Noch mehr aber nutzt der Diensteyd. Oft genug ist es ge- sagt, ein redlicher Mann würde allezeit seine Pflicht thun, er möge beeydiget seyn oder nicht; und ich bin überzeugt, daß dieser Schluß seine Richtigkeit habe. Allein der Diensteyd hat noch einen weit erhabnern Nutzen. Nicht selten kommt ein Freund zum Richter, und stellt ihm seine Sache so mitlei- dig, so angelegen und so dringend vor, daß er alle Mühe hat auf seinem Satze zu bleiben. Raisonnirt er mit seiner Freund- schaft: so ist er so gewiß verlohren wie ein Mädgen das mit der Liebe raisonnirt; und wenn der Freund von ihm für das- mal die Aufopferung seiner eignen Einsichten fordert, ihm die Möglichkeit, daß er irren könne, vorhält, ihm Gründe vorbringt die allen Schein haben, andre Freunde zu Hülfe nimmt, und alles aufbietet was Menschen Witz aufbringen kan: so wird er unvermerkt erschüttert werden, wenigstens mit Gründen gegen Freundschaft vergeblich kämpfen. So bald er aber dem Freunde nur dieses sagen kan: ich sehe die Sache in meinem Gewissen so und so ein, und ich bin kraft mei- nes Eydes verbunden mein Gewissen zu befolgen: so wird die Unterredung ernsthaft, der Freund darf keine Aufopferungen fordern ohne sich selbst für einen unehrlichen Mann zu erklä- ren, und der Richter hat den Vortheil einer Nonne, die mit dem Gelübde der Keuschheit alle Betheurungen und Bemü- hung ihres Liebhabers vereitelt.
In einem gleichen Vortheil befindet sich der Staatsmann, von dem ein Freund Entdeckungen verlangt; oder dem ein Freund Vorwürfe macht, daß er ihm nicht einen Wink von dem üblen Ausgange seiner Sache gegeben habe. Der Eyd dient ihm zur anständigen Entschuldigung, und der Freund kan sich beklagen ohne mit Grunde empfindlich zu werden. Mit dem Gewissen hat es ausserdem seine besondre Eigenschaft. Es ist eine dunkle Kammer wohin man sich zurück ziehen kan,
ohne
Alſo iſt der Dienſteyd nicht abzuſchaffen.
Noch mehr aber nutzt der Dienſteyd. Oft genug iſt es ge- ſagt, ein redlicher Mann wuͤrde allezeit ſeine Pflicht thun, er moͤge beeydiget ſeyn oder nicht; und ich bin uͤberzeugt, daß dieſer Schluß ſeine Richtigkeit habe. Allein der Dienſteyd hat noch einen weit erhabnern Nutzen. Nicht ſelten kommt ein Freund zum Richter, und ſtellt ihm ſeine Sache ſo mitlei- dig, ſo angelegen und ſo dringend vor, daß er alle Muͤhe hat auf ſeinem Satze zu bleiben. Raiſonnirt er mit ſeiner Freund- ſchaft: ſo iſt er ſo gewiß verlohren wie ein Maͤdgen das mit der Liebe raiſonnirt; und wenn der Freund von ihm fuͤr das- mal die Aufopferung ſeiner eignen Einſichten fordert, ihm die Moͤglichkeit, daß er irren koͤnne, vorhaͤlt, ihm Gruͤnde vorbringt die allen Schein haben, andre Freunde zu Huͤlfe nimmt, und alles aufbietet was Menſchen Witz aufbringen kan: ſo wird er unvermerkt erſchuͤttert werden, wenigſtens mit Gruͤnden gegen Freundſchaft vergeblich kaͤmpfen. So bald er aber dem Freunde nur dieſes ſagen kan: ich ſehe die Sache in meinem Gewiſſen ſo und ſo ein, und ich bin kraft mei- nes Eydes verbunden mein Gewiſſen zu befolgen: ſo wird die Unterredung ernſthaft, der Freund darf keine Aufopferungen fordern ohne ſich ſelbſt fuͤr einen unehrlichen Mann zu erklaͤ- ren, und der Richter hat den Vortheil einer Nonne, die mit dem Geluͤbde der Keuſchheit alle Betheurungen und Bemuͤ- hung ihres Liebhabers vereitelt.
In einem gleichen Vortheil befindet ſich der Staatsmann, von dem ein Freund Entdeckungen verlangt; oder dem ein Freund Vorwuͤrfe macht, daß er ihm nicht einen Wink von dem uͤblen Ausgange ſeiner Sache gegeben habe. Der Eyd dient ihm zur anſtaͤndigen Entſchuldigung, und der Freund kan ſich beklagen ohne mit Grunde empfindlich zu werden. Mit dem Gewiſſen hat es auſſerdem ſeine beſondre Eigenſchaft. Es iſt eine dunkle Kammer wohin man ſich zuruͤck ziehen kan,
ohne
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Alſo iſt der Dienſteyd nicht abzuſchaffen.
Noch mehr aber nutzt der Dienſteyd. Oft genug iſt es ge-
ſagt, ein redlicher Mann wuͤrde allezeit ſeine Pflicht thun, er
moͤge beeydiget ſeyn oder nicht; und ich bin uͤberzeugt, daß
dieſer Schluß ſeine Richtigkeit habe. Allein der Dienſteyd
hat noch einen weit erhabnern Nutzen. Nicht ſelten kommt
ein Freund zum Richter, und ſtellt ihm ſeine Sache ſo mitlei-
dig, ſo angelegen und ſo dringend vor, daß er alle Muͤhe hat
auf ſeinem Satze zu bleiben. Raiſonnirt er mit ſeiner Freund-
ſchaft: ſo iſt er ſo gewiß verlohren wie ein Maͤdgen das mit
der Liebe raiſonnirt; und wenn der Freund von ihm fuͤr das-
mal die Aufopferung ſeiner eignen Einſichten fordert, ihm
die Moͤglichkeit, daß er irren koͤnne, vorhaͤlt, ihm Gruͤnde
vorbringt die allen Schein haben, andre Freunde zu Huͤlfe
nimmt, und alles aufbietet was Menſchen Witz aufbringen
kan: ſo wird er unvermerkt erſchuͤttert werden, wenigſtens
mit Gruͤnden gegen Freundſchaft vergeblich kaͤmpfen. So
bald er aber dem Freunde nur dieſes ſagen kan: ich ſehe die
Sache in meinem Gewiſſen ſo und ſo ein, und ich bin kraft mei-
nes Eydes verbunden mein Gewiſſen zu befolgen: ſo wird die
Unterredung ernſthaft, der Freund darf keine Aufopferungen
fordern ohne ſich ſelbſt fuͤr einen unehrlichen Mann zu erklaͤ-
ren, und der Richter hat den Vortheil einer Nonne, die mit
dem Geluͤbde der Keuſchheit alle Betheurungen und Bemuͤ-
hung ihres Liebhabers vereitelt.
In einem gleichen Vortheil befindet ſich der Staatsmann,
von dem ein Freund Entdeckungen verlangt; oder dem ein
Freund Vorwuͤrfe macht, daß er ihm nicht einen Wink von
dem uͤblen Ausgange ſeiner Sache gegeben habe. Der Eyd
dient ihm zur anſtaͤndigen Entſchuldigung, und der Freund
kan ſich beklagen ohne mit Grunde empfindlich zu werden.
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Es iſt eine dunkle Kammer wohin man ſich zuruͤck ziehen kan,
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/486>, abgerufen am 22.11.2024.
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