Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite
Klagen einer Hauswirthin.

Das schlimmste bey dem allen ist, daß das Gesinde in
hiesigen Gegenden immer gleich üppig und kostbar bleibt, und
durch keine Ermahnungen dahin zu bringen ist, sich mit Brod
und Käse ohne Butter zu begnügen. Anderwärts hat man
Birnmuß, Schwetzgenmuß und Möhrensaft statt der Butter;
in Frankreich sind eine Zwiebel und drey Kastanien eine herr-
liche Mahlzeit; aber hier weis man von dem allen nichts.
Das Gesinde würde einen auslachen, wenn man ihm, wie
in Böhmen, Brod und Salzgurken, und des Sonntags ein
paar Senfbirn vorsetzen wollte. Wir haben auch weder
Schaafkäse nach saure Schaafmilch, womit der Haushalt in
andern Ländern Jahr aus Jahr ein unterhalten wird, und
ohnerachtet sich ganze Heere von Staaren in unsern Gegenden
zeigten: so hat man sich doch die Mühe nicht gegeben, sie zu
fangen, und für den Winter in Eßig zu setzen. Kurz, ich
habe in meinem Leben ein solches Land nicht gesehn, wo die
Einwohner so kostbar leben. Es ist gar kein Wunder, daß
keine Fabriken darinn empor kommen können. Denn jedet
Bettler verzehrt doppelt so viel, als in andern Ländern der
fleißigste Fabrikant des Tages gewinnet. Ein Mohr in Africa
lebt täglich von 3 Pfenningen, wofür er sich Brod und Zwie-
beln kauft, und seine höchste Wollust an Feyertagen ist, daß
er sein Brod röstet und in Oel tunkt. Aber hier schreyt alles
nach Fleisch, und ist kaum mit einerley zufrieden.

Ich wollte daß die Leute, die Philosophen, wie man
sie heißt, die den Leuten so vieles weiß machen, und eine
Herrschaft ausser Stand setzen, einen Haushalt in der Furcht
Gottes zu führen, zum allgemeinen Besten eingepökelt wür-
den: so hätte man noch was davon. Insbesondre aber
wünschte ich, daß alle die süssen Sittenlehrer, die den Weg
zum Himmel ebner als unsre Heerstraffen machen, und zur

Be-
Mösers patr. Phantas. I. Th. A a
Klagen einer Hauswirthin.

Das ſchlimmſte bey dem allen iſt, daß das Geſinde in
hieſigen Gegenden immer gleich uͤppig und koſtbar bleibt, und
durch keine Ermahnungen dahin zu bringen iſt, ſich mit Brod
und Kaͤſe ohne Butter zu begnuͤgen. Anderwaͤrts hat man
Birnmuß, Schwetzgenmuß und Moͤhrenſaft ſtatt der Butter;
in Frankreich ſind eine Zwiebel und drey Kaſtanien eine herr-
liche Mahlzeit; aber hier weis man von dem allen nichts.
Das Geſinde wuͤrde einen auslachen, wenn man ihm, wie
in Boͤhmen, Brod und Salzgurken, und des Sonntags ein
paar Senfbirn vorſetzen wollte. Wir haben auch weder
Schaafkaͤſe nach ſaure Schaafmilch, womit der Haushalt in
andern Laͤndern Jahr aus Jahr ein unterhalten wird, und
ohnerachtet ſich ganze Heere von Staaren in unſern Gegenden
zeigten: ſo hat man ſich doch die Muͤhe nicht gegeben, ſie zu
fangen, und fuͤr den Winter in Eßig zu ſetzen. Kurz, ich
habe in meinem Leben ein ſolches Land nicht geſehn, wo die
Einwohner ſo koſtbar leben. Es iſt gar kein Wunder, daß
keine Fabriken darinn empor kommen koͤnnen. Denn jedet
Bettler verzehrt doppelt ſo viel, als in andern Laͤndern der
fleißigſte Fabrikant des Tages gewinnet. Ein Mohr in Africa
lebt taͤglich von 3 Pfenningen, wofuͤr er ſich Brod und Zwie-
beln kauft, und ſeine hoͤchſte Wolluſt an Feyertagen iſt, daß
er ſein Brod roͤſtet und in Oel tunkt. Aber hier ſchreyt alles
nach Fleiſch, und iſt kaum mit einerley zufrieden.

Ich wollte daß die Leute, die Philoſophen, wie man
ſie heißt, die den Leuten ſo vieles weiß machen, und eine
Herrſchaft auſſer Stand ſetzen, einen Haushalt in der Furcht
Gottes zu fuͤhren, zum allgemeinen Beſten eingepoͤkelt wuͤr-
den: ſo haͤtte man noch was davon. Insbeſondre aber
wuͤnſchte ich, daß alle die ſuͤſſen Sittenlehrer, die den Weg
zum Himmel ebner als unſre Heerſtraffen machen, und zur

