er habe eine Frau und sechs Kinder; wenn er auf jede Person auch nur jährlich zwanzig Thaler rechne, und so viel bewilligte man doch wohl zum Unterhalte eines Fündlings; so wäre es offenbar, daß er damit nicht auslangen könnte; er müsse also nothwendig ein Betrie- ger werden, oder als ein ehrlicher Mann verhungern ...
Der Fürst lies sich endlich bewegen, demselben jährlich dreyhundert Thaler zu geben, ohnerachtet die Accise an dem Thore, wo der Thorschreiber stand, nicht völlig tausend Tha- ler des Jahrs einbrachte, und der Schreiber solchergestalt über dreyßig Procent von der Einnahme erhielt. Wer war froher als der Thorschreiber? Seine Frau, welche bisher nur Kon- tuschen getragen, legte sich eine Andrienne zu, die Töchter wurden Mademoiselles geheissen, und die Söhne musten als Kinder eines grossen fürstlichen Bedienten zum studiren ange- halten werden. Kaum aber hatte diese Veränderung einige Jahre bestanden: so war der Thorschreiber in Schulden, und stellete abermals vor:
Es sey schlechterdings unmöglich, daß er mit dem ihm gnädigst bewilligten Gehalt auskommen könnte. Höchst- dieselben würden gnädigst erwegen, daß wenn er nur einiger maßen Standesmäßig leben sollte, auch der spar- samste Bediente von seinem Stande damit nicht aus- reichen könnte. Der Unterricht seiner Kinder, welche doch nach ihrem Stande studiren müsten, nehme wenig- stens das dritte Theil seines Gehalts weg, und da der älteste bald auf die Universität müste: so würde dieser allein den Ueberrest seines Gehalts verzehren ......
Der Fürst legte hierauf seinen Ministern die Frage vor, ob er keinem seiner Bedienten eine Zulage geben könnte, ohne zugleich eine Standeserhöhung zu veranlassen? Die Mini- ster antworteten:
Es
Wie viel braucht man um zu leben?
er habe eine Frau und ſechs Kinder; wenn er auf jede Perſon auch nur jaͤhrlich zwanzig Thaler rechne, und ſo viel bewilligte man doch wohl zum Unterhalte eines Fuͤndlings; ſo waͤre es offenbar, daß er damit nicht auslangen koͤnnte; er muͤſſe alſo nothwendig ein Betrie- ger werden, oder als ein ehrlicher Mann verhungern …
Der Fuͤrſt lies ſich endlich bewegen, demſelben jaͤhrlich dreyhundert Thaler zu geben, ohnerachtet die Acciſe an dem Thore, wo der Thorſchreiber ſtand, nicht voͤllig tauſend Tha- ler des Jahrs einbrachte, und der Schreiber ſolchergeſtalt uͤber dreyßig Procent von der Einnahme erhielt. Wer war froher als der Thorſchreiber? Seine Frau, welche bisher nur Kon- tuſchen getragen, legte ſich eine Andrienne zu, die Toͤchter wurden Mademoiſelles geheiſſen, und die Soͤhne muſten als Kinder eines groſſen fuͤrſtlichen Bedienten zum ſtudiren ange- halten werden. Kaum aber hatte dieſe Veraͤnderung einige Jahre beſtanden: ſo war der Thorſchreiber in Schulden, und ſtellete abermals vor:
Es ſey ſchlechterdings unmoͤglich, daß er mit dem ihm gnaͤdigſt bewilligten Gehalt auskommen koͤnnte. Hoͤchſt- dieſelben wuͤrden gnaͤdigſt erwegen, daß wenn er nur einiger maßen Standesmäßig leben ſollte, auch der ſpar- ſamſte Bediente von ſeinem Stande damit nicht aus- reichen koͤnnte. Der Unterricht ſeiner Kinder, welche doch nach ihrem Stande ſtudiren muͤſten, nehme wenig- ſtens das dritte Theil ſeines Gehalts weg, und da der aͤlteſte bald auf die Univerſitaͤt muͤſte: ſo wuͤrde dieſer allein den Ueberreſt ſeines Gehalts verzehren ......
