XXIV. Gedanken von dem Ursprunge und Nutzen der sogenandten Hyen, Echten oder Hoden.
Luft macht eigen heißt es an manchen Orten Deutschlandes; und ich habe unsre Vorfahren oftmal in meinen Gedan- ken einer Grausamkeit beschuldiget, daß sie die Luft gleichsam vergiftet, und die Sclaverey auf einen in der ganzen Welt freyen Odemzug gesetzet hätten. Oft dachte ich aber auch[:] Wie ist es möglich, daß sie die mit Heeren von hunderttau- senden zu Felde giengen, Gut und Blut für die Freyheit aufopferten, und keinen leibeignen Knecht die Waffen führen liessen, die Dienstbarkeit dergestalt begünstiget, und ganze Dörfer durch die Einführung derselben von dem Heerzuge befreyet haben sollten? Voll Zweifels über die Wahrheit und voll Unmuths über die Ungerechtigkeit der Sache selbst, kam ich von ungefehr auf einen alten Rechtshandel, woraus sich dieses Lufteigenthum auf einmal als eine sanfte Freystädte zeigte: ich will ihn meinen Lesern erzählen. Vielleicht neh- men sie auch an der Ehre unsrer Vorfahren einen patriotischen Antheil, und lernen, wie gefährlich es sey, aus veralteten Worten neue Schlüsse zu ziehen.
Die Königin von Pohlen Richezza, eine geb. Pfalzgräfin beym Rhein, ließ sich in der Stadt Cölln nieder, und weil sie nicht Lust hatte das Bürgerrecht zu nehmen, begab sie sich in die Hode der heiligen Jungfrau, worin der Sterbfall mit
dem
Gedanken von dem Urſprunge und Nutzen
XXIV. Gedanken von dem Urſprunge und Nutzen der ſogenandten Hyen, Echten oder Hoden.
Luft macht eigen heißt es an manchen Orten Deutſchlandes; und ich habe unſre Vorfahren oftmal in meinen Gedan- ken einer Grauſamkeit beſchuldiget, daß ſie die Luft gleichſam vergiftet, und die Sclaverey auf einen in der ganzen Welt freyen Odemzug geſetzet haͤtten. Oft dachte ich aber auch[:] Wie iſt es moͤglich, daß ſie die mit Heeren von hunderttau- ſenden zu Felde giengen, Gut und Blut fuͤr die Freyheit aufopferten, und keinen leibeignen Knecht die Waffen fuͤhren lieſſen, die Dienſtbarkeit dergeſtalt beguͤnſtiget, und ganze Doͤrfer durch die Einfuͤhrung derſelben von dem Heerzuge befreyet haben ſollten? Voll Zweifels uͤber die Wahrheit und voll Unmuths uͤber die Ungerechtigkeit der Sache ſelbſt, kam ich von ungefehr auf einen alten Rechtshandel, woraus ſich dieſes Lufteigenthum auf einmal als eine ſanfte Freyſtaͤdte zeigte: ich will ihn meinen Leſern erzaͤhlen. Vielleicht neh- men ſie auch an der Ehre unſrer Vorfahren einen patriotiſchen Antheil, und lernen, wie gefaͤhrlich es ſey, aus veralteten Worten neue Schluͤſſe zu ziehen.
Die Koͤnigin von Pohlen Richezza, eine geb. Pfalzgraͤfin beym Rhein, ließ ſich in der Stadt Coͤlln nieder, und weil ſie nicht Luſt hatte das Buͤrgerrecht zu nehmen, begab ſie ſich in die Hode der heiligen Jungfrau, worin der Sterbfall mit
dem
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[186/0204]
Gedanken von dem Urſprunge und Nutzen
XXIV.
Gedanken von dem Urſprunge und Nutzen
der ſogenandten Hyen, Echten oder
Hoden.
Luft macht eigen heißt es an manchen Orten Deutſchlandes;
und ich habe unſre Vorfahren oftmal in meinen Gedan-
ken einer Grauſamkeit beſchuldiget, daß ſie die Luft gleichſam
vergiftet, und die Sclaverey auf einen in der ganzen Welt
freyen Odemzug geſetzet haͤtten. Oft dachte ich aber auch:
Wie iſt es moͤglich, daß ſie die mit Heeren von hunderttau-
ſenden zu Felde giengen, Gut und Blut fuͤr die Freyheit
aufopferten, und keinen leibeignen Knecht die Waffen fuͤhren
lieſſen, die Dienſtbarkeit dergeſtalt beguͤnſtiget, und ganze
Doͤrfer durch die Einfuͤhrung derſelben von dem Heerzuge
befreyet haben ſollten? Voll Zweifels uͤber die Wahrheit und
voll Unmuths uͤber die Ungerechtigkeit der Sache ſelbſt, kam
ich von ungefehr auf einen alten Rechtshandel, woraus ſich
dieſes Lufteigenthum auf einmal als eine ſanfte Freyſtaͤdte
zeigte: ich will ihn meinen Leſern erzaͤhlen. Vielleicht neh-
men ſie auch an der Ehre unſrer Vorfahren einen patriotiſchen
Antheil, und lernen, wie gefaͤhrlich es ſey, aus veralteten
Worten neue Schluͤſſe zu ziehen.
Die Koͤnigin von Pohlen Richezza, eine geb. Pfalzgraͤfin
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ſie nicht Luſt hatte das Buͤrgerrecht zu nehmen, begab ſie ſich
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/204>, abgerufen am 21.11.2024.
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