glücklichen einen Fehler zu finden, um ihn zu seiner eigenen Ruhe deste rechtmäßiger hassen zu können; so sind wir Men- schen. Zudem wiegt der Staat die Verdienste nicht wie der Sittenlehrer ab. Jener zieht oft große Talente, wenn sie auch von Stolz und Unbescheidenheit begleitet werden, mit Recht einer minder geschickten Bescheidenheit vor.
Derjenige Staat würde auch sehr unglücklich seyn, der nicht mehrere und viel mehrere Männer von Verdiensten be- säße, als er belohnen könnte; und bey dieser Voraussetzung würde es doch immer für sehr viele Menschen unangenehm seyn, sich vorstellen zu müssen, daß die Belohnten auch die vorzüglichsten unter allen wären, und jeder Ordensband auch den besten Ritter bezeichnete. Jetzt können diese zu ihrer Be- ruhigung denken, das Glück und nicht das Verdienst hat diese erhoben; oder mit dem Dichter sprechen: hier deckt ein gros- ser Stern ein kleines Herz. Allein wenn alles nach Verdien- sten gienge: so fiele diese so nöthige Beruhigung ganz weg, und der Schuster der mit aller Zufriedenheit an seinen Leisten klopft, so lange er sich schmeicheln kan, daß er ganz etwas anders als der Frau Burgermeisterin ihre Pantoffeln flicken würde, wenn Verdienste in der Welt geachtet würden, könnte unmöglich glücklich seyn.
Lassen sie also, liebster Freund! ihren schwermerischen Ge- danken von der Glückseligkeit eines Staats fahren, worinn alles nach Verdiensten gehen sollte. Wo Menschen herrschen und Menschen dienen, ist Geburt und Alter, oder das Dienst- alter immer noch die sicherste und am wenigsten beleidigende Regel zu Beförderungen. Dem schöpferischen Genie oder der eigentlichen Virtu wird diese Regel nicht schaden; aber aber eine Ausnahme von dieser Art ist sehr selten, und wird auch nur schlechte Herzen kränken.
L.
An einen Officier.
gluͤcklichen einen Fehler zu finden, um ihn zu ſeiner eigenen Ruhe deſte rechtmaͤßiger haſſen zu koͤnnen; ſo ſind wir Men- ſchen. Zudem wiegt der Staat die Verdienſte nicht wie der Sittenlehrer ab. Jener zieht oft große Talente, wenn ſie auch von Stolz und Unbeſcheidenheit begleitet werden, mit Recht einer minder geſchickten Beſcheidenheit vor.
Derjenige Staat wuͤrde auch ſehr ungluͤcklich ſeyn, der nicht mehrere und viel mehrere Maͤnner von Verdienſten be- ſaͤße, als er belohnen koͤnnte; und bey dieſer Vorausſetzung wuͤrde es doch immer fuͤr ſehr viele Menſchen unangenehm ſeyn, ſich vorſtellen zu muͤſſen, daß die Belohnten auch die vorzuͤglichſten unter allen waͤren, und jeder Ordensband auch den beſten Ritter bezeichnete. Jetzt koͤnnen dieſe zu ihrer Be- ruhigung denken, das Gluͤck und nicht das Verdienſt hat dieſe erhoben; oder mit dem Dichter ſprechen: hier deckt ein groſ- ſer Stern ein kleines Herz. Allein wenn alles nach Verdien- ſten gienge: ſo fiele dieſe ſo noͤthige Beruhigung ganz weg, und der Schuſter der mit aller Zufriedenheit an ſeinen Leiſten klopft, ſo lange er ſich ſchmeicheln kan, daß er ganz etwas anders als der Frau Burgermeiſterin ihre Pantoffeln flicken wuͤrde, wenn Verdienſte in der Welt geachtet wuͤrden, koͤnnte unmoͤglich gluͤcklich ſeyn.
Laſſen ſie alſo, liebſter Freund! ihren ſchwermeriſchen Ge- danken von der Gluͤckſeligkeit eines Staats fahren, worinn alles nach Verdienſten gehen ſollte. Wo Menſchen herrſchen und Menſchen dienen, iſt Geburt und Alter, oder das Dienſt- alter immer noch die ſicherſte und am wenigſten beleidigende Regel zu Befoͤrderungen. Dem ſchoͤpferiſchen Genie oder der eigentlichen Virtu wird dieſe Regel nicht ſchaden; aber aber eine Ausnahme von dieſer Art iſt ſehr ſelten, und wird auch nur ſchlechte Herzen kraͤnken.
L.
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An einen Officier.
gluͤcklichen einen Fehler zu finden, um ihn zu ſeiner eigenen
Ruhe deſte rechtmaͤßiger haſſen zu koͤnnen; ſo ſind wir Men-
ſchen. Zudem wiegt der Staat die Verdienſte nicht wie der
Sittenlehrer ab. Jener zieht oft große Talente, wenn ſie
auch von Stolz und Unbeſcheidenheit begleitet werden, mit
Recht einer minder geſchickten Beſcheidenheit vor.
Derjenige Staat wuͤrde auch ſehr ungluͤcklich ſeyn, der
nicht mehrere und viel mehrere Maͤnner von Verdienſten be-
ſaͤße, als er belohnen koͤnnte; und bey dieſer Vorausſetzung
wuͤrde es doch immer fuͤr ſehr viele Menſchen unangenehm
ſeyn, ſich vorſtellen zu muͤſſen, daß die Belohnten auch die
vorzuͤglichſten unter allen waͤren, und jeder Ordensband auch
den beſten Ritter bezeichnete. Jetzt koͤnnen dieſe zu ihrer Be-
ruhigung denken, das Gluͤck und nicht das Verdienſt hat dieſe
erhoben; oder mit dem Dichter ſprechen: hier deckt ein groſ-
ſer Stern ein kleines Herz. Allein wenn alles nach Verdien-
ſten gienge: ſo fiele dieſe ſo noͤthige Beruhigung ganz weg,
und der Schuſter der mit aller Zufriedenheit an ſeinen Leiſten
klopft, ſo lange er ſich ſchmeicheln kan, daß er ganz etwas
anders als der Frau Burgermeiſterin ihre Pantoffeln flicken
wuͤrde, wenn Verdienſte in der Welt geachtet wuͤrden, koͤnnte
unmoͤglich gluͤcklich ſeyn.
Laſſen ſie alſo, liebſter Freund! ihren ſchwermeriſchen Ge-
danken von der Gluͤckſeligkeit eines Staats fahren, worinn
alles nach Verdienſten gehen ſollte. Wo Menſchen herrſchen
und Menſchen dienen, iſt Geburt und Alter, oder das Dienſt-
alter immer noch die ſicherſte und am wenigſten beleidigende
Regel zu Befoͤrderungen. Dem ſchoͤpferiſchen Genie oder
der eigentlichen Virtu wird dieſe Regel nicht ſchaden; aber
aber eine Ausnahme von dieſer Art iſt ſehr ſelten, und wird
auch nur ſchlechte Herzen kraͤnken.
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/337>, abgerufen am 24.11.2024.
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