Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

und Fallen der Hanseatischen Handlung.
meinen Ausdrücken abgefaßte Königl. Privilegien zu beziehen;
welche, nachdem man ihnen das von 1237 unterlegte, einen
ganzen andern Sinn bekamen, als wenn man sie nach der
Voraussetzung der Hanseestädte erklärte. Denn die Königl.
Privilegien bestätigten blos die Freyheiten der Hanse so wie
sie solche erlangt hatten; und das Wie? blieb dunkel, weil
das allererste Privilegium von 1237 niemals vorgelegt, sondern
dafür ein ruhiges Herbringen untergeschoben wurde.

Allein diese schlaue Wendung, wogegen sich die Englän-
der immer darauf, daß ihnen die authentische Erklärung der
Privilegien zustünde und daß sie der deutschen Hanse ein meh-
reres nicht gestatten wollten, beriefen, half ihnen nichts;
und wie endlich die Engländer den Hansischen allen Handel
so lange in possessorio sperreten, bis sie ihr Recht in petito-
rio
vor dem englischen Rechte ausgeführet haben würden: so
neigte sich die deutsche Handlung sofort zu ihrem Untergange.

Die ganze damalige Politik der deutschen Hanse hatte
bisher darinn bestanden, daß sie überall den Kaisern und Kö-
nigen den Handel in ihren Landen gleichsam abgepachtet hat-
ten; oder um mit andern Worten zu reden: sie machten den
großen Herrn prächtige Geschenke, und erhielten dafür im
Handel alle diejenigen Rechte, welche die eignen Landesunter-
thanen hatten. Nun stelle man sich vor, daß die Hansea-
tischen Kaufleute, als Englische Unterthanen die freye Ausfuhr,
und als Rußische, Schwedische und Dänische Unterthanen die
freye Einfuhr in diese Länder hatten: so wird man auf ein-
mal den Grund ihrer Macht übersehen. Man wird sogleich
die große Folge erkennen, daß z. E. kein Engländer nach Ruß-
land, und kein Russe nach England handeln konnte, weil
diese hier und jene dort das Unterthanenrecht nicht hatten,
folglich den hohen Zoll, dem überall die Fremden unterworfen

sind,
S 2

und Fallen der Hanſeatiſchen Handlung.
meinen Ausdruͤcken abgefaßte Koͤnigl. Privilegien zu beziehen;
welche, nachdem man ihnen das von 1237 unterlegte, einen
ganzen andern Sinn bekamen, als wenn man ſie nach der
Vorausſetzung der Hanſeeſtaͤdte erklaͤrte. Denn die Koͤnigl.
Privilegien beſtaͤtigten blos die Freyheiten der Hanſe ſo wie
ſie ſolche erlangt hatten; und das Wie? blieb dunkel, weil
das allererſte Privilegium von 1237 niemals vorgelegt, ſondern
dafuͤr ein ruhiges Herbringen untergeſchoben wurde.

Allein dieſe ſchlaue Wendung, wogegen ſich die Englaͤn-
der immer darauf, daß ihnen die authentiſche Erklaͤrung der
Privilegien zuſtuͤnde und daß ſie der deutſchen Hanſe ein meh-
reres nicht geſtatten wollten, beriefen, half ihnen nichts;
und wie endlich die Englaͤnder den Hanſiſchen allen Handel
ſo lange in poſſeſſorio ſperreten, bis ſie ihr Recht in petito-
rio
vor dem engliſchen Rechte ausgefuͤhret haben wuͤrden: ſo
neigte ſich die deutſche Handlung ſofort zu ihrem Untergange.

Die ganze damalige Politik der deutſchen Hanſe hatte
bisher darinn beſtanden, daß ſie uͤberall den Kaiſern und Koͤ-
nigen den Handel in ihren Landen gleichſam abgepachtet hat-
ten; oder um mit andern Worten zu reden: ſie machten den
großen Herrn praͤchtige Geſchenke, und erhielten dafuͤr im
Handel alle diejenigen Rechte, welche die eignen Landesunter-
thanen hatten. Nun ſtelle man ſich vor, daß die Hanſea-
tiſchen Kaufleute, als Engliſche Unterthanen die freye Ausfuhr,
und als Rußiſche, Schwediſche und Daͤniſche Unterthanen die
freye Einfuhr in dieſe Laͤnder hatten: ſo wird man auf ein-
mal den Grund ihrer Macht uͤberſehen. Man wird ſogleich
die große Folge erkennen, daß z. E. kein Englaͤnder nach Ruß-
land, und kein Ruſſe nach England handeln konnte, weil
dieſe hier und jene dort das Unterthanenrecht nicht hatten,
folglich den hohen Zoll, dem uͤberall die Fremden unterworfen

