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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Schutzrede der Packenträger.
scheren lassen müssen: so sange ihr Balbierer im Lande duldet?
Sind eure Weinschenken auf den Dörfern nicht ärger als die
falschen Spieler? Ihr duldet sie aber doch, damit der Rei-
sende und der Kranke sich bey ihnen erquicke. Je nun so
duldet auch von uns um des grössern Vortheils willen ein ge-
ringeres Uebel, und werft es euren Weibern und Töchtern
nicht so hämisch vor, wenn wir ihnen bisweilen ein paar Nehe-
nadeln im Kauf dafür geben, daß wir bey ihnen oder bey euch
zu Gaste schlafen. Was will endlich daraus werden, wenn
jeder kleiner Reichsstand seinen kleinen Bezirk so zuschliessen
will? Ihr habt in eurem Lande gewiß fünfhundert Packen-
träger, welche die benachbarten Länder beziehen? Warum
wollt ihr uns denn nicht die Freyheit gönnen, die ihr selbst
nöthig habt? Sind nicht unter uns viele, die ihre Waare von
euern eignen Kaufleuten nehmen? Und würden wir nicht noch
gern ein mehrers von euren Fabriken nehmen, wenn diese
uns ihre Waaren nur eben so wohlfeil geben, als wir sie ander-
wärts haben können? Verbietet uns allenfalls den Handel
mit solchen Sachen, die ihr im Lande selbst zieht oder macht;
aber lasset es nicht zu, daß eure Kaufleute den Kohlsaamen
mit schweren Kosten von der Braunschweiger Messe holen,
den wir euch aus unsern Kohlgarten ohne alle Unkosten zu-
tragen.

Wie wir das letztemal in Leipzig waren, fragten uns die
Kaufleute, wovon wir so die gestickten Tücher und andre hüb-
schen Sachen vor eure jungen Weiber nehmen, wohin wir
alle diese Waaren brächten, und wie es möglich wäre, daß
wir zehntausend Stück dergleichen Tücher im Jahre absetzen
könnten; und auf unsre Antwort, daß wir solche mehrentheils
in den westphälischen Stiftern vertrieben, und die Menschen
aus allen vier Welttheilen und mit allerley Waaren daselbst
freyen Aus- und Eingang hätten, wollte er sich zu Tode wun-

dern.
P 2

Schutzrede der Packentraͤger.
ſcheren laſſen muͤſſen: ſo ſange ihr Balbierer im Lande duldet?
Sind eure Weinſchenken auf den Doͤrfern nicht aͤrger als die
falſchen Spieler? Ihr duldet ſie aber doch, damit der Rei-
ſende und der Kranke ſich bey ihnen erquicke. Je nun ſo
duldet auch von uns um des groͤſſern Vortheils willen ein ge-
ringeres Uebel, und werft es euren Weibern und Toͤchtern
nicht ſo haͤmiſch vor, wenn wir ihnen bisweilen ein paar Nehe-
nadeln im Kauf dafuͤr geben, daß wir bey ihnen oder bey euch
zu Gaſte ſchlafen. Was will endlich daraus werden, wenn
jeder kleiner Reichsſtand ſeinen kleinen Bezirk ſo zuſchlieſſen
will? Ihr habt in eurem Lande gewiß fuͤnfhundert Packen-
traͤger, welche die benachbarten Laͤnder beziehen? Warum
wollt ihr uns denn nicht die Freyheit goͤnnen, die ihr ſelbſt
noͤthig habt? Sind nicht unter uns viele, die ihre Waare von
euern eignen Kaufleuten nehmen? Und wuͤrden wir nicht noch
gern ein mehrers von euren Fabriken nehmen, wenn dieſe
uns ihre Waaren nur eben ſo wohlfeil geben, als wir ſie ander-
waͤrts haben koͤnnen? Verbietet uns allenfalls den Handel
mit ſolchen Sachen, die ihr im Lande ſelbſt zieht oder macht;
aber laſſet es nicht zu, daß eure Kaufleute den Kohlſaamen
mit ſchweren Koſten von der Braunſchweiger Meſſe holen,
den wir euch aus unſern Kohlgarten ohne alle Unkoſten zu-
tragen.

Wie wir das letztemal in Leipzig waren, fragten uns die
Kaufleute, wovon wir ſo die geſtickten Tuͤcher und andre huͤb-
ſchen Sachen vor eure jungen Weiber nehmen, wohin wir
alle dieſe Waaren braͤchten, und wie es moͤglich waͤre, daß
wir zehntauſend Stuͤck dergleichen Tuͤcher im Jahre abſetzen
koͤnnten; und auf unſre Antwort, daß wir ſolche mehrentheils
in den weſtphaͤliſchen Stiftern vertrieben, und die Menſchen
aus allen vier Welttheilen und mit allerley Waaren daſelbſt
freyen Aus- und Eingang haͤtten, wollte er ſich zu Tode wun-

dern.
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[227/0245] Schutzrede der Packentraͤger. ſcheren laſſen muͤſſen: ſo ſange ihr Balbierer im Lande duldet? Sind eure Weinſchenken auf den Doͤrfern nicht aͤrger als die falſchen Spieler? Ihr duldet ſie aber doch, damit der Rei- ſende und der Kranke ſich bey ihnen erquicke. Je nun ſo duldet auch von uns um des groͤſſern Vortheils willen ein ge- ringeres Uebel, und werft es euren Weibern und Toͤchtern nicht ſo haͤmiſch vor, wenn wir ihnen bisweilen ein paar Nehe- nadeln im Kauf dafuͤr geben, daß wir bey ihnen oder bey euch zu Gaſte ſchlafen. Was will endlich daraus werden, wenn jeder kleiner Reichsſtand ſeinen kleinen Bezirk ſo zuſchlieſſen will? Ihr habt in eurem Lande gewiß fuͤnfhundert Packen- traͤger, welche die benachbarten Laͤnder beziehen? Warum wollt ihr uns denn nicht die Freyheit goͤnnen, die ihr ſelbſt noͤthig habt? Sind nicht unter uns viele, die ihre Waare von euern eignen Kaufleuten nehmen? Und wuͤrden wir nicht noch gern ein mehrers von euren Fabriken nehmen, wenn dieſe uns ihre Waaren nur eben ſo wohlfeil geben, als wir ſie ander- waͤrts haben koͤnnen? Verbietet uns allenfalls den Handel mit ſolchen Sachen, die ihr im Lande ſelbſt zieht oder macht; aber laſſet es nicht zu, daß eure Kaufleute den Kohlſaamen mit ſchweren Koſten von der Braunſchweiger Meſſe holen, den wir euch aus unſern Kohlgarten ohne alle Unkoſten zu- tragen. Wie wir das letztemal in Leipzig waren, fragten uns die Kaufleute, wovon wir ſo die geſtickten Tuͤcher und andre huͤb- ſchen Sachen vor eure jungen Weiber nehmen, wohin wir alle dieſe Waaren braͤchten, und wie es moͤglich waͤre, daß wir zehntauſend Stuͤck dergleichen Tuͤcher im Jahre abſetzen koͤnnten; und auf unſre Antwort, daß wir ſolche mehrentheils in den weſtphaͤliſchen Stiftern vertrieben, und die Menſchen aus allen vier Welttheilen und mit allerley Waaren daſelbſt freyen Aus- und Eingang haͤtten, wollte er ſich zu Tode wun- dern. P 2

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/245>, abgerufen am 21.11.2024.