Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

Der jetzige Hang zu allgemeinen Gesetzen
zu befolgende Regeln abgeben, wenn sie brauchbar und zu-
reichend seyn, wenn sie dem Generaldepartement zur Richt-
schnur dienen sollen, um die Vorschläge, Berichte und Aus-
richtungen der Localbeamten darnach zu prüfen, zu beurthei-
len und zu verwerfen, sind mehrentheils stolze Eingriffe in
die menschliche Vernunft, Zersiörungen des Privateigen-
thums, und Verletzung der Freyheit. Die philosophischen
Theorien untergraben alle ursprünglichen Contrakte, alle
Privilegien und Freyheiten, alle Bedingungen und Verjäh-
rungen, indem sie die Pflichten der Regenten und Untertha-
nen und überhaupt alle gesellschaftlichen Rechte aus einem
einzigen Grundsatze ableiten, und um sich Bahn zu machen,
jede hergebrachte, verglichene und verjährte Einschränkun-
gen, als so viel Hinderungen betrachten, die sie mit dem
Fuße oder mit einem systematischen Schlusse aus ihrem Wege
stossen können.

Die Contrakte eines Privatmannes gelten bey Entscheidung
einer Streitsache mehr als gemeine Rechte, außerordentliche
Fälle ausgenommen. Gewohnheiten, Verabredungen und
Vergleiche einer Gemeinheit gelten auf gleiche Weise und
eben aus demselben Grunde, mehr als Provinzialverord-
nungen; und Provinzialabschiede, mehr als allgemeine Lan-
desgesetze. Dieses ist allemal der natürliche Gang der ge-
sellschastlichen Rechte gewesen, welchen man zwar dann und
wann aus höhern Ursachen verändert hat, aber doch nicht
völlig verlassen kan, ohne den Willen eines einzigen zum Ge-
setze für alle zu machen. Voltaire hätte nicht nöthig gehabt,
die Verschiedenheit der Rechte in zween nahegelegenen Dör-
färn lächerlich zu finden; er hätte dieselbe Verschiedenheit in
zween unter einem Dache lebenden Familien finden können,
wovon das Haupt der einen mit seiner Frau in Gemeinschaft

lebt,

Der jetzige Hang zu allgemeinen Geſetzen
zu befolgende Regeln abgeben, wenn ſie brauchbar und zu-
reichend ſeyn, wenn ſie dem Generaldepartement zur Richt-
ſchnur dienen ſollen, um die Vorſchlaͤge, Berichte und Aus-
richtungen der Localbeamten darnach zu pruͤfen, zu beurthei-
len und zu verwerfen, ſind mehrentheils ſtolze Eingriffe in
die menſchliche Vernunft, Zerſioͤrungen des Privateigen-
thums, und Verletzung der Freyheit. Die philoſophiſchen
Theorien untergraben alle urſpruͤnglichen Contrakte, alle
Privilegien und Freyheiten, alle Bedingungen und Verjaͤh-
rungen, indem ſie die Pflichten der Regenten und Untertha-
nen und uͤberhaupt alle geſellſchaftlichen Rechte aus einem
einzigen Grundſatze ableiten, und um ſich Bahn zu machen,
jede hergebrachte, verglichene und verjaͤhrte Einſchraͤnkun-
gen, als ſo viel Hinderungen betrachten, die ſie mit dem
Fuße oder mit einem ſyſtematiſchen Schluſſe aus ihrem Wege
ſtoſſen koͤnnen.

Die Contrakte eines Privatmannes gelten bey Entſcheidung
einer Streitſache mehr als gemeine Rechte, außerordentliche
Faͤlle ausgenommen. Gewohnheiten, Verabredungen und
Vergleiche einer Gemeinheit gelten auf gleiche Weiſe und
eben aus demſelben Grunde, mehr als Provinzialverord-
nungen; und Provinzialabſchiede, mehr als allgemeine Lan-
desgeſetze. Dieſes iſt allemal der natuͤrliche Gang der ge-
ſellſchaſtlichen Rechte geweſen, welchen man zwar dann und
wann aus hoͤhern Urſachen veraͤndert hat, aber doch nicht
voͤllig verlaſſen kan, ohne den Willen eines einzigen zum Ge-
ſetze fuͤr alle zu machen. Voltaire haͤtte nicht noͤthig gehabt,
die Verſchiedenheit der Rechte in zween nahegelegenen Doͤr-
faͤrn laͤcherlich zu finden; er haͤtte dieſelbe Verſchiedenheit in
zween unter einem Dache lebenden Familien finden koͤnnen,
wovon das Haupt der einen mit ſeiner Frau in Gemeinſchaft

