ansehen können: so würde ihn der ganze Hof ohne Gnade für verrückt ausschreyen. Dem Pöbel allein liegt es ob die Welt zu bevölkern; und eine so einfältige Fruchtbarkeit ist der höchste Grad der Dummheit.
Und eben so denke ich von allen euren baren Tugenden und ofnen Herzen. Jene sind wie eure rohen Schinken, und diese gleichen einer nackten Haut ohne Schminke, die man ohne zu schaudern nicht ansehen kan. Dafür ist es hier denn doch noch gülden, da ist noch Tugend so schön wie But- ter a quatre couleuts.
Eure Mannthiere sind aber in ihrer Art fast noch lächerli- cher. Diejenigen, so bey uns das Land regieren, haben ihre Hauscanzleyen, welchen sie einmal für alle sagen: zugestan- den, was Geld einbringt, und alles übrige abgeschlagen. Die Ausfertigungen gehn demnächst ihren Gang, und es braucht keines weitern Vortrags. Der Staat ist da das Generalho- spital; wenn der Arzt nur einmal gesagt hat: Zur Rechten Ader gelassen, zur Linken abgeführt: so wissen die Handlanger mehr als zu viel. Was würde es auch für eine erschreckliche Arbeit seyn, alle Krankheiten zu untersuchen oder alle Sachen selbst einzusehen, und so wie euer Herr M .... thut, bey jedem Ja und Nein, was er auf die eingekommenen Vorstel- lungen setzt, mit einem Buchstaben noch besonders zu bemer- ken, ob das Neinpiano, andante, andantino, grave, forte, piacevole gratioso oder stoccato und allabreve ertheilet werden soll?
In eurem Lande hingegen arbeiten dergleichen Herrn oft für einen armen Bauren, als wenn des ganzen Landes Wohl- fahrt daran läge, ob ein Hundert dergleichen Krautköpfe mehr oder weniger in der Welt wären; die edlen Abendstun- den, die in der ganzen vernünftigen Welt der Freude heilig
sind,
Schreiben eines reiſenden Pariſers
anſehen koͤnnen: ſo wuͤrde ihn der ganze Hof ohne Gnade fuͤr verruͤckt ausſchreyen. Dem Poͤbel allein liegt es ob die Welt zu bevoͤlkern; und eine ſo einfaͤltige Fruchtbarkeit iſt der hoͤchſte Grad der Dummheit.
Und eben ſo denke ich von allen euren baren Tugenden und ofnen Herzen. Jene ſind wie eure rohen Schinken, und dieſe gleichen einer nackten Haut ohne Schminke, die man ohne zu ſchaudern nicht anſehen kan. Dafuͤr iſt es hier denn doch noch guͤlden, da iſt noch Tugend ſo ſchoͤn wie But- ter a quatre couleuts.
Eure Mannthiere ſind aber in ihrer Art faſt noch laͤcherli- cher. Diejenigen, ſo bey uns das Land regieren, haben ihre Hauscanzleyen, welchen ſie einmal fuͤr alle ſagen: zugeſtan- den, was Geld einbringt, und alles uͤbrige abgeſchlagen. Die Ausfertigungen gehn demnaͤchſt ihren Gang, und es braucht keines weitern Vortrags. Der Staat iſt da das Generalho- ſpital; wenn der Arzt nur einmal geſagt hat: Zur Rechten Ader gelaſſen, zur Linken abgefuͤhrt: ſo wiſſen die Handlanger mehr als zu viel. Was wuͤrde es auch fuͤr eine erſchreckliche Arbeit ſeyn, alle Krankheiten zu unterſuchen oder alle Sachen ſelbſt einzuſehen, und ſo wie euer Herr M .... thut, bey jedem Ja und Nein, was er auf die eingekommenen Vorſtel- lungen ſetzt, mit einem Buchſtaben noch beſonders zu bemer- ken, ob das Neinpiano, andante, andantino, grave, forte, piacevole gratioſo oder ſtoccato und allabreve ertheilet werden ſoll?
