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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Von dem Einflusse der Bevölkerung
gebändiget werden müssen, und die dem ungeachtet immer
in der größten Versuchung bleiben, sich dasjenige durch
Stehlen und Betteln zu erwerben, was sie sich mit ihrer
Hände Arbeit nicht verschaffen können. Der Gesetzgeber,
der in dem Falle, wo der Geldreichthum einige Heuerleute
erhebt, keine gelindere Mittel gegen die Hofgesessene als ge-
gen die Flüchtlinge gebrauchen kan, vermischt den Menschen
mit dem Menschen, und wenn er zuletzt mit einem falschen
philosophischen Auge an jedem Menschen gleiche Würde und
gleiche Rechte erblickt; wann er den Menschen vor dem An-
gesicht Gottes, vor welchem wir alle gleich sind, mit dem
Menschen außer diesem Verhältniß verwechselt, und solcher-
gestalt seine Verordnungen überall mit Schande und mit
Leibes- und Lebensstrafe schärfet: so verlieren sich die Begriffe
von Ehre, Tugend und Sitten, und die vorhin so große
und edle Nation, die keiner Gesetze bedurfte, die ohne Ver-
suchung und Noth in ihrer Selbstgenügsamkeit ruhig und
sicher lebte; die den bloßen Gedanken einer Leibes- und Le-
bensstrafe unerträglich sand, verwandelt sich in einen ver-
mischten Haufen von guten und schlechten Leuten, die nun
je mehr ein unangesessener Mann Geld, Ehre oder Dienste
erhält, gar nicht anders als tyrannisch behandelt werden
kan. Es ist dann kein Vorzug mehr, ein römischer Bürger
zu seyn, wenn das Bürgerrecht allem, was auf dem römi-
schen Boden lebt, mitgetheilet werden muß, wenn unter
dem Namen von Territorialunterthanen, Adel, Erbgeses-
senheit, Wachszinsigkeit, Erbpacht und Heuer durch einan-
der gemengt, und für diese unähnliche Masse nur einerley
Recht gewiesen werden kan. Es entstehen dann Philoso-
phen, welche allgemeine Gesetzbücher schreiben, und Regen-
ten, so dergleichen einführen wollen, und man preiset den
Staat glücklich, wo die Rechte der Menschheit am weitsten

ausge-

Von dem Einfluſſe der Bevoͤlkerung
gebaͤndiget werden muͤſſen, und die dem ungeachtet immer
in der groͤßten Verſuchung bleiben, ſich dasjenige durch
Stehlen und Betteln zu erwerben, was ſie ſich mit ihrer
Haͤnde Arbeit nicht verſchaffen koͤnnen. Der Geſetzgeber,
der in dem Falle, wo der Geldreichthum einige Heuerleute
erhebt, keine gelindere Mittel gegen die Hofgeſeſſene als ge-
gen die Fluͤchtlinge gebrauchen kan, vermiſcht den Menſchen
mit dem Menſchen, und wenn er zuletzt mit einem falſchen
philoſophiſchen Auge an jedem Menſchen gleiche Wuͤrde und
gleiche Rechte erblickt; wann er den Menſchen vor dem An-
geſicht Gottes, vor welchem wir alle gleich ſind, mit dem
Menſchen außer dieſem Verhaͤltniß verwechſelt, und ſolcher-
geſtalt ſeine Verordnungen uͤberall mit Schande und mit
Leibes- und Lebensſtrafe ſchaͤrfet: ſo verlieren ſich die Begriffe
von Ehre, Tugend und Sitten, und die vorhin ſo große
und edle Nation, die keiner Geſetze bedurfte, die ohne Ver-
ſuchung und Noth in ihrer Selbſtgenuͤgſamkeit ruhig und
ſicher lebte; die den bloßen Gedanken einer Leibes- und Le-
bensſtrafe unertraͤglich ſand, verwandelt ſich in einen ver-
miſchten Haufen von guten und ſchlechten Leuten, die nun
je mehr ein unangeſeſſener Mann Geld, Ehre oder Dienſte
erhaͤlt, gar nicht anders als tyranniſch behandelt werden
kan. Es iſt dann kein Vorzug mehr, ein roͤmiſcher Buͤrger
zu ſeyn, wenn das Buͤrgerrecht allem, was auf dem roͤmi-
ſchen Boden lebt, mitgetheilet werden muß, wenn unter
dem Namen von Territorialunterthanen, Adel, Erbgeſeſ-
ſenheit, Wachszinſigkeit, Erbpacht und Heuer durch einan-
der gemengt, und fuͤr dieſe unaͤhnliche Maſſe nur einerley
Recht gewieſen werden kan. Es entſtehen dann Philoſo-
phen, welche allgemeine Geſetzbuͤcher ſchreiben, und Regen-
ten, ſo dergleichen einfuͤhren wollen, und man preiſet den
Staat gluͤcklich, wo die Rechte der Menſchheit am weitſten

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[4/0022] Von dem Einfluſſe der Bevoͤlkerung gebaͤndiget werden muͤſſen, und die dem ungeachtet immer in der groͤßten Verſuchung bleiben, ſich dasjenige durch Stehlen und Betteln zu erwerben, was ſie ſich mit ihrer Haͤnde Arbeit nicht verſchaffen koͤnnen. Der Geſetzgeber, der in dem Falle, wo der Geldreichthum einige Heuerleute erhebt, keine gelindere Mittel gegen die Hofgeſeſſene als ge- gen die Fluͤchtlinge gebrauchen kan, vermiſcht den Menſchen mit dem Menſchen, und wenn er zuletzt mit einem falſchen philoſophiſchen Auge an jedem Menſchen gleiche Wuͤrde und gleiche Rechte erblickt; wann er den Menſchen vor dem An- geſicht Gottes, vor welchem wir alle gleich ſind, mit dem Menſchen außer dieſem Verhaͤltniß verwechſelt, und ſolcher- geſtalt ſeine Verordnungen uͤberall mit Schande und mit Leibes- und Lebensſtrafe ſchaͤrfet: ſo verlieren ſich die Begriffe von Ehre, Tugend und Sitten, und die vorhin ſo große und edle Nation, die keiner Geſetze bedurfte, die ohne Ver- ſuchung und Noth in ihrer Selbſtgenuͤgſamkeit ruhig und ſicher lebte; die den bloßen Gedanken einer Leibes- und Le- bensſtrafe unertraͤglich ſand, verwandelt ſich in einen ver- miſchten Haufen von guten und ſchlechten Leuten, die nun je mehr ein unangeſeſſener Mann Geld, Ehre oder Dienſte erhaͤlt, gar nicht anders als tyranniſch behandelt werden kan. Es iſt dann kein Vorzug mehr, ein roͤmiſcher Buͤrger zu ſeyn, wenn das Buͤrgerrecht allem, was auf dem roͤmi- ſchen Boden lebt, mitgetheilet werden muß, wenn unter dem Namen von Territorialunterthanen, Adel, Erbgeſeſ- ſenheit, Wachszinſigkeit, Erbpacht und Heuer durch einan- der gemengt, und fuͤr dieſe unaͤhnliche Maſſe nur einerley Recht gewieſen werden kan. Es entſtehen dann Philoſo- phen, welche allgemeine Geſetzbuͤcher ſchreiben, und Regen- ten, ſo dergleichen einfuͤhren wollen, und man preiſet den Staat gluͤcklich, wo die Rechte der Menſchheit am weitſten ausge-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/22>, abgerufen am 21.11.2024.