Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.Von dem Verfall des Handwerks die Mittel angeben will, wie einem Uebel abzuhelfen: so istes doch allemal gut, sie noch einmal aufzusuchen und mit Auf- merksamkeit zu betrachten. Erst müssen wir aber sehen, wo- durch die großen Städte den kleinen so vieles abgewonnen ha- ben, und noch abgewinnen. Der erste Meister, der es in einer großen Stadt so hoch brachte, daß er dreißig, vierzig und mehr Gesellen halten konnte, verfiel ganz natürlicher Weise auf den Gedanken, jedem Jungen oder Gesellen sein eignes Fach anzuweisen, und denselben dazu ganz allein zu gebrau- chen. So unterrichtete ein Uhrmacher zuerst einen Gesellen blos in der Kunst die Uhrfedern zu machen. Ein ander durfte nichts als Stifte; und ein ander nichts als Räder arbeiten. Dieser verfertigte Ziferblätter, jener emaillirte sie, und ein andrer machte Gehäuse dazu, die wiederum ein andrer gravirte oder durch getriebene Arbeit verschönerte. Wie alle diese Ge- sellen ausgelernet hatten, verstand keiner eine ganze Uhr zu machen. Sie blieben also, wie sie sich besonders sezten und heyratheten, von dem Hauptuhrmacher abhängig und gezwun- gen sich unter ihm an dem großen Orte aufzuhalten, wo er seinen Markt aufschlug. Eben so machte es der Tischler. Er hatte funfzig und mehr Gesellen; der eine lernte nichts als Stuhlbeine schneiden; der andere lernte sie ausarbeiten, und der dritte poliren. Nach einer nothwendigen Folge behielt er diese seine Gesellen, wie sie alle Haarklauber in ihrer Art, und Meister für sich waren, als Taglöhner neben sich; oder wo sie sich verändern wollten, musten sie an einem eben so großen Ort gehen, wo sie andern Hauptmeistern in die Hand arbeiten konnten. Dies ist die kurze Geschichte von dem Ursprung der so- zel
Von dem Verfall des Handwerks die Mittel angeben will, wie einem Uebel abzuhelfen: ſo iſtes doch allemal gut, ſie noch einmal aufzuſuchen und mit Auf- merkſamkeit zu betrachten. Erſt muͤſſen wir aber ſehen, wo- durch die großen Staͤdte den kleinen ſo vieles abgewonnen ha- ben, und noch abgewinnen. Der erſte Meiſter, der es in einer großen Stadt ſo hoch brachte, daß er dreißig, vierzig und mehr Geſellen halten konnte, verfiel ganz natuͤrlicher Weiſe auf den Gedanken, jedem Jungen oder Geſellen ſein eignes Fach anzuweiſen, und denſelben dazu ganz allein zu gebrau- chen. So unterrichtete ein Uhrmacher zuerſt einen Geſellen blos in der Kunſt die Uhrfedern zu machen. Ein ander durfte nichts als Stifte; und ein ander nichts als Raͤder arbeiten. Dieſer verfertigte Ziferblaͤtter, jener emaillirte ſie, und ein andrer machte Gehaͤuſe dazu, die wiederum ein andrer gravirte oder durch getriebene Arbeit verſchoͤnerte. Wie alle dieſe Ge- ſellen ausgelernet hatten, verſtand keiner eine ganze Uhr zu machen. Sie blieben alſo, wie ſie ſich beſonders ſezten und heyratheten, von dem Hauptuhrmacher abhaͤngig und gezwun- gen ſich unter ihm an dem großen Orte aufzuhalten, wo er ſeinen Markt aufſchlug. Eben ſo machte es der Tiſchler. Er hatte funfzig und mehr Geſellen; der eine lernte nichts als Stuhlbeine ſchneiden; der andere lernte ſie ausarbeiten, und der dritte poliren. Nach einer nothwendigen Folge behielt er dieſe ſeine Geſellen, wie ſie alle Haarklauber in ihrer Art, und Meiſter fuͤr ſich waren, als Tagloͤhner neben ſich; oder wo ſie ſich veraͤndern wollten, muſten ſie an einem eben ſo großen Ort gehen, wo ſie andern Hauptmeiſtern in die Hand arbeiten konnten. Dies iſt die kurze Geſchichte von dem Urſprung der ſo- zel
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Von dem Verfall des Handwerks
die Mittel angeben will, wie einem Uebel abzuhelfen: ſo iſt
es doch allemal gut, ſie noch einmal aufzuſuchen und mit Auf-
merkſamkeit zu betrachten. Erſt muͤſſen wir aber ſehen, wo-
durch die großen Staͤdte den kleinen ſo vieles abgewonnen ha-
ben, und noch abgewinnen. Der erſte Meiſter, der es in
einer großen Stadt ſo hoch brachte, daß er dreißig, vierzig und
mehr Geſellen halten konnte, verfiel ganz natuͤrlicher Weiſe
auf den Gedanken, jedem Jungen oder Geſellen ſein eignes
Fach anzuweiſen, und denſelben dazu ganz allein zu gebrau-
chen. So unterrichtete ein Uhrmacher zuerſt einen Geſellen
blos in der Kunſt die Uhrfedern zu machen. Ein ander durfte
nichts als Stifte; und ein ander nichts als Raͤder arbeiten.
Dieſer verfertigte Ziferblaͤtter, jener emaillirte ſie, und ein
andrer machte Gehaͤuſe dazu, die wiederum ein andrer gravirte
oder durch getriebene Arbeit verſchoͤnerte. Wie alle dieſe Ge-
ſellen ausgelernet hatten, verſtand keiner eine ganze Uhr zu
machen. Sie blieben alſo, wie ſie ſich beſonders ſezten und
heyratheten, von dem Hauptuhrmacher abhaͤngig und gezwun-
gen ſich unter ihm an dem großen Orte aufzuhalten, wo er
ſeinen Markt aufſchlug. Eben ſo machte es der Tiſchler. Er
hatte funfzig und mehr Geſellen; der eine lernte nichts als
Stuhlbeine ſchneiden; der andere lernte ſie ausarbeiten, und
der dritte poliren. Nach einer nothwendigen Folge behielt er
dieſe ſeine Geſellen, wie ſie alle Haarklauber in ihrer Art,
und Meiſter fuͤr ſich waren, als Tagloͤhner neben ſich; oder
wo ſie ſich veraͤndern wollten, muſten ſie an einem eben ſo
großen Ort gehen, wo ſie andern Hauptmeiſtern in die Hand
arbeiten konnten.
Dies iſt die kurze Geſchichte von dem Urſprung der ſo-
nenannten Simplification, und noch jetzt der Gebrauch in London
wie in Paris. Die großen Meiſter genieſſen auſſer der Huͤl-
fe ihrer Geſellen, den Vortheil einige hundert ſolcher in ein-
zel
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