In eurem Lande hingegen arbeiten dergleichen Herrn oft fuͤr einen armen Bauren, als wenn des ganzen Landes Wohl- fahrt daran laͤge, ob ein Hundert dergleichen Krautkoͤpfe mehr oder weniger in der Welt waͤren; die edlen Abendſtun- den, die in der ganzen vernuͤnftigen Welt der Freude heilig
ſind,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0368"n="350"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Schreiben eines reiſenden Pariſers</hi></fw><lb/>
anſehen koͤnnen: ſo wuͤrde ihn der ganze Hof ohne Gnade fuͤr<lb/>
verruͤckt ausſchreyen. Dem Poͤbel allein liegt es ob die Welt<lb/>
zu bevoͤlkern; und eine ſo einfaͤltige Fruchtbarkeit iſt der hoͤchſte<lb/>
Grad der Dummheit.</p><lb/><p>Und eben ſo denke ich von allen euren baren Tugenden und<lb/>
ofnen Herzen. Jene ſind wie eure rohen Schinken, und<lb/>
dieſe gleichen einer nackten Haut ohne Schminke, die<lb/>
man ohne zu ſchaudern nicht anſehen kan. Dafuͤr iſt es hier<lb/>
denn doch noch guͤlden, da iſt noch Tugend ſo ſchoͤn wie But-<lb/>
ter <hirendition="#aq">a quatre couleuts.</hi></p><lb/><p>Eure Mannthiere ſind aber in ihrer Art faſt noch laͤcherli-<lb/>
cher. Diejenigen, ſo bey uns das Land regieren, haben ihre<lb/>
Hauscanzleyen, welchen ſie einmal fuͤr alle ſagen: zugeſtan-<lb/>
den, was Geld einbringt, und alles uͤbrige abgeſchlagen. Die<lb/>
Ausfertigungen gehn demnaͤchſt ihren Gang, und es braucht<lb/>
keines weitern Vortrags. Der Staat iſt da das Generalho-<lb/>ſpital; wenn der Arzt nur einmal geſagt hat: Zur Rechten<lb/>
Ader gelaſſen, zur Linken abgefuͤhrt: ſo wiſſen die Handlanger<lb/>
mehr als zu viel. Was wuͤrde es auch fuͤr eine erſchreckliche<lb/>
Arbeit ſeyn, alle Krankheiten zu unterſuchen oder alle Sachen<lb/>ſelbſt einzuſehen, und ſo wie euer Herr M .... thut, bey<lb/>
jedem <hirendition="#fr">Ja</hi> und <hirendition="#fr">Nein,</hi> was er auf die eingekommenen Vorſtel-<lb/>
lungen ſetzt, mit einem Buchſtaben noch beſonders zu bemer-<lb/>
ken, ob das <hirendition="#fr">Nein</hi><hirendition="#aq">piano, andante, andantino, grave, forte,<lb/>
piacevole gratioſo</hi> oder <hirendition="#aq">ſtoccato</hi> und <hirendition="#aq">allabreve</hi> ertheilet<lb/>
werden ſoll?</p><lb/><p>In eurem Lande hingegen arbeiten dergleichen Herrn oft<lb/>
fuͤr einen armen Bauren, als wenn des ganzen Landes Wohl-<lb/>
fahrt daran laͤge, ob ein Hundert dergleichen Krautkoͤpfe<lb/>
mehr oder weniger in der Welt waͤren; die edlen Abendſtun-<lb/>
den, die in der ganzen vernuͤnftigen Welt der Freude heilig<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſind,</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[350/0368]
Schreiben eines reiſenden Pariſers
anſehen koͤnnen: ſo wuͤrde ihn der ganze Hof ohne Gnade fuͤr
verruͤckt ausſchreyen. Dem Poͤbel allein liegt es ob die Welt
zu bevoͤlkern; und eine ſo einfaͤltige Fruchtbarkeit iſt der hoͤchſte
Grad der Dummheit.
Und eben ſo denke ich von allen euren baren Tugenden und
ofnen Herzen. Jene ſind wie eure rohen Schinken, und
dieſe gleichen einer nackten Haut ohne Schminke, die
man ohne zu ſchaudern nicht anſehen kan. Dafuͤr iſt es hier
denn doch noch guͤlden, da iſt noch Tugend ſo ſchoͤn wie But-
ter a quatre couleuts.
Eure Mannthiere ſind aber in ihrer Art faſt noch laͤcherli-
cher. Diejenigen, ſo bey uns das Land regieren, haben ihre
Hauscanzleyen, welchen ſie einmal fuͤr alle ſagen: zugeſtan-
den, was Geld einbringt, und alles uͤbrige abgeſchlagen. Die
Ausfertigungen gehn demnaͤchſt ihren Gang, und es braucht
keines weitern Vortrags. Der Staat iſt da das Generalho-
ſpital; wenn der Arzt nur einmal geſagt hat: Zur Rechten
Ader gelaſſen, zur Linken abgefuͤhrt: ſo wiſſen die Handlanger
mehr als zu viel. Was wuͤrde es auch fuͤr eine erſchreckliche
Arbeit ſeyn, alle Krankheiten zu unterſuchen oder alle Sachen
ſelbſt einzuſehen, und ſo wie euer Herr M .... thut, bey
jedem Ja und Nein, was er auf die eingekommenen Vorſtel-
lungen ſetzt, mit einem Buchſtaben noch beſonders zu bemer-
ken, ob das Nein piano, andante, andantino, grave, forte,
piacevole gratioſo oder ſtoccato und allabreve ertheilet
werden ſoll?
In eurem Lande hingegen arbeiten dergleichen Herrn oft
fuͤr einen armen Bauren, als wenn des ganzen Landes Wohl-
fahrt daran laͤge, ob ein Hundert dergleichen Krautkoͤpfe
mehr oder weniger in der Welt waͤren; die edlen Abendſtun-
den, die in der ganzen vernuͤnftigen Welt der Freude heilig
ſind,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/368>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.