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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Gedanken über den Verfall
chers vorstellen, und würde nicht ein Kind aus der alten Hause
sagen, wir hätten allen Verstand verlohren?

Dies ist aber die Sache nur noch von einer Seite;
von der Seite, wie wir unsere eigene Producten und Manu-
facturen durch die Hände der Seestädter los werden, betrach-
tet. Nimmt man nun auch vollends die andere, wie wir un-
sere Bedürfnisse, und den sogenannten nothwendigen Ueber-
fluß aus fremden Ländern erhalten, hinzu: so vermehret sich
der Schade der Landstädter nach dem Maaße, als die Einfuh-
re die Ausfuhre jezt überwieget. Unsere Vorfahren im Han-
sischen Bunde, da sie an den Enden der Welt ihre Factoreyen
hatten, erhielten nothwendig alles ohne Mittel und aus der
ersten Hand. Sie kauften die Heringe nicht von den Hol-
ländern; ihr Factor zu Bergen ließ sie selbst fangen. Sie
kauften den Leinsamen nicht um Ostern zu Bremen, sondern
im Herbst von dem Landmanne an dem Orte, wo er wächst,
oder doch wenigstens auf dem Markte zu Riga oder in der Li-
bau. Jeder Kaufmann, der in einer Hansestadt wohnte, ließ
den Thran bey seiner Factorey in Bergen sieden, seine Fische
daselbst salzen oder trocknen, und die Kaufleute der Stadt
Soest hatten so vieles für eigene Rechnung auf der See, daß
es ihnen der Mühe verlohnte, besondere Freyheitsbriefe von
dem dänischen Monarchen zu nehmen. Wo aber ist jezt der
Geist einer gleichen Unternehmung? Wie viele sind in der
Hauptstadt, die nur einmal den Reis aus England ziehen?
und gleichwohl schickt ihn der Engländer ohne Zahlung nach
Bremen, und wartet gern ein Jahr auf sein Geld. Wer
kauft nicht seinen Toback bey fünf oder sechs Fässern in Bre-
men, und läßt sich nicht oft dasjenige, was bey der Stürzung
in England als schadhaft von dem Gewichte der Tonne abge-
zogen wird, für gute Waare verkauffen? Wer achtet auf die
Schiffe, welche in England aus den Maryländischen Colonien

damit

Gedanken uͤber den Verfall
chers vorſtellen, und wuͤrde nicht ein Kind aus der alten Hauſe
ſagen, wir haͤtten allen Verſtand verlohren?

Dies iſt aber die Sache nur noch von einer Seite;
von der Seite, wie wir unſere eigene Producten und Manu-
facturen durch die Haͤnde der Seeſtaͤdter los werden, betrach-
tet. Nimmt man nun auch vollends die andere, wie wir un-
ſere Beduͤrfniſſe, und den ſogenannten nothwendigen Ueber-
fluß aus fremden Laͤndern erhalten, hinzu: ſo vermehret ſich
der Schade der Landſtaͤdter nach dem Maaße, als die Einfuh-
re die Ausfuhre jezt uͤberwieget. Unſere Vorfahren im Han-
ſiſchen Bunde, da ſie an den Enden der Welt ihre Factoreyen
hatten, erhielten nothwendig alles ohne Mittel und aus der
erſten Hand. Sie kauften die Heringe nicht von den Hol-
laͤndern; ihr Factor zu Bergen ließ ſie ſelbſt fangen. Sie
kauften den Leinſamen nicht um Oſtern zu Bremen, ſondern
im Herbſt von dem Landmanne an dem Orte, wo er waͤchſt,
oder doch wenigſtens auf dem Markte zu Riga oder in der Li-
bau. Jeder Kaufmann, der in einer Hanſeſtadt wohnte, ließ
den Thran bey ſeiner Factorey in Bergen ſieden, ſeine Fiſche
daſelbſt ſalzen oder trocknen, und die Kaufleute der Stadt
Soeſt hatten ſo vieles fuͤr eigene Rechnung auf der See, daß
es ihnen der Muͤhe verlohnte, beſondere Freyheitsbriefe von
dem daͤniſchen Monarchen zu nehmen. Wo aber iſt jezt der
Geiſt einer gleichen Unternehmung? Wie viele ſind in der
Hauptſtadt, die nur einmal den Reis aus England ziehen?
und gleichwohl ſchickt ihn der Englaͤnder ohne Zahlung nach
Bremen, und wartet gern ein Jahr auf ſein Geld. Wer
kauft nicht ſeinen Toback bey fuͤnf oder ſechs Faͤſſern in Bre-
men, und laͤßt ſich nicht oft dasjenige, was bey der Stuͤrzung
in England als ſchadhaft von dem Gewichte der Tonne abge-
zogen wird, fuͤr gute Waare verkauffen? Wer achtet auf die
Schiffe, welche in England aus den Marylaͤndiſchen Colonien

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[10/0028] Gedanken uͤber den Verfall chers vorſtellen, und wuͤrde nicht ein Kind aus der alten Hauſe ſagen, wir haͤtten allen Verſtand verlohren? Dies iſt aber die Sache nur noch von einer Seite; von der Seite, wie wir unſere eigene Producten und Manu- facturen durch die Haͤnde der Seeſtaͤdter los werden, betrach- tet. Nimmt man nun auch vollends die andere, wie wir un- ſere Beduͤrfniſſe, und den ſogenannten nothwendigen Ueber- fluß aus fremden Laͤndern erhalten, hinzu: ſo vermehret ſich der Schade der Landſtaͤdter nach dem Maaße, als die Einfuh- re die Ausfuhre jezt uͤberwieget. Unſere Vorfahren im Han- ſiſchen Bunde, da ſie an den Enden der Welt ihre Factoreyen hatten, erhielten nothwendig alles ohne Mittel und aus der erſten Hand. Sie kauften die Heringe nicht von den Hol- laͤndern; ihr Factor zu Bergen ließ ſie ſelbſt fangen. Sie kauften den Leinſamen nicht um Oſtern zu Bremen, ſondern im Herbſt von dem Landmanne an dem Orte, wo er waͤchſt, oder doch wenigſtens auf dem Markte zu Riga oder in der Li- bau. Jeder Kaufmann, der in einer Hanſeſtadt wohnte, ließ den Thran bey ſeiner Factorey in Bergen ſieden, ſeine Fiſche daſelbſt ſalzen oder trocknen, und die Kaufleute der Stadt Soeſt hatten ſo vieles fuͤr eigene Rechnung auf der See, daß es ihnen der Muͤhe verlohnte, beſondere Freyheitsbriefe von dem daͤniſchen Monarchen zu nehmen. Wo aber iſt jezt der Geiſt einer gleichen Unternehmung? Wie viele ſind in der Hauptſtadt, die nur einmal den Reis aus England ziehen? und gleichwohl ſchickt ihn der Englaͤnder ohne Zahlung nach Bremen, und wartet gern ein Jahr auf ſein Geld. Wer kauft nicht ſeinen Toback bey fuͤnf oder ſechs Faͤſſern in Bre- men, und laͤßt ſich nicht oft dasjenige, was bey der Stuͤrzung in England als ſchadhaft von dem Gewichte der Tonne abge- zogen wird, fuͤr gute Waare verkauffen? Wer achtet auf die Schiffe, welche in England aus den Marylaͤndiſchen Colonien damit

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/28>, abgerufen am 21.11.2024.