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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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ihr zornig den Rücken und sagte, nachdem sie weg war:
"Mir wird ganz übel, seh' ich die Käthe. Gestern
hört' ich sie dort über die Mauer einem Bauerburschen
zurufen: weißt du schon, daß die fremde Mamsell bei
uns zur Närrin worden ist? Das erzdumme Mensch.
Wer ist verrückt? Niemand ist verrückt. Die Vorsehung
ist gnädig. Deßwegen heißt es auch in meinem heuti-
gen Morgengebet:

Wollest mit Freuden,
Und wollest mit Leiden
Mich nicht überschütten!
Doch in der Mitten
Liegt holdes Bescheiden.

Ja, nichts geht über die Zufriedenheit. Gott-
lob, diese hab' ich; fehlt nur noch Eins, fehlt leider
nur noch Eins!"

So ging es denn oft lange fort. Und wenn nun
Henni, vom Maler täglich einige Mal aufgefordert,
nichts Tröstlicheres zu berichten hatte, so brach dem
armen Manne fast das Herz.

Die Aerzte, die man befragt, gaben bloß Regeln
an, die sich von selber verstanden und überdieß bei dem
Eigensinn der Kranken schwer anzuwenden waren. Zum
Beispiel ließ sie sich um keinen Preis bewegen, an der
allgemeinen Tafel zu speisen; und nur etwa wenn
man beim Rachtisch noch auf dem Saale beisammen
saß, erschien sie zuweilen unvermuthet in der offenen
Thür des Nebenzimmers, mit ruhigen Augen rings
auf der Gesellschaft verweilend, ganz wieder in der

ihr zornig den Rücken und ſagte, nachdem ſie weg war:
„Mir wird ganz übel, ſeh’ ich die Käthe. Geſtern
hört’ ich ſie dort über die Mauer einem Bauerburſchen
zurufen: weißt du ſchon, daß die fremde Mamſell bei
uns zur Närrin worden iſt? Das erzdumme Menſch.
Wer iſt verrückt? Niemand iſt verrückt. Die Vorſehung
iſt gnädig. Deßwegen heißt es auch in meinem heuti-
gen Morgengebet:

Wolleſt mit Freuden,
Und wolleſt mit Leiden
Mich nicht überſchütten!
Doch in der Mitten
Liegt holdes Beſcheiden.

Ja, nichts geht über die Zufriedenheit. Gott-
lob, dieſe hab’ ich; fehlt nur noch Eins, fehlt leider
nur noch Eins!“

So ging es denn oft lange fort. Und wenn nun
Henni, vom Maler täglich einige Mal aufgefordert,
nichts Tröſtlicheres zu berichten hatte, ſo brach dem
armen Manne faſt das Herz.

Die Aerzte, die man befragt, gaben bloß Regeln
an, die ſich von ſelber verſtanden und überdieß bei dem
Eigenſinn der Kranken ſchwer anzuwenden waren. Zum
Beiſpiel ließ ſie ſich um keinen Preis bewegen, an der
allgemeinen Tafel zu ſpeiſen; und nur etwa wenn
man beim Rachtiſch noch auf dem Saale beiſammen
ſaß, erſchien ſie zuweilen unvermuthet in der offenen
Thür des Nebenzimmers, mit ruhigen Augen rings
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[597/0283] ihr zornig den Rücken und ſagte, nachdem ſie weg war: „Mir wird ganz übel, ſeh’ ich die Käthe. Geſtern hört’ ich ſie dort über die Mauer einem Bauerburſchen zurufen: weißt du ſchon, daß die fremde Mamſell bei uns zur Närrin worden iſt? Das erzdumme Menſch. Wer iſt verrückt? Niemand iſt verrückt. Die Vorſehung iſt gnädig. Deßwegen heißt es auch in meinem heuti- gen Morgengebet: Wolleſt mit Freuden, Und wolleſt mit Leiden Mich nicht überſchütten! Doch in der Mitten Liegt holdes Beſcheiden. Ja, nichts geht über die Zufriedenheit. Gott- lob, dieſe hab’ ich; fehlt nur noch Eins, fehlt leider nur noch Eins!“ So ging es denn oft lange fort. Und wenn nun Henni, vom Maler täglich einige Mal aufgefordert, nichts Tröſtlicheres zu berichten hatte, ſo brach dem armen Manne faſt das Herz. Die Aerzte, die man befragt, gaben bloß Regeln an, die ſich von ſelber verſtanden und überdieß bei dem Eigenſinn der Kranken ſchwer anzuwenden waren. Zum Beiſpiel ließ ſie ſich um keinen Preis bewegen, an der allgemeinen Tafel zu ſpeiſen; und nur etwa wenn man beim Rachtiſch noch auf dem Saale beiſammen ſaß, erſchien ſie zuweilen unvermuthet in der offenen Thür des Nebenzimmers, mit ruhigen Augen rings auf der Geſellſchaft verweilend, ganz wieder in der

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 597. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/283>, abgerufen am 25.11.2024.