Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.eine Osnabrückische Geschichte. Oft hatte sie auch zugleich auf ihre Mutter im Kindbette achtgehabt, und die spielenden Geschwister mit einem freudigen Liede ermuntert. Denn das Kindbette ward zu der Zeit noch in einem Durtich (dortoir). gehalten, wovon die Staats- seite in die Spinnstube gieng und mit schönem Holzwerk, welches Pannel hieß, nun aber minder glücklich*) boiserie genannt wird, gezieret war. Desgleichen hatten die Eltern ihre Kinder noch mit sich in der Wohnstube, um selbst ein wachsames Auge auf sie zu haben. Ueber dem Durtich war der Hauptschrank, worinn die Briefschaften, die Becher und andre Erbschaftsstücke verwahret waren; und auch diesen hatte Selinde zugleich vor Dieben bewahrt. Wann die langen Winder-Abende herankamen, ließ ver- *) Pannel ouvrage a pans oder Stückelarbeit, wovon auch
das Wort Pfennig als das erste Stück eines Schillings seinen Ursprung hat, druckt die Sache unstreitig besser aus, als boiserie. eine Oſnabruͤckiſche Geſchichte. Oft hatte ſie auch zugleich auf ihre Mutter im Kindbette achtgehabt, und die ſpielenden Geſchwiſter mit einem freudigen Liede ermuntert. Denn das Kindbette ward zu der Zeit noch in einem Durtich (dortoir). gehalten, wovon die Staats- ſeite in die Spinnſtube gieng und mit ſchoͤnem Holzwerk, welches Pannel hieß, nun aber minder gluͤcklich*) boiſerie genannt wird, gezieret war. Desgleichen hatten die Eltern ihre Kinder noch mit ſich in der Wohnſtube, um ſelbſt ein wachſames Auge auf ſie zu haben. Ueber dem Durtich war der Hauptſchrank, worinn die Briefſchaften, die Becher und andre Erbſchaftsſtuͤcke verwahret waren; und auch dieſen hatte Selinde zugleich vor Dieben bewahrt. Wann die langen Winder-Abende herankamen, ließ ver- *) Pannel ouvrage a pans oder Stuͤckelarbeit, wovon auch
das Wort Pfennig als das erſte Stuͤck eines Schillings ſeinen Urſprung hat, druckt die Sache unſtreitig beſſer aus, als boiſerie. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0061" n="43"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">eine Oſnabruͤckiſche Geſchichte.</hi></fw><lb/> Oft hatte ſie auch zugleich auf ihre Mutter im Kindbette acht<lb/> gehabt, und die ſpielenden Geſchwiſter mit einem freudigen<lb/> Liede ermuntert. Denn das Kindbette ward zu der Zeit noch<lb/> in einem Durtich (<hi rendition="#aq">dortoir</hi>). gehalten, wovon die Staats-<lb/> ſeite in die Spinnſtube gieng und mit ſchoͤnem Holzwerk,<lb/> welches Pannel hieß, nun aber minder gluͤcklich<note place="foot" n="*)">Pannel ouvrage a pans oder Stuͤckelarbeit, wovon auch<lb/> das Wort Pfennig als das erſte Stuͤck eines Schillings<lb/> ſeinen Urſprung hat, druckt die Sache unſtreitig beſſer aus,<lb/> als boiſerie.</note> boiſerie<lb/> genannt wird, gezieret war. Desgleichen hatten die Eltern<lb/> ihre Kinder noch mit ſich in der Wohnſtube, um ſelbſt ein<lb/> wachſames Auge auf ſie zu haben. Ueber dem Durtich war<lb/> der Hauptſchrank, worinn die Briefſchaften, die Becher und<lb/> andre Erbſchaftsſtuͤcke verwahret waren; und auch dieſen hatte<lb/> Selinde zugleich vor Dieben bewahrt.