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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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und landsäßigen Schuldner.
freyheit so bedenklichen Schritt nicht anders als mit der reif-
lichsten und zärtlichsten Ueberlegung gewaget haben. Die
damalige Noth, worin binnen einer Zeit von 3 Jahren alle
Bauern dieses Hochstifts entweder von ihren Höfen entsetzt,
oder doch unter eine gerichtliche Verfügung gestellet seyn sol-
len, war auch würklich sehr groß; und rührte hauptsächlich
daher, daß man im Jahr 1622 und 1623 die gar zu schlecht
gewordene Münze ohne eine genugsame Menge besserer ein-
zuführen, plötzlich verrufen, und damit den Schuldnern die
Mittel genommen hatte, sich noch einigermassen zu befreyen.
Wer Gelegenheit gehabt hat, Geldregister von solcher Zeit
einzusehen, wird finden, daß von 1623 bis 1648 alle Zinsen
und Geldgefälle rückständig geblieben seyn.

Der letztere Krieg hat zwar nicht so lange gedauret; dieje-
nigen Gegenden aber, welche er in einer beständigen Folge
betroffen, nicht weniger unglücklich gemacht. Gleichwohl ist
in dem darauf erfolgten Frieden für die verunglückten Schuld-
ner nicht gesorgt. Man hört auch nicht, daß auf Reichs-
oder Landtägen ihrenthalben etwas beschlossen werde. Was
soll also ein Richter, der täglich von dem Gläubiger um Hülfe
und von dem Schuldner um Gedult angeflehet wird, thun,
um sein Gewissen nicht zu verletzen?

Auf der einen Seite verpflichtet ihn sein Amt, dem Gläu-
biger ohne allem Verzug zu helfen. Auf der Gewißheit und
Fertigkeit dieser Hülfe beruhet aller Credit. Der geringste
Ordnungswidrige Verzug, womit er einem Schuldner dienet,
schadet hundert andern, denen kein Gläubiger aushelfen will,
so bald sie Aufzüge zu befürchten haben. Wo die Handlung
blühen soll, muß die richterliche Hülfe sich weder durch die
Thränen der Wittwe noch durch das Geschrey der Waisen auf-
halten lassen. In London, Amsterdam, Hamburg und

Bre-

und landſaͤßigen Schuldner.
freyheit ſo bedenklichen Schritt nicht anders als mit der reif-
lichſten und zaͤrtlichſten Ueberlegung gewaget haben. Die
damalige Noth, worin binnen einer Zeit von 3 Jahren alle
Bauern dieſes Hochſtifts entweder von ihren Hoͤfen entſetzt,
oder doch unter eine gerichtliche Verfuͤgung geſtellet ſeyn ſol-
len, war auch wuͤrklich ſehr groß; und ruͤhrte hauptſaͤchlich
daher, daß man im Jahr 1622 und 1623 die gar zu ſchlecht
gewordene Muͤnze ohne eine genugſame Menge beſſerer ein-
zufuͤhren, ploͤtzlich verrufen, und damit den Schuldnern die
Mittel genommen hatte, ſich noch einigermaſſen zu befreyen.
Wer Gelegenheit gehabt hat, Geldregiſter von ſolcher Zeit
einzuſehen, wird finden, daß von 1623 bis 1648 alle Zinſen
und Geldgefaͤlle ruͤckſtaͤndig geblieben ſeyn.

Der letztere Krieg hat zwar nicht ſo lange gedauret; dieje-
nigen Gegenden aber, welche er in einer beſtaͤndigen Folge
betroffen, nicht weniger ungluͤcklich gemacht. Gleichwohl iſt
in dem darauf erfolgten Frieden fuͤr die verungluͤckten Schuld-
ner nicht geſorgt. Man hoͤrt auch nicht, daß auf Reichs-
oder Landtaͤgen ihrenthalben etwas beſchloſſen werde. Was
ſoll alſo ein Richter, der taͤglich von dem Glaͤubiger um Huͤlfe
und von dem Schuldner um Gedult angeflehet wird, thun,
um ſein Gewiſſen nicht zu verletzen?

Auf der einen Seite verpflichtet ihn ſein Amt, dem Glaͤu-
biger ohne allem Verzug zu helfen. Auf der Gewißheit und
Fertigkeit dieſer Huͤlfe beruhet aller Credit. Der geringſte
Ordnungswidrige Verzug, womit er einem Schuldner dienet,
ſchadet hundert andern, denen kein Glaͤubiger aushelfen will,
ſo bald ſie Aufzuͤge zu befuͤrchten haben. Wo die Handlung
bluͤhen ſoll, muß die richterliche Huͤlfe ſich weder durch die
Thraͤnen der Wittwe noch durch das Geſchrey der Waiſen auf-
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[207/0225] und landſaͤßigen Schuldner. freyheit ſo bedenklichen Schritt nicht anders als mit der reif- lichſten und zaͤrtlichſten Ueberlegung gewaget haben. Die damalige Noth, worin binnen einer Zeit von 3 Jahren alle Bauern dieſes Hochſtifts entweder von ihren Hoͤfen entſetzt, oder doch unter eine gerichtliche Verfuͤgung geſtellet ſeyn ſol- len, war auch wuͤrklich ſehr groß; und ruͤhrte hauptſaͤchlich daher, daß man im Jahr 1622 und 1623 die gar zu ſchlecht gewordene Muͤnze ohne eine genugſame Menge beſſerer ein- zufuͤhren, ploͤtzlich verrufen, und damit den Schuldnern die Mittel genommen hatte, ſich noch einigermaſſen zu befreyen. Wer Gelegenheit gehabt hat, Geldregiſter von ſolcher Zeit einzuſehen, wird finden, daß von 1623 bis 1648 alle Zinſen und Geldgefaͤlle ruͤckſtaͤndig geblieben ſeyn. Der letztere Krieg hat zwar nicht ſo lange gedauret; dieje- nigen Gegenden aber, welche er in einer beſtaͤndigen Folge betroffen, nicht weniger ungluͤcklich gemacht. Gleichwohl iſt in dem darauf erfolgten Frieden fuͤr die verungluͤckten Schuld- ner nicht geſorgt. Man hoͤrt auch nicht, daß auf Reichs- oder Landtaͤgen ihrenthalben etwas beſchloſſen werde. Was ſoll alſo ein Richter, der taͤglich von dem Glaͤubiger um Huͤlfe und von dem Schuldner um Gedult angeflehet wird, thun, um ſein Gewiſſen nicht zu verletzen? Auf der einen Seite verpflichtet ihn ſein Amt, dem Glaͤu- biger ohne allem Verzug zu helfen. Auf der Gewißheit und Fertigkeit dieſer Huͤlfe beruhet aller Credit. Der geringſte Ordnungswidrige Verzug, womit er einem Schuldner dienet, ſchadet hundert andern, denen kein Glaͤubiger aushelfen will, ſo bald ſie Aufzuͤge zu befuͤrchten haben. Wo die Handlung bluͤhen ſoll, muß die richterliche Huͤlfe ſich weder durch die Thraͤnen der Wittwe noch durch das Geſchrey der Waiſen auf- halten laſſen. In London, Amſterdam, Hamburg und Bre-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/225>, abgerufen am 24.11.2024.