forderlichen Raum. Heut ist die zweite Sitzung. Das Närrische dabei ist, daß er sich nicht entschließen kann, was er eigentlich machen soll. Er behauptet, wenn man eine Weile in's Blaue hinein versuche und den Zufall mitunter walten lasse, so gerathe man häufig auf die besten Ideen."
"Er hat Recht!" sagte Theobald.
"Er hat nicht Unrecht," versezte der Alte; "wenn mir aber solch ein Verfahren am Ende nur nicht gar zu dilettantisch würde! So fängt er neulich einen Amor in Thon zu formen an, wozu er das Muster auf der Gasse unter den Betteljungen aufgriff, wirk- lich ein delikates Füllen, schmutzig, jedoch zum Küssen die Gestalt. Seitdem nun aber die Geliebte sich ein- gestellt, durfte der Liebesgott springen; jezt liegt ihm die aufdringliche Kröte, die sich gar gut bei dem Han- del gestanden, tagtäglich auf dem Hals, und daß der Bursche nicht schon im Hemdchen unter's Haus kömmt, ist Alles; neulich ward er gar boshaft und paßte der Braut mit einem Prügel auf; recht ein Cupido dirus!"
"Ein Anteros!" rief Theobald lachend.
"Suchen Sie doch einiges Verhältniß zu Ray- mund," fuhr der Hofrath fort, "es wird Ihnen leicht werden: er respektirt Sie höchlich, und das will bei dem stolzen Menschen schon etwas heißen. Sie finden das ehrlichste Blut in ihm und ein eminentes, leider noch wildes Talent. Es ärgert Manches an ihm, Kleinigkeiten vielleicht, die indessen doch einen Man-
forderlichen Raum. Heut iſt die zweite Sitzung. Das Närriſche dabei iſt, daß er ſich nicht entſchließen kann, was er eigentlich machen ſoll. Er behauptet, wenn man eine Weile in’s Blaue hinein verſuche und den Zufall mitunter walten laſſe, ſo gerathe man häufig auf die beſten Ideen.“
„Er hat Recht!“ ſagte Theobald.
„Er hat nicht Unrecht,“ verſezte der Alte; „wenn mir aber ſolch ein Verfahren am Ende nur nicht gar zu dilettantiſch würde! So fängt er neulich einen Amor in Thon zu formen an, wozu er das Muſter auf der Gaſſe unter den Betteljungen aufgriff, wirk- lich ein delikates Füllen, ſchmutzig, jedoch zum Küſſen die Geſtalt. Seitdem nun aber die Geliebte ſich ein- geſtellt, durfte der Liebesgott ſpringen; jezt liegt ihm die aufdringliche Kröte, die ſich gar gut bei dem Han- del geſtanden, tagtäglich auf dem Hals, und daß der Burſche nicht ſchon im Hemdchen unter’s Haus kömmt, iſt Alles; neulich ward er gar boshaft und paßte der Braut mit einem Prügel auf; recht ein Cupido dirus!“
„Ein Anteros!“ rief Theobald lachend.
„Suchen Sie doch einiges Verhältniß zu Ray- mund,“ fuhr der Hofrath fort, „es wird Ihnen leicht werden: er reſpektirt Sie höchlich, und das will bei dem ſtolzen Menſchen ſchon etwas heißen. Sie finden das ehrlichſte Blut in ihm und ein eminentes, leider noch wildes Talent. Es ärgert Manches an ihm, Kleinigkeiten vielleicht, die indeſſen doch einen Man-
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forderlichen Raum. Heut iſt die zweite Sitzung. Das
Närriſche dabei iſt, daß er ſich nicht entſchließen kann,
was er eigentlich machen ſoll. Er behauptet, wenn
man eine Weile in’s Blaue hinein verſuche und den
Zufall mitunter walten laſſe, ſo gerathe man häufig
auf die beſten Ideen.“
„Er hat Recht!“ ſagte Theobald.
„Er hat nicht Unrecht,“ verſezte der Alte; „wenn
mir aber ſolch ein Verfahren am Ende nur nicht gar
zu dilettantiſch würde! So fängt er neulich einen
Amor in Thon zu formen an, wozu er das Muſter
auf der Gaſſe unter den Betteljungen aufgriff, wirk-
lich ein delikates Füllen, ſchmutzig, jedoch zum Küſſen
die Geſtalt. Seitdem nun aber die Geliebte ſich ein-
geſtellt, durfte der Liebesgott ſpringen; jezt liegt ihm
die aufdringliche Kröte, die ſich gar gut bei dem Han-
del geſtanden, tagtäglich auf dem Hals, und daß der
Burſche nicht ſchon im Hemdchen unter’s Haus kömmt,
iſt Alles; neulich ward er gar boshaft und paßte der
Braut mit einem Prügel auf; recht ein Cupido dirus!“
„Ein Anteros!“ rief Theobald lachend.
„Suchen Sie doch einiges Verhältniß zu Ray-
mund,“ fuhr der Hofrath fort, „es wird Ihnen leicht
werden: er reſpektirt Sie höchlich, und das will bei
dem ſtolzen Menſchen ſchon etwas heißen. Sie finden
das ehrlichſte Blut in ihm und ein eminentes, leider
noch wildes Talent. Es ärgert Manches an ihm,
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/59>, abgerufen am 21.11.2024.
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