ſind,
S 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0293" n="275"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und Fallen der Han&#x017F;eati&#x017F;chen Handlung.</hi></fw><lb/>
meinen Ausdru&#x0364;cken abgefaßte Ko&#x0364;nigl. Privilegien zu beziehen;<lb/>
welche, nachdem man ihnen das von 1237 unterlegte, einen<lb/>
ganzen andern Sinn bekamen, als wenn man &#x017F;ie nach der<lb/>
Voraus&#x017F;etzung der Han&#x017F;ee&#x017F;ta&#x0364;dte erkla&#x0364;rte. Denn die Ko&#x0364;nigl.<lb/>
Privilegien be&#x017F;ta&#x0364;tigten blos die Freyheiten der Han&#x017F;e &#x017F;o wie<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;olche erlangt hatten; und das Wie? blieb dunkel, weil<lb/>
das allerer&#x017F;te Privilegium von 1237 niemals vorgelegt, &#x017F;ondern<lb/>
dafu&#x0364;r ein ruhiges Herbringen unterge&#x017F;choben wurde.</p><lb/>
        <p>Allein die&#x017F;e &#x017F;chlaue Wendung, wogegen &#x017F;ich die Engla&#x0364;n-<lb/>
der immer darauf, daß ihnen die authenti&#x017F;che Erkla&#x0364;rung der<lb/>
Privilegien zu&#x017F;tu&#x0364;nde und daß &#x017F;ie der deut&#x017F;chen Han&#x017F;e ein meh-<lb/>
reres nicht ge&#x017F;tatten wollten, beriefen, half ihnen nichts;<lb/>
und wie endlich die Engla&#x0364;nder den Han&#x017F;i&#x017F;chen allen Handel<lb/>
&#x017F;o lange <hi rendition="#aq">in po&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;orio</hi> &#x017F;perreten, bis &#x017F;ie ihr Recht <hi rendition="#aq">in petito-<lb/>
rio</hi> vor dem engli&#x017F;chen Rechte ausgefu&#x0364;hret haben wu&#x0364;rden: &#x017F;o<lb/>
neigte &#x017F;ich die deut&#x017F;che Handlung &#x017F;ofort zu ihrem Untergange.</p><lb/>
        <p>Die ganze damalige Politik der deut&#x017F;chen Han&#x017F;e hatte<lb/>
bisher darinn be&#x017F;tanden, daß &#x017F;ie u&#x0364;berall den Kai&#x017F;ern und Ko&#x0364;-<lb/>
nigen den Handel in ihren Landen gleich&#x017F;am abgepachtet hat-<lb/>
ten; oder um mit andern Worten zu reden: &#x017F;ie machten den<lb/>
großen Herrn pra&#x0364;chtige Ge&#x017F;chenke, und erhielten dafu&#x0364;r im<lb/>
Handel alle diejenigen Rechte, welche die eignen Landesunter-<lb/>
thanen hatten. Nun &#x017F;telle man &#x017F;ich vor, daß die Han&#x017F;ea-<lb/>
ti&#x017F;chen Kaufleute, als Engli&#x017F;che Unterthanen die freye Ausfuhr,<lb/>
und als Rußi&#x017F;che, Schwedi&#x017F;che und Da&#x0364;ni&#x017F;che Unterthanen die<lb/>
freye Einfuhr in die&#x017F;e La&#x0364;nder hatten: &#x017F;o wird man auf ein-<lb/>
mal den Grund ihrer Macht u&#x0364;ber&#x017F;ehen. Man wird &#x017F;ogleich<lb/>
die große Folge erkennen, daß z. E. kein Engla&#x0364;nder nach Ruß-<lb/>
land, und kein Ru&#x017F;&#x017F;e nach England handeln konnte, weil<lb/>
die&#x017F;e hier und jene dort das Unterthanenrecht nicht hatten,<lb/>
folglich den hohen Zoll, dem u&#x0364;berall die Fremden unterworfen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">S 2</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ind,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[275/0293] und Fallen der Hanſeatiſchen Handlung. meinen Ausdruͤcken abgefaßte Koͤnigl. Privilegien zu beziehen; welche, nachdem man ihnen das von 1237 unterlegte, einen ganzen andern Sinn bekamen, als wenn man ſie nach der Vorausſetzung der Hanſeeſtaͤdte erklaͤrte. Denn die Koͤnigl. Privilegien beſtaͤtigten blos die Freyheiten der Hanſe ſo wie ſie ſolche erlangt hatten; und das Wie? blieb dunkel, weil das allererſte Privilegium von 1237 niemals vorgelegt, ſondern dafuͤr ein ruhiges Herbringen untergeſchoben wurde. Allein dieſe ſchlaue Wendung, wogegen ſich die Englaͤn- der immer darauf, daß ihnen die authentiſche Erklaͤrung der Privilegien zuſtuͤnde und daß ſie der deutſchen Hanſe ein meh- reres nicht geſtatten wollten, beriefen, half ihnen nichts; und wie endlich die Englaͤnder den Hanſiſchen allen Handel ſo lange in poſſeſſorio ſperreten, bis ſie ihr Recht in petito- rio vor dem engliſchen Rechte ausgefuͤhret haben wuͤrden: ſo neigte ſich die deutſche Handlung ſofort zu ihrem Untergange. Die ganze damalige Politik der deutſchen Hanſe hatte bisher darinn beſtanden, daß ſie uͤberall den Kaiſern und Koͤ- nigen den Handel in ihren Landen gleichſam abgepachtet hat- ten; oder um mit andern Worten zu reden: ſie machten den großen Herrn praͤchtige Geſchenke, und erhielten dafuͤr im Handel alle diejenigen Rechte, welche die eignen Landesunter- thanen hatten. Nun ſtelle man ſich vor, daß die Hanſea- tiſchen Kaufleute, als Engliſche Unterthanen die freye Ausfuhr, und als Rußiſche, Schwediſche und Daͤniſche Unterthanen die freye Einfuhr in dieſe Laͤnder hatten: ſo wird man auf ein- mal den Grund ihrer Macht uͤberſehen. Man wird ſogleich die große Folge erkennen, daß z. E. kein Englaͤnder nach Ruß- land, und kein Ruſſe nach England handeln konnte, weil dieſe hier und jene dort das Unterthanenrecht nicht hatten, folglich den hohen Zoll, dem uͤberall die Fremden unterworfen ſind, S 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/293
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/293>, abgerufen am 22.11.2024.