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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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vergessene Kerze mit mattem Scheine; die Zimmer
stellten selbst ein Bild der Angst und Zerstörung dar,
denn alle Dinge lagen und standen, wie man sie ge-
stern Morgen im ersten Schrecken liegen lassen, un-
ordentlich umher. Die Schloßuhr ließ von Zeit zu
Zeit ihren weinerlichen Klang vernehmen, von den
Anlagen her schlug eine Nachtigall in vollen, herrli-
chen Tönen.

Auf ein Zeichen des Präsidenten erhob man sich
endlich, zu Bette zu gehen. Ein Theil der Diener-
schaft blieb wach.

Gegen drei Uhr des Morgens, da eben der Tag
zu grauen begann, gaben im Hofe die Hunde Laut,
verstummten jedoch sogleich wieder. Margot öffnet
indeß ihr Fenster und sieht in der blassen Dämme-
rung eine Anzahl Männer, darunter den Gärtner
und seinen Sohn, mit halb erloschenen Laternen am
Schloßthor stehn, welches nur angelehnt war und sich
leise aufthat. Eine plötzliche Ahnung durchschneidet
dem Fräulein das Herz und laut aufschreiend wirft
sie das Fenster zu, denn ihr schien, als wären zwei jener
Leute bemüht, einen entsetzlichen Fund in's Haus zu
tragen. Gleich darauf hört sie die Glocke vom Schlaf-
zimmer ihres Vaters. Alles stürzt, nur halb an-
gekleidet, von allen Ecken und Enden herbei.

Die Verlorene war wirklich aufgefunden wor-
den, doch leider todt und ohne Rettung. Vor einer
Stunde wurde der Körper nach langen mühsamen

vergeſſene Kerze mit mattem Scheine; die Zimmer
ſtellten ſelbſt ein Bild der Angſt und Zerſtörung dar,
denn alle Dinge lagen und ſtanden, wie man ſie ge-
ſtern Morgen im erſten Schrecken liegen laſſen, un-
ordentlich umher. Die Schloßuhr ließ von Zeit zu
Zeit ihren weinerlichen Klang vernehmen, von den
Anlagen her ſchlug eine Nachtigall in vollen, herrli-
chen Tönen.

Auf ein Zeichen des Präſidenten erhob man ſich
endlich, zu Bette zu gehen. Ein Theil der Diener-
ſchaft blieb wach.

Gegen drei Uhr des Morgens, da eben der Tag
zu grauen begann, gaben im Hofe die Hunde Laut,
verſtummten jedoch ſogleich wieder. Margot öffnet
indeß ihr Fenſter und ſieht in der blaſſen Dämme-
rung eine Anzahl Männer, darunter den Gärtner
und ſeinen Sohn, mit halb erloſchenen Laternen am
Schloßthor ſtehn, welches nur angelehnt war und ſich
leiſe aufthat. Eine plötzliche Ahnung durchſchneidet
dem Fräulein das Herz und laut aufſchreiend wirft
ſie das Fenſter zu, denn ihr ſchien, als wären zwei jener
Leute bemüht, einen entſetzlichen Fund in’s Haus zu
tragen. Gleich darauf hört ſie die Glocke vom Schlaf-
zimmer ihres Vaters. Alles ſtürzt, nur halb an-
gekleidet, von allen Ecken und Enden herbei.

Die Verlorene war wirklich aufgefunden wor-
den, doch leider todt und ohne Rettung. Vor einer
Stunde wurde der Körper nach langen mühſamen

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[623/0309] vergeſſene Kerze mit mattem Scheine; die Zimmer ſtellten ſelbſt ein Bild der Angſt und Zerſtörung dar, denn alle Dinge lagen und ſtanden, wie man ſie ge- ſtern Morgen im erſten Schrecken liegen laſſen, un- ordentlich umher. Die Schloßuhr ließ von Zeit zu Zeit ihren weinerlichen Klang vernehmen, von den Anlagen her ſchlug eine Nachtigall in vollen, herrli- chen Tönen. Auf ein Zeichen des Präſidenten erhob man ſich endlich, zu Bette zu gehen. Ein Theil der Diener- ſchaft blieb wach. Gegen drei Uhr des Morgens, da eben der Tag zu grauen begann, gaben im Hofe die Hunde Laut, verſtummten jedoch ſogleich wieder. Margot öffnet indeß ihr Fenſter und ſieht in der blaſſen Dämme- rung eine Anzahl Männer, darunter den Gärtner und ſeinen Sohn, mit halb erloſchenen Laternen am Schloßthor ſtehn, welches nur angelehnt war und ſich leiſe aufthat. Eine plötzliche Ahnung durchſchneidet dem Fräulein das Herz und laut aufſchreiend wirft ſie das Fenſter zu, denn ihr ſchien, als wären zwei jener Leute bemüht, einen entſetzlichen Fund in’s Haus zu tragen. Gleich darauf hört ſie die Glocke vom Schlaf- zimmer ihres Vaters. Alles ſtürzt, nur halb an- gekleidet, von allen Ecken und Enden herbei. Die Verlorene war wirklich aufgefunden wor- den, doch leider todt und ohne Rettung. Vor einer Stunde wurde der Körper nach langen mühſamen

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 623. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/309>, abgerufen am 21.11.2024.