Der Fuͤrſt legte hierauf ſeinen Miniſtern die Frage vor, ob er keinem ſeiner Bedienten eine Zulage geben koͤnnte, ohne zugleich eine Standeserhoͤhung zu veranlaſſen? Die Mini- ſter antworteten:
Es
<TEI><text><body><divn="1"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0450"n="432"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Wie viel braucht man um zu leben?</hi></fw><lb/>
er habe eine Frau und ſechs Kinder; wenn er auf jede<lb/>
Perſon auch nur jaͤhrlich zwanzig Thaler rechne, und ſo<lb/>
viel bewilligte man doch wohl zum Unterhalte eines<lb/>
Fuͤndlings; ſo waͤre es offenbar, daß er damit nicht<lb/>
auslangen koͤnnte; er muͤſſe alſo nothwendig ein Betrie-<lb/>
ger werden, oder als ein ehrlicher Mann verhungern …</hi></p><lb/><p>Der Fuͤrſt lies ſich endlich bewegen, demſelben jaͤhrlich<lb/>
dreyhundert Thaler zu geben, ohnerachtet die Acciſe an dem<lb/>
Thore, wo der Thorſchreiber ſtand, nicht voͤllig tauſend Tha-<lb/>
ler des Jahrs einbrachte, und der Schreiber ſolchergeſtalt uͤber<lb/>
dreyßig Procent von der Einnahme erhielt. Wer war froher<lb/>
als der Thorſchreiber? Seine Frau, welche bisher nur Kon-<lb/>
tuſchen getragen, legte ſich eine Andrienne zu, die Toͤchter<lb/>
wurden <hirendition="#aq">Mademoiſelles</hi> geheiſſen, und die Soͤhne muſten als<lb/>
Kinder eines groſſen fuͤrſtlichen Bedienten zum ſtudiren ange-<lb/>
halten werden. Kaum aber hatte dieſe Veraͤnderung einige<lb/>
Jahre beſtanden: ſo war der Thorſchreiber in Schulden, und<lb/>ſtellete abermals vor:</p><lb/><p><hirendition="#et">Es ſey ſchlechterdings unmoͤglich, daß er mit dem ihm<lb/>
gnaͤdigſt bewilligten Gehalt auskommen koͤnnte. Hoͤchſt-<lb/>
dieſelben wuͤrden gnaͤdigſt erwegen, daß wenn er nur<lb/>
einiger maßen <hirendition="#fr">Standesmäßig</hi> leben ſollte, auch der ſpar-<lb/>ſamſte Bediente <hirendition="#fr">von ſeinem Stande</hi> damit nicht aus-<lb/>
reichen koͤnnte. Der Unterricht ſeiner Kinder, welche<lb/>
doch <hirendition="#fr">nach ihrem Stande</hi>ſtudiren muͤſten, nehme wenig-<lb/>ſtens das dritte Theil ſeines Gehalts weg, und da der<lb/>
aͤlteſte bald auf die Univerſitaͤt muͤſte: ſo wuͤrde dieſer<lb/>
allein den Ueberreſt ſeines Gehalts verzehren ......</hi></p><lb/><p>Der Fuͤrſt legte hierauf ſeinen Miniſtern die Frage vor,<lb/>
ob er keinem ſeiner Bedienten eine Zulage geben koͤnnte, ohne<lb/>
zugleich eine Standeserhoͤhung zu veranlaſſen? Die Mini-<lb/>ſter antworteten:<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Es</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[432/0450]
Wie viel braucht man um zu leben?
er habe eine Frau und ſechs Kinder; wenn er auf jede
Perſon auch nur jaͤhrlich zwanzig Thaler rechne, und ſo
viel bewilligte man doch wohl zum Unterhalte eines
Fuͤndlings; ſo waͤre es offenbar, daß er damit nicht
auslangen koͤnnte; er muͤſſe alſo nothwendig ein Betrie-
ger werden, oder als ein ehrlicher Mann verhungern …
Der Fuͤrſt lies ſich endlich bewegen, demſelben jaͤhrlich
dreyhundert Thaler zu geben, ohnerachtet die Acciſe an dem
Thore, wo der Thorſchreiber ſtand, nicht voͤllig tauſend Tha-
ler des Jahrs einbrachte, und der Schreiber ſolchergeſtalt uͤber
dreyßig Procent von der Einnahme erhielt. Wer war froher
als der Thorſchreiber? Seine Frau, welche bisher nur Kon-
tuſchen getragen, legte ſich eine Andrienne zu, die Toͤchter
wurden Mademoiſelles geheiſſen, und die Soͤhne muſten als
Kinder eines groſſen fuͤrſtlichen Bedienten zum ſtudiren ange-
halten werden. Kaum aber hatte dieſe Veraͤnderung einige
Jahre beſtanden: ſo war der Thorſchreiber in Schulden, und
ſtellete abermals vor:
Es ſey ſchlechterdings unmoͤglich, daß er mit dem ihm
gnaͤdigſt bewilligten Gehalt auskommen koͤnnte. Hoͤchſt-
dieſelben wuͤrden gnaͤdigſt erwegen, daß wenn er nur
einiger maßen Standesmäßig leben ſollte, auch der ſpar-
ſamſte Bediente von ſeinem Stande damit nicht aus-
reichen koͤnnte. Der Unterricht ſeiner Kinder, welche
doch nach ihrem Stande ſtudiren muͤſten, nehme wenig-
ſtens das dritte Theil ſeines Gehalts weg, und da der
aͤlteſte bald auf die Univerſitaͤt muͤſte: ſo wuͤrde dieſer
allein den Ueberreſt ſeines Gehalts verzehren ......
Der Fuͤrſt legte hierauf ſeinen Miniſtern die Frage vor,
ob er keinem ſeiner Bedienten eine Zulage geben koͤnnte, ohne
zugleich eine Standeserhoͤhung zu veranlaſſen? Die Mini-
ſter antworteten:
Es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/450>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.