- nächſt von dem geprieſenen Glück der Ehe: denn dieß iſt’s doch, um was deine ganze Demonſtration ſich dreht.“
„Und was gilt es, ich bringe dich noch zurechte, wenn ich nur erſt deine tollen Prätenſionen herabge- ſtimmt habe! Wer heißt dich Ideale im Kopf tragen, wo von Liebe die Rede iſt? Bei allen Grazien und Muſen! ein gutes natürliches Geſchöpf, das dir einen Himmel voll Zärtlichkeit, voll aufopfernder Treu’ ent- gegenbringt, dir den geſunden Muth erhält, den fri- ſchen Blick in die Welt, dich freundlich losſpannt von der wühlenden Begier einer geſchäftigen Einbildung und dich zur rechten Zeit herauslockt in die helle All- tagsſonne, die doch dem Weiſen wie dem Thoren gleich unentbehrlich iſt — was willſt du weiter?“
Nolten ſah ſchweigend vor ſich nieder und ſagte endlich: „Es gab eine Zeit, wo ich eben ſo dachte.“ Er waudte ſich erſchüttert auf die Seite, ging mit lebhaften Schritten durch den Saal und ließ ſich dann erſchöpft auf einen entfernten Stuhl nieder.
Der Schauſpieler, nachdem er die Erörterung des ihm über Alles wichtigen Gegenſtands nicht ohne Klug- heit und Nachdruck bis hieher geführt, war voll Be- gierde, den Augenblick zu nutzen, und jezt mit dem Gedanken an Agnes entſchiedener hervorzutreten, mußte jedoch von dieſem Wagniß ganz abſtehen, da er
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[342/0028]
hend Ideal zerpflückt, daß ich, erſättigt und enttäuſcht
am Gegenſtande meiner Liebe, zulezt daſtehe — arm —
mit welkem Herzen? Du merkſt, ich rede hier zu-
nächſt von dem geprieſenen Glück der Ehe: denn dieß
iſt’s doch, um was deine ganze Demonſtration ſich dreht.“
„Und was gilt es, ich bringe dich noch zurechte,
wenn ich nur erſt deine tollen Prätenſionen herabge-
ſtimmt habe! Wer heißt dich Ideale im Kopf tragen,
wo von Liebe die Rede iſt? Bei allen Grazien und
Muſen! ein gutes natürliches Geſchöpf, das dir einen
Himmel voll Zärtlichkeit, voll aufopfernder Treu’ ent-
gegenbringt, dir den geſunden Muth erhält, den fri-
ſchen Blick in die Welt, dich freundlich losſpannt von
der wühlenden Begier einer geſchäftigen Einbildung
und dich zur rechten Zeit herauslockt in die helle All-
tagsſonne, die doch dem Weiſen wie dem Thoren gleich
unentbehrlich iſt — was willſt du weiter?“
Nolten ſah ſchweigend vor ſich nieder und ſagte
endlich: „Es gab eine Zeit, wo ich eben ſo dachte.“
Er waudte ſich erſchüttert auf die Seite, ging mit
lebhaften Schritten durch den Saal und ließ ſich dann
erſchöpft auf einen entfernten Stuhl nieder.
Der Schauſpieler, nachdem er die Erörterung des
ihm über Alles wichtigen Gegenſtands nicht ohne Klug-
heit und Nachdruck bis hieher geführt, war voll Be-
gierde, den Augenblick zu nutzen, und jezt mit dem
Gedanken an Agnes entſchiedener hervorzutreten,
mußte jedoch von dieſem Wagniß ganz abſtehen, da er
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/28>, abgerufen am 23.11.2024.
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