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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Schreiben des Herrn von H...
sprechen. Lustige Histörgen sind gar aus der Mode. Die
Komplimente sind bald aus. Den Wein trinken sie aus
Fingerhüten; und ein Böf alle Mode kömmt gar nicht mehr
auf den Tisch. Wenn ich mich dagegen erinnere, was zu
meines Großvaters Zeit die Gesellschaften waren, wie ein
halb Duzend Weidgenossen, die den Tag über sich im Felde
gebraten hatten, Hände und Mäuler bey Tische gehen liessen,
was da gesprochen, gelacht und getrunken wurde: so möchte
ich auf meine Ehre lieber der wilde Jäger als ein heutiger
Landmann seyn.

Das Landleben ist jezt nichts als die abgeschmackteste
Langweile die man sich erdenken kann. Man kömmt zusam-
men in der Stube; steht auf einem gewächsten Boden, daß
man sich alle Augenblick den Hals zerbrechen möchte, und
geht so nüchtern auseinander, wie man zusammen gekommen
ist; und wenn man sich recht vergnügen will: so bringt man
die verdammten Karten her. Höchstens spatziert man, und
spatziert und spatziert bis einem der Angstschweiß ausbricht.

Ich wundre mich gar nicht, daß manche Haushaltungen
nicht fort kommen. Wenn man vordem von der Jagd zurück
kam: so besuchte man noch wohl einmal seine Hofdiener, und
sahe was sie machten; und hielt sie beständig bey der Arbeit,
weil sie einen hinter allen Hecken vermuthen mußten. Aber
jezt; jezt wissen die Faullenzer, der Herr kommt im Thau ge-
wiß nicht; auch nicht wenns regnet; auch nicht wenn die
Sonnne brennt; auch nicht vor 11 Uhr des Morgens; auch
nicht vor 5 Uhr des Abends; und so stehlen sie dem lieben
Gott den Tag, und ihrem Herrn das Brod. Die Engländer
das waren noch Leute. Wie sie hier waren, jagten sie nach
einen Kirchthurm über Stock und Block. Hecken und Graben,
wenn sie keinen Fuchs auftreiben konnten; oder sie liessen des
Morgens früh eine gebratene Speckseite über den Weg schleifen,

und

Schreiben des Herrn von H…
ſprechen. Luſtige Hiſtoͤrgen ſind gar aus der Mode. Die
Komplimente ſind bald aus. Den Wein trinken ſie aus
Fingerhuͤten; und ein Boͤf alle Mode koͤmmt gar nicht mehr
auf den Tiſch. Wenn ich mich dagegen erinnere, was zu
meines Großvaters Zeit die Geſellſchaften waren, wie ein
halb Duzend Weidgenoſſen, die den Tag uͤber ſich im Felde
gebraten hatten, Haͤnde und Maͤuler bey Tiſche gehen lieſſen,
was da geſprochen, gelacht und getrunken wurde: ſo moͤchte
ich auf meine Ehre lieber der wilde Jaͤger als ein heutiger
Landmann ſeyn.

Das Landleben iſt jezt nichts als die abgeſchmackteſte
Langweile die man ſich erdenken kann. Man koͤmmt zuſam-
men in der Stube; ſteht auf einem gewaͤchſten Boden, daß
man ſich alle Augenblick den Hals zerbrechen moͤchte, und
geht ſo nuͤchtern auseinander, wie man zuſammen gekommen
iſt; und wenn man ſich recht vergnuͤgen will: ſo bringt man
die verdammten Karten her. Hoͤchſtens ſpatziert man, und
ſpatziert und ſpatziert bis einem der Angſtſchweiß ausbricht.

Ich wundre mich gar nicht, daß manche Haushaltungen
nicht fort kommen. Wenn man vordem von der Jagd zuruͤck
kam: ſo beſuchte man noch wohl einmal ſeine Hofdiener, und
ſahe was ſie machten; und hielt ſie beſtaͤndig bey der Arbeit,
weil ſie einen hinter allen Hecken vermuthen mußten. Aber
jezt; jezt wiſſen die Faullenzer, der Herr kommt im Thau ge-
wiß nicht; auch nicht wenns regnet; auch nicht wenn die
Sonnne brennt; auch nicht vor 11 Uhr des Morgens; auch
nicht vor 5 Uhr des Abends; und ſo ſtehlen ſie dem lieben
Gott den Tag, und ihrem Herrn das Brod. Die Englaͤnder
das waren noch Leute. Wie ſie hier waren, jagten ſie nach
einen Kirchthurm uͤber Stock und Block. Hecken und Graben,
wenn ſie keinen Fuchs auftreiben konnten; oder ſie lieſſen des
Morgens fruͤh eine gebratene Speckſeite uͤber den Weg ſchleifen,

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[267/0285] Schreiben des Herrn von H… ſprechen. Luſtige Hiſtoͤrgen ſind gar aus der Mode. Die Komplimente ſind bald aus. Den Wein trinken ſie aus Fingerhuͤten; und ein Boͤf alle Mode koͤmmt gar nicht mehr auf den Tiſch. Wenn ich mich dagegen erinnere, was zu meines Großvaters Zeit die Geſellſchaften waren, wie ein halb Duzend Weidgenoſſen, die den Tag uͤber ſich im Felde gebraten hatten, Haͤnde und Maͤuler bey Tiſche gehen lieſſen, was da geſprochen, gelacht und getrunken wurde: ſo moͤchte ich auf meine Ehre lieber der wilde Jaͤger als ein heutiger Landmann ſeyn. Das Landleben iſt jezt nichts als die abgeſchmackteſte Langweile die man ſich erdenken kann. Man koͤmmt zuſam- men in der Stube; ſteht auf einem gewaͤchſten Boden, daß man ſich alle Augenblick den Hals zerbrechen moͤchte, und geht ſo nuͤchtern auseinander, wie man zuſammen gekommen iſt; und wenn man ſich recht vergnuͤgen will: ſo bringt man die verdammten Karten her. Hoͤchſtens ſpatziert man, und ſpatziert und ſpatziert bis einem der Angſtſchweiß ausbricht. Ich wundre mich gar nicht, daß manche Haushaltungen nicht fort kommen. Wenn man vordem von der Jagd zuruͤck kam: ſo beſuchte man noch wohl einmal ſeine Hofdiener, und ſahe was ſie machten; und hielt ſie beſtaͤndig bey der Arbeit, weil ſie einen hinter allen Hecken vermuthen mußten. Aber jezt; jezt wiſſen die Faullenzer, der Herr kommt im Thau ge- wiß nicht; auch nicht wenns regnet; auch nicht wenn die Sonnne brennt; auch nicht vor 11 Uhr des Morgens; auch nicht vor 5 Uhr des Abends; und ſo ſtehlen ſie dem lieben Gott den Tag, und ihrem Herrn das Brod. Die Englaͤnder das waren noch Leute. Wie ſie hier waren, jagten ſie nach einen Kirchthurm uͤber Stock und Block. Hecken und Graben, wenn ſie keinen Fuchs auftreiben konnten; oder ſie lieſſen des Morgens fruͤh eine gebratene Speckſeite uͤber den Weg ſchleifen, und

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/285>, abgerufen am 22.11.2024.