lebt,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0036" n="18"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Der jetzige Hang zu allgemeinen Ge&#x017F;etzen</hi></fw><lb/>
zu befolgende Regeln abgeben, wenn &#x017F;ie brauchbar und zu-<lb/>
reichend &#x017F;eyn, wenn &#x017F;ie dem Generaldepartement zur Richt-<lb/>
&#x017F;chnur dienen &#x017F;ollen, um die Vor&#x017F;chla&#x0364;ge, Berichte und Aus-<lb/>
richtungen der Localbeamten darnach zu pru&#x0364;fen, zu beurthei-<lb/>
len und zu verwerfen, &#x017F;ind mehrentheils &#x017F;tolze Eingriffe in<lb/>
die men&#x017F;chliche Vernunft, Zer&#x017F;io&#x0364;rungen des Privateigen-<lb/>
thums, und Verletzung der Freyheit. Die philo&#x017F;ophi&#x017F;chen<lb/>
Theorien untergraben alle ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Contrakte, alle<lb/>
Privilegien und Freyheiten, alle Bedingungen und Verja&#x0364;h-<lb/>
rungen, indem &#x017F;ie die Pflichten der Regenten und Untertha-<lb/>
nen und u&#x0364;berhaupt alle ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Rechte aus einem<lb/>
einzigen Grund&#x017F;atze ableiten, und um &#x017F;ich Bahn zu machen,<lb/>
jede hergebrachte, verglichene und verja&#x0364;hrte Ein&#x017F;chra&#x0364;nkun-<lb/>
gen, als &#x017F;o viel Hinderungen betrachten, die &#x017F;ie mit dem<lb/>
Fuße oder mit einem &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen Schlu&#x017F;&#x017F;e aus ihrem Wege<lb/>
&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <p>Die Contrakte eines Privatmannes gelten bey Ent&#x017F;cheidung<lb/>
einer Streit&#x017F;ache mehr als gemeine Rechte, außerordentliche<lb/>
Fa&#x0364;lle ausgenommen. Gewohnheiten, Verabredungen und<lb/>
Vergleiche einer Gemeinheit gelten auf gleiche Wei&#x017F;e und<lb/>
eben aus dem&#x017F;elben Grunde, mehr als Provinzialverord-<lb/>
nungen; und Provinzialab&#x017F;chiede, mehr als allgemeine Lan-<lb/>
desge&#x017F;etze. Die&#x017F;es i&#x017F;t allemal der natu&#x0364;rliche Gang der ge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;cha&#x017F;tlichen Rechte gewe&#x017F;en, welchen man zwar dann und<lb/>
wann aus ho&#x0364;hern Ur&#x017F;achen vera&#x0364;ndert hat, aber doch nicht<lb/>
vo&#x0364;llig verla&#x017F;&#x017F;en kan, ohne den Willen eines einzigen zum Ge-<lb/>
&#x017F;etze fu&#x0364;r alle zu machen. Voltaire ha&#x0364;tte nicht no&#x0364;thig gehabt,<lb/>
die Ver&#x017F;chiedenheit der Rechte in zween nahegelegenen Do&#x0364;r-<lb/>
fa&#x0364;rn la&#x0364;cherlich zu finden; er ha&#x0364;tte die&#x017F;elbe Ver&#x017F;chiedenheit in<lb/>
zween unter einem Dache lebenden Familien finden ko&#x0364;nnen,<lb/>
wovon das Haupt der einen mit &#x017F;einer Frau in Gemein&#x017F;chaft<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">lebt,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0036] Der jetzige Hang zu allgemeinen Geſetzen zu befolgende Regeln abgeben, wenn ſie brauchbar und zu- reichend ſeyn, wenn ſie dem Generaldepartement zur Richt- ſchnur dienen ſollen, um die Vorſchlaͤge, Berichte und Aus- richtungen der Localbeamten darnach zu pruͤfen, zu beurthei- len und zu verwerfen, ſind mehrentheils ſtolze Eingriffe in die menſchliche Vernunft, Zerſioͤrungen des Privateigen- thums, und Verletzung der Freyheit. Die philoſophiſchen Theorien untergraben alle urſpruͤnglichen Contrakte, alle Privilegien und Freyheiten, alle Bedingungen und Verjaͤh- rungen, indem ſie die Pflichten der Regenten und Untertha- nen und uͤberhaupt alle geſellſchaftlichen Rechte aus einem einzigen Grundſatze ableiten, und um ſich Bahn zu machen, jede hergebrachte, verglichene und verjaͤhrte Einſchraͤnkun- gen, als ſo viel Hinderungen betrachten, die ſie mit dem Fuße oder mit einem ſyſtematiſchen Schluſſe aus ihrem Wege ſtoſſen koͤnnen. Die Contrakte eines Privatmannes gelten bey Entſcheidung einer Streitſache mehr als gemeine Rechte, außerordentliche Faͤlle ausgenommen. Gewohnheiten, Verabredungen und Vergleiche einer Gemeinheit gelten auf gleiche Weiſe und eben aus demſelben Grunde, mehr als Provinzialverord- nungen; und Provinzialabſchiede, mehr als allgemeine Lan- desgeſetze. Dieſes iſt allemal der natuͤrliche Gang der ge- ſellſchaſtlichen Rechte geweſen, welchen man zwar dann und wann aus hoͤhern Urſachen veraͤndert hat, aber doch nicht voͤllig verlaſſen kan, ohne den Willen eines einzigen zum Ge- ſetze fuͤr alle zu machen. Voltaire haͤtte nicht noͤthig gehabt, die Verſchiedenheit der Rechte in zween nahegelegenen Doͤr- faͤrn laͤcherlich zu finden; er haͤtte dieſelbe Verſchiedenheit in zween unter einem Dache lebenden Familien finden koͤnnen, wovon das Haupt der einen mit ſeiner Frau in Gemeinſchaft lebt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/36
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/36>, abgerufen am 23.11.2024.