Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.Die Politick der Freundschaft. unterrichtet sey. Nie kann dieser uns hernach wieder unterdie Augen treten, ohne sich zu schämen: und wer sich vor uns zu schämen hat, der flieht uns erst, haßt uns leicht, und ver- folgt uns zuletzt, um sich eines beschwerlichen Zeugens seiner Unwürdigkeit zu entledigen. Aber wenn mir nun der Haß und die größte Feindschaft Das ist nicht möglich. Eine Person, welche Sie ein- zeihung
Die Politick der Freundſchaft. unterrichtet ſey. Nie kann dieſer uns hernach wieder unterdie Augen treten, ohne ſich zu ſchaͤmen: und wer ſich vor uns zu ſchaͤmen hat, der flieht uns erſt, haßt uns leicht, und ver- folgt uns zuletzt, um ſich eines beſchwerlichen Zeugens ſeiner Unwuͤrdigkeit zu entledigen. Aber wenn mir nun der Haß und die groͤßte Feindſchaft Das iſt nicht moͤglich. Eine Perſon, welche Sie ein- zeihung
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Die Politick der Freundſchaft.
unterrichtet ſey. Nie kann dieſer uns hernach wieder unter
die Augen treten, ohne ſich zu ſchaͤmen: und wer ſich vor uns
zu ſchaͤmen hat, der flieht uns erſt, haßt uns leicht, und ver-
folgt uns zuletzt, um ſich eines beſchwerlichen Zeugens ſeiner
Unwuͤrdigkeit zu entledigen.
Aber wenn mir nun der Haß und die groͤßte Feindſchaft
einer ſolchen Perſon als diejenige iſt, woruͤber ich mich beklage,
angenehmer waͤre als alle die Freundſchaft, welche ſie mir
ehedem gezeigt hat?
Das iſt nicht moͤglich. Eine Perſon, welche Sie ein-
mal werthgeſchaͤtzt haben, kann nicht ohne alle Verdienſte ſeyn.
Sie muß werth ſeyn gebeſſert und wiedergewonnen zu werden;
und das koͤnnen Sie nie hoffen, wenn Sie ihr einmal ge-
rechte Vorwuͤrfe gemacht haben. Falſche Vorwuͤrfe treffen
flach; aber wahre faſſen tief, und man vergißt ſie um ſo viel
weniger, je mehr man ſie verdient hat. Sie benehmen dem
Schuldigen ſeinen Werth; und diejenige redliche Zuverſicht,
welche doch zum wahren Vertrauen und zu einer aufrichtigen
Freundſchaft unentbehrlich iſt. Erinnern Sie ſich nur ein-
mal ihrer Geſchichte mit Cephiſen. Dieſe ihnen jetzt ſo
werthe Freundin hatte Ihnen faͤlſchlich ein Verbrechen Schuld
gegeben, welches man niemals erweiſet, und allezeit ohne Be-
weis glaubt. Sie hoͤrten es und beruhigten ſich damit, daß
es aus Eyferſucht geſchehen ſeyn koͤnnte. Sie veraͤnderten
nichts in ihrem Betragen gegen ſie. Sie bezeugten ihr immer
das zaͤrtliche Vertrauen; die nemliche Achtung und eben die
Gefaͤlligkeiten, welche Sie allezeit gegen ſie gehabt hatten.
Keine Zuruͤckhaltung, kein Ernſt im Blicke verrieth die min-
deſte Empfindlichkeit. Kaum waren einige Wochen verfloſſen;
ſo gereuete Cephiſen ihre Verlaͤumdung. Sie ward unruhig,
und das Bekenntniß ihres Verbrechens ſchwebte ihr hundert-
mal auf der Zunge, ohne daß ſie es wagen mochte um Ver-
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