Eine andre Frage ist es jedoch, ob eine Stadt unter einem Amtmann solchergestalt bestehen können? Hievon findet sich kein Exempel in der Geschichte; und es ist auch gar nicht glaublich oder wahrscheinlich, daß irgend eine beträchtliche Anzahl von geschickten, fleißigen und unternehmenden Hand- werkern oder Kaufleuten sich jemals auf andre Art vereinigen könne und werde, ohne eine bürgerliche Obrigkeit ihres Mit- tels zu haben. Eben deswegen aber ist es um so viel nöthi- ger auf die Wiederherstellung der gemeinen Ehre zu denken. Die Mittel, Städte in Flor zu bringen, jedem Bürger Pa- triotismus einzuflößen, und ihn zu großen Unternehmungen zu begeistern, waren in den alten Zeiten Ehre, Ruhm, Frey- heit und Privilegien. In den neuern Zeiten glaubt man sich zu versündigen, wenn man ihnen einen Ehrentittel mehr giebt, als sie vor drey hundert Jahren gehabt. Trefliche Politik, deren Ungrund nicht deutlicher als aus dem elenden Anblicke der Städte selbst erhellet. Der Abfall jener Ehre hat aber nicht allein die besten und bemitteltesten Leute in den Herrn- dienst gejagt; ihre Söhne zu Titteln, und ihre Töchter zu unbürgerlichen Ehen verführt; sondern auch auf die niedrig- ste Classe der Einwohner gewürket. Sie ist an manchen Or- ten Schuld daran, daß der Taglöhner dem Bürger gleich auf die Wache ziehen, und solchergestalt den vierten Pfennig von seinem Erwerb steuren muß. Denn da er des Jahrs gewiß 50 Wachen thun muß, und nach der von den französischen Generalpächtern jetzt gemachten Rechnung, welche jedoch das Parlament noch viel zu stark findet, nur zweyhundert Arbeits- tage im Jahr, sonst aber kein Vermögen hat: so steuret der Taglöhner, der funfzigmal des Jahrs auf die Wache zieht, den vierten von allem was er hat. Dies ist eine übermäßige Steuer; die ihm nie würde aufgebürdet seyn, wenn der wahre Bürger die alte Ehre eines Garnisonsoldaten behalten, und
man
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in kleinen Staͤdten.
Eine andre Frage iſt es jedoch, ob eine Stadt unter einem Amtmann ſolchergeſtalt beſtehen koͤnnen? Hievon findet ſich kein Exempel in der Geſchichte; und es iſt auch gar nicht glaublich oder wahrſcheinlich, daß irgend eine betraͤchtliche Anzahl von geſchickten, fleißigen und unternehmenden Hand- werkern oder Kaufleuten ſich jemals auf andre Art vereinigen koͤnne und werde, ohne eine buͤrgerliche Obrigkeit ihres Mit- tels zu haben. Eben deswegen aber iſt es um ſo viel noͤthi- ger auf die Wiederherſtellung der gemeinen Ehre zu denken. Die Mittel, Staͤdte in Flor zu bringen, jedem Buͤrger Pa- triotiſmus einzufloͤßen, und ihn zu großen Unternehmungen zu begeiſtern, waren in den alten Zeiten Ehre, Ruhm, Frey- heit und Privilegien. In den neuern Zeiten glaubt man ſich zu verſuͤndigen, wenn man ihnen einen Ehrentittel mehr giebt, als ſie vor drey hundert Jahren gehabt. Trefliche Politik, deren Ungrund nicht deutlicher als aus dem elenden Anblicke der Staͤdte ſelbſt erhellet. Der Abfall jener Ehre hat aber nicht allein die beſten und bemittelteſten Leute in den Herrn- dienſt gejagt; ihre Soͤhne zu Titteln, und ihre Toͤchter zu unbuͤrgerlichen Ehen verfuͤhrt; ſondern auch auf die niedrig- ſte Claſſe der Einwohner gewuͤrket. Sie iſt an manchen Or- ten Schuld daran, daß der Tagloͤhner dem Buͤrger gleich auf die Wache ziehen, und ſolchergeſtalt den vierten Pfennig von ſeinem Erwerb ſteuren muß. Denn da er des Jahrs gewiß 50 Wachen thun muß, und nach der von den franzoͤſiſchen Generalpaͤchtern jetzt gemachten Rechnung, welche jedoch das Parlament noch viel zu ſtark findet, nur zweyhundert Arbeits- tage im Jahr, ſonſt aber kein Vermoͤgen hat: ſo ſteuret der Tagloͤhner, der funfzigmal des Jahrs auf die Wache zieht, den vierten von allem was er hat. Dies iſt eine uͤbermaͤßige Steuer; die ihm nie wuͤrde aufgebuͤrdet ſeyn, wenn der wahre Buͤrger die alte Ehre eines Garniſonſoldaten behalten, und
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in kleinen Staͤdten.
Eine andre Frage iſt es jedoch, ob eine Stadt unter
einem Amtmann ſolchergeſtalt beſtehen koͤnnen? Hievon findet
ſich kein Exempel in der Geſchichte; und es iſt auch gar nicht
glaublich oder wahrſcheinlich, daß irgend eine betraͤchtliche
Anzahl von geſchickten, fleißigen und unternehmenden Hand-
werkern oder Kaufleuten ſich jemals auf andre Art vereinigen
koͤnne und werde, ohne eine buͤrgerliche Obrigkeit ihres Mit-
tels zu haben. Eben deswegen aber iſt es um ſo viel noͤthi-
ger auf die Wiederherſtellung der gemeinen Ehre zu denken.
Die Mittel, Staͤdte in Flor zu bringen, jedem Buͤrger Pa-
triotiſmus einzufloͤßen, und ihn zu großen Unternehmungen
zu begeiſtern, waren in den alten Zeiten Ehre, Ruhm, Frey-
heit und Privilegien. In den neuern Zeiten glaubt man ſich
zu verſuͤndigen, wenn man ihnen einen Ehrentittel mehr giebt,
als ſie vor drey hundert Jahren gehabt. Trefliche Politik,
deren Ungrund nicht deutlicher als aus dem elenden Anblicke
der Staͤdte ſelbſt erhellet. Der Abfall jener Ehre hat aber
nicht allein die beſten und bemittelteſten Leute in den Herrn-
dienſt gejagt; ihre Soͤhne zu Titteln, und ihre Toͤchter zu
unbuͤrgerlichen Ehen verfuͤhrt; ſondern auch auf die niedrig-
ſte Claſſe der Einwohner gewuͤrket. Sie iſt an manchen Or-
ten Schuld daran, daß der Tagloͤhner dem Buͤrger gleich auf
die Wache ziehen, und ſolchergeſtalt den vierten Pfennig von
ſeinem Erwerb ſteuren muß. Denn da er des Jahrs gewiß
50 Wachen thun muß, und nach der von den franzoͤſiſchen
Generalpaͤchtern jetzt gemachten Rechnung, welche jedoch das
Parlament noch viel zu ſtark findet, nur zweyhundert Arbeits-
tage im Jahr, ſonſt aber kein Vermoͤgen hat: ſo ſteuret der
Tagloͤhner, der funfzigmal des Jahrs auf die Wache zieht,
den vierten von allem was er hat. Dies iſt eine uͤbermaͤßige
Steuer; die ihm nie wuͤrde aufgebuͤrdet ſeyn, wenn der wahre
Buͤrger die alte Ehre eines Garniſonſoldaten behalten, und
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/219>, abgerufen am 16.02.2025.
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