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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Die wahre Gewissenhaftigkeit.
noch auf einige Tage fristen zu können; und wer weis ob ihr
nicht immittelst so glücklich seyd ein Land oder Schiff zu ent-
decken, was euch zu Hülfe kommt ... Die Noth verstat-
tet keine lange Ueberlegung, die Würfel wurden herbey ge-
bracht, und unser Barbier that den ersten Wurf; der zwar
ziemlich hoch, aber doch nicht so hoch war, daß er sich nicht
die Hoffnung machen konnte, von den übrigen, deren noch
sieben und zwanzig waren, übertroffen zu werden. Der
Steuermann warf nach ihm aber sehr wenige Augen; ihm
folgte einer nach dem andern mit gleichem Glücke bis auf den
Columbus, der zuletzt werfen sollte. Hier riefen die Matro-
sen einhellig, er solle und dürfe nicht mit werfen, indem sie
ihn nicht entbehren könnten, wann er auch so unglücklich seyn
sollte den Barbier abzuwerfen. Allein er dachte in dieser
Noth, wo ein Mensch so gut wie der andre ist, an keine Vor-
züge, und an keinen Rang; griff dem Steuermann die Wür-
fel aus der Hand und warf -- -- -- eben wie die andern
weniger als der Barbier, der ihn mit vielem Eyfer überzeugt
hatte, daß er sich ohne Nachtheil seiner Ehre dem Loosen nicht
entziehen könnte. Dieser mußte also zuerst daran, und das
Schiffsvolk verzehrte schon den fetten Körper, der sich bey
Tropfen und Pulvern und etwas heimlichen Zwieback noch
am besten gestanden hatte, mit grimmigen Augen, als er sich
großmüthig schüttelte und mit einem Muthe, den ihm die
Todesangst einflössete, die übrigen also anredete:

"O der seligen Stunde da ich mein Leben für meine besten
"Freunde aufopfern kan! Wie sehnlich habe ich mir jederzeit
"dieses glückliche Loos gewünscht! Nächst dem Tode fürs Va-
"terland ist nichts sanfter als für seine Freunde zu sterben! ..
"Aber meine theuresten Freunde! Eins .. Eins .. muß
"ich euch sagen; ich muß es sagen, damit es meine Ruhe jen-
"seit des Grabes nicht störe: damit ich nicht noch nach mei-

"nem

Die wahre Gewiſſenhaftigkeit.
noch auf einige Tage friſten zu koͤnnen; und wer weis ob ihr
nicht immittelſt ſo gluͤcklich ſeyd ein Land oder Schiff zu ent-
decken, was euch zu Huͤlfe kommt … Die Noth verſtat-
tet keine lange Ueberlegung, die Wuͤrfel wurden herbey ge-
bracht, und unſer Barbier that den erſten Wurf; der zwar
ziemlich hoch, aber doch nicht ſo hoch war, daß er ſich nicht
die Hoffnung machen konnte, von den uͤbrigen, deren noch
ſieben und zwanzig waren, uͤbertroffen zu werden. Der
Steuermann warf nach ihm aber ſehr wenige Augen; ihm
folgte einer nach dem andern mit gleichem Gluͤcke bis auf den
Columbus, der zuletzt werfen ſollte. Hier riefen die Matro-
ſen einhellig, er ſolle und duͤrfe nicht mit werfen, indem ſie
ihn nicht entbehren koͤnnten, wann er auch ſo ungluͤcklich ſeyn
ſollte den Barbier abzuwerfen. Allein er dachte in dieſer
Noth, wo ein Menſch ſo gut wie der andre iſt, an keine Vor-
zuͤge, und an keinen Rang; griff dem Steuermann die Wuͤr-
fel aus der Hand und warf — — — eben wie die andern
weniger als der Barbier, der ihn mit vielem Eyfer uͤberzeugt
hatte, daß er ſich ohne Nachtheil ſeiner Ehre dem Looſen nicht
entziehen koͤnnte. Dieſer mußte alſo zuerſt daran, und das
Schiffsvolk verzehrte ſchon den fetten Koͤrper, der ſich bey
Tropfen und Pulvern und etwas heimlichen Zwieback noch
am beſten geſtanden hatte, mit grimmigen Augen, als er ſich
großmuͤthig ſchuͤttelte und mit einem Muthe, den ihm die
Todesangſt einfloͤſſete, die uͤbrigen alſo anredete:

„O der ſeligen Stunde da ich mein Leben fuͤr meine beſten
„Freunde aufopfern kan! Wie ſehnlich habe ich mir jederzeit
„dieſes gluͤckliche Loos gewuͤnſcht! Naͤchſt dem Tode fuͤrs Va-
„terland iſt nichts ſanfter als fuͤr ſeine Freunde zu ſterben! ..
„Aber meine theureſten Freunde! Eins .. Eins .. muß
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„ſeit des Grabes nicht ſtoͤre: damit ich nicht noch nach mei-

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[368/0386] Die wahre Gewiſſenhaftigkeit. noch auf einige Tage friſten zu koͤnnen; und wer weis ob ihr nicht immittelſt ſo gluͤcklich ſeyd ein Land oder Schiff zu ent- decken, was euch zu Huͤlfe kommt … Die Noth verſtat- tet keine lange Ueberlegung, die Wuͤrfel wurden herbey ge- bracht, und unſer Barbier that den erſten Wurf; der zwar ziemlich hoch, aber doch nicht ſo hoch war, daß er ſich nicht die Hoffnung machen konnte, von den uͤbrigen, deren noch ſieben und zwanzig waren, uͤbertroffen zu werden. Der Steuermann warf nach ihm aber ſehr wenige Augen; ihm folgte einer nach dem andern mit gleichem Gluͤcke bis auf den Columbus, der zuletzt werfen ſollte. Hier riefen die Matro- ſen einhellig, er ſolle und duͤrfe nicht mit werfen, indem ſie ihn nicht entbehren koͤnnten, wann er auch ſo ungluͤcklich ſeyn ſollte den Barbier abzuwerfen. Allein er dachte in dieſer Noth, wo ein Menſch ſo gut wie der andre iſt, an keine Vor- zuͤge, und an keinen Rang; griff dem Steuermann die Wuͤr- fel aus der Hand und warf — — — eben wie die andern weniger als der Barbier, der ihn mit vielem Eyfer uͤberzeugt hatte, daß er ſich ohne Nachtheil ſeiner Ehre dem Looſen nicht entziehen koͤnnte. Dieſer mußte alſo zuerſt daran, und das Schiffsvolk verzehrte ſchon den fetten Koͤrper, der ſich bey Tropfen und Pulvern und etwas heimlichen Zwieback noch am beſten geſtanden hatte, mit grimmigen Augen, als er ſich großmuͤthig ſchuͤttelte und mit einem Muthe, den ihm die Todesangſt einfloͤſſete, die uͤbrigen alſo anredete: „O der ſeligen Stunde da ich mein Leben fuͤr meine beſten „Freunde aufopfern kan! Wie ſehnlich habe ich mir jederzeit „dieſes gluͤckliche Loos gewuͤnſcht! Naͤchſt dem Tode fuͤrs Va- „terland iſt nichts ſanfter als fuͤr ſeine Freunde zu ſterben! .. „Aber meine theureſten Freunde! Eins .. Eins .. muß „ich euch ſagen; ich muß es ſagen, damit es meine Ruhe jen- „ſeit des Grabes nicht ſtoͤre: damit ich nicht noch nach mei- „nem

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/386>, abgerufen am 24.11.2024.