Be-
Möſers patr. Phantaſ. I. Th. A a
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0387" n="369"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Klagen einer Hauswirthin.</hi> </fw><lb/>
        <p>Das &#x017F;chlimm&#x017F;te bey dem allen i&#x017F;t, daß das Ge&#x017F;inde in<lb/>
hie&#x017F;igen Gegenden immer gleich u&#x0364;ppig und ko&#x017F;tbar bleibt, und<lb/>
durch keine Ermahnungen dahin zu bringen i&#x017F;t, &#x017F;ich mit Brod<lb/>
und Ka&#x0364;&#x017F;e ohne Butter zu begnu&#x0364;gen. Anderwa&#x0364;rts hat man<lb/>
Birnmuß, Schwetzgenmuß und Mo&#x0364;hren&#x017F;aft &#x017F;tatt der Butter;<lb/>
in Frankreich &#x017F;ind eine Zwiebel und drey Ka&#x017F;tanien eine herr-<lb/>
liche Mahlzeit; aber hier weis man von dem allen nichts.<lb/>
Das Ge&#x017F;inde wu&#x0364;rde einen auslachen, wenn man ihm, wie<lb/>
in Bo&#x0364;hmen, Brod und Salzgurken, und des Sonntags ein<lb/>
paar Senfbirn vor&#x017F;etzen wollte. Wir haben auch weder<lb/>
Schaafka&#x0364;&#x017F;e nach &#x017F;aure Schaafmilch, womit der Haushalt in<lb/>
andern La&#x0364;ndern Jahr aus Jahr ein unterhalten wird, und<lb/>
ohnerachtet &#x017F;ich ganze Heere von Staaren in un&#x017F;ern Gegenden<lb/>
zeigten: &#x017F;o hat man &#x017F;ich doch die Mu&#x0364;he nicht gegeben, &#x017F;ie zu<lb/>
fangen, und fu&#x0364;r den Winter in Eßig zu &#x017F;etzen. Kurz, ich<lb/>
habe in meinem Leben ein &#x017F;olches Land nicht ge&#x017F;ehn, wo die<lb/>
Einwohner &#x017F;o ko&#x017F;tbar leben. Es i&#x017F;t gar kein Wunder, daß<lb/>
keine Fabriken darinn empor kommen ko&#x0364;nnen. Denn jedet<lb/>
Bettler verzehrt doppelt &#x017F;o viel, als in andern La&#x0364;ndern der<lb/>
fleißig&#x017F;te Fabrikant des Tages gewinnet. Ein Mohr in Africa<lb/>
lebt ta&#x0364;glich von 3 Pfenningen, wofu&#x0364;r er &#x017F;ich Brod und Zwie-<lb/>
beln kauft, und &#x017F;eine ho&#x0364;ch&#x017F;te Wollu&#x017F;t an Feyertagen i&#x017F;t, daß<lb/>
er &#x017F;ein Brod ro&#x0364;&#x017F;tet und in Oel tunkt. Aber hier &#x017F;chreyt alles<lb/>
nach Flei&#x017F;ch, und i&#x017F;t kaum mit einerley zufrieden.</p><lb/>
        <p>Ich wollte daß die Leute, die Philo&#x017F;ophen, wie man<lb/>
&#x017F;ie heißt, die den Leuten &#x017F;o vieles weiß machen, und eine<lb/>
Herr&#x017F;chaft au&#x017F;&#x017F;er Stand &#x017F;etzen, einen Haushalt in der Furcht<lb/>
Gottes zu fu&#x0364;hren, zum allgemeinen Be&#x017F;ten eingepo&#x0364;kelt wu&#x0364;r-<lb/>
den: &#x017F;o ha&#x0364;tte man noch was davon. Insbe&#x017F;ondre aber<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;chte ich, daß alle die &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Sittenlehrer, die den Weg<lb/>
zum Himmel ebner als un&#x017F;re Heer&#x017F;traffen machen, und zur<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">&#x017F;ers patr. Phanta&#x017F;.</hi><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. A a</fw><fw place="bottom" type="catch">Be-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[369/0387] Klagen einer Hauswirthin. Das ſchlimmſte bey dem allen iſt, daß das Geſinde in hieſigen Gegenden immer gleich uͤppig und koſtbar bleibt, und durch keine Ermahnungen dahin zu bringen iſt, ſich mit Brod und Kaͤſe ohne Butter zu begnuͤgen. Anderwaͤrts hat man Birnmuß, Schwetzgenmuß und Moͤhrenſaft ſtatt der Butter; in Frankreich ſind eine Zwiebel und drey Kaſtanien eine herr- liche Mahlzeit; aber hier weis man von dem allen nichts. Das Geſinde wuͤrde einen auslachen, wenn man ihm, wie in Boͤhmen, Brod und Salzgurken, und des Sonntags ein paar Senfbirn vorſetzen wollte. Wir haben auch weder Schaafkaͤſe nach ſaure Schaafmilch, womit der Haushalt in andern Laͤndern Jahr aus Jahr ein unterhalten wird, und ohnerachtet ſich ganze Heere von Staaren in unſern Gegenden zeigten: ſo hat man ſich doch die Muͤhe nicht gegeben, ſie zu fangen, und fuͤr den Winter in Eßig zu ſetzen. Kurz, ich habe in meinem Leben ein ſolches Land nicht geſehn, wo die Einwohner ſo koſtbar leben. Es iſt gar kein Wunder, daß keine Fabriken darinn empor kommen koͤnnen. Denn jedet Bettler verzehrt doppelt ſo viel, als in andern Laͤndern der fleißigſte Fabrikant des Tages gewinnet. Ein Mohr in Africa lebt taͤglich von 3 Pfenningen, wofuͤr er ſich Brod und Zwie- beln kauft, und ſeine hoͤchſte Wolluſt an Feyertagen iſt, daß er ſein Brod roͤſtet und in Oel tunkt. Aber hier ſchreyt alles nach Fleiſch, und iſt kaum mit einerley zufrieden. Ich wollte daß die Leute, die Philoſophen, wie man ſie heißt, die den Leuten ſo vieles weiß machen, und eine Herrſchaft auſſer Stand ſetzen, einen Haushalt in der Furcht Gottes zu fuͤhren, zum allgemeinen Beſten eingepoͤkelt wuͤr- den: ſo haͤtte man noch was davon. Insbeſondre aber wuͤnſchte ich, daß alle die ſuͤſſen Sittenlehrer, die den Weg zum Himmel ebner als unſre Heerſtraffen machen, und zur Be- Möſers patr. Phantaſ. I. Th. A a

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/387
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/387>, abgerufen am 24.11.2024.