</p><lb/> <p>Wann die langen Winder-Abende herankamen, ließ<lb/> ſie die Hausmaͤgde, welche ſich daher ebenfalls uͤberaus rein-<lb/> lich halten mußten, mit ihren Raͤdern in die Spinnſtube<lb/> kommen. Man ſprach ſodann von allem was den Tag uͤber<lb/> im Hauſe geſchehen war, wie es im Stalle und im Felde<lb/> ſtuͤnde, und was des andern Tages vorzunehmen ſeyn wuͤrde.<lb/> Die Mutter erzaͤhlte ihnen auch wohl eine lehrreiche und lu-<lb/> ſtige Geſchichte, wenn ſie haſpelte. Die kleinen Kinder lie-<lb/> fen von einem Schooße zum andern, und der Vater genoß<lb/> des Vergnuͤgens, welches Ordnung und Arbeit gewaͤhren,<lb/> mittlerweile er ſeine Haͤnde bey einem Fiſch- oder Vogelgarn<lb/> beſchaͤftigte, und ſeine Kinder durch Fragen und Raͤthſel un-<lb/> terrichtete. Bisweilen ward auch geſungen, und die Raͤder<lb/> vertraten die Stelle des Baſſes. Um alles mit wenigen zu<lb/> ſagen: ſo waren alle nothwendige Verrichtungen in dieſer<lb/> Haushaltung ſo verknuͤpft, daß ſie mit dem mindeſten Zeit-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ver-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [43/0061]
eine Oſnabruͤckiſche Geſchichte.
Oft hatte ſie auch zugleich auf ihre Mutter im Kindbette acht
gehabt, und die ſpielenden Geſchwiſter mit einem freudigen
Liede ermuntert. Denn das Kindbette ward zu der Zeit noch
in einem Durtich (dortoir). gehalten, wovon die Staats-
ſeite in die Spinnſtube gieng und mit ſchoͤnem Holzwerk,
welches Pannel hieß, nun aber minder gluͤcklich *) boiſerie
genannt wird, gezieret war. Desgleichen hatten die Eltern
ihre Kinder noch mit ſich in der Wohnſtube, um ſelbſt ein
wachſames Auge auf ſie zu haben. Ueber dem Durtich war
der Hauptſchrank, worinn die Briefſchaften, die Becher und
andre Erbſchaftsſtuͤcke verwahret waren; und auch dieſen hatte
Selinde zugleich vor Dieben bewahrt.
Wann die langen Winder-Abende herankamen, ließ
ſie die Hausmaͤgde, welche ſich daher ebenfalls uͤberaus rein-
lich halten mußten, mit ihren Raͤdern in die Spinnſtube
kommen. Man ſprach ſodann von allem was den Tag uͤber
im Hauſe geſchehen war, wie es im Stalle und im Felde
ſtuͤnde, und was des andern Tages vorzunehmen ſeyn wuͤrde.
Die Mutter erzaͤhlte ihnen auch wohl eine lehrreiche und lu-
ſtige Geſchichte, wenn ſie haſpelte. Die kleinen Kinder lie-
fen von einem Schooße zum andern, und der Vater genoß
des Vergnuͤgens, welches Ordnung und Arbeit gewaͤhren,
mittlerweile er ſeine Haͤnde bey einem Fiſch- oder Vogelgarn
beſchaͤftigte, und ſeine Kinder durch Fragen und Raͤthſel un-
terrichtete. Bisweilen ward auch geſungen, und die Raͤder
vertraten die Stelle des Baſſes. Um alles mit wenigen zu
ſagen: ſo waren alle nothwendige Verrichtungen in dieſer
Haushaltung ſo verknuͤpft, daß ſie mit dem mindeſten Zeit-
ver-
*) Pannel ouvrage a pans oder Stuͤckelarbeit, wovon auch
das Wort Pfennig als das erſte Stuͤck eines Schillings
ſeinen Urſprung hat, druckt die Sache unſtreitig beſſer aus,
als boiſerie.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |