Die letzte Anmerkung des guten Mannes gefiel mir; was wollt ihr aber nun anfangen? fuhr ich fort.
Ich muß jetzt nach Holland, sagte er, um so viel zu verdie- nen, daß ich meine Schuld bezahle. Aber ich habe kein Rei- segeld, und da ich von allen die ich kenne, schon so viel Gutes empfangen: so mag ich keinen darum ansprechen; ich muß also doch meine Kuh ... Hier konnte er für Schluchzen nicht weiter reden, und manche Thräne rollte von dem abgeherm- ten Gesichte. -- Und wer weis, ob ich aus Holland wieder komme, da ich mich nach einem so traurigen Winter schwäch- lich finde, und mich sehr werde anstrengen müssen, um nur erst so viel zu gewinnen, als ich für Korn und Heuer schuldig bin?
Ich gab ihm zu seiner Reise, zu seiner Erhaltung für seine Kinder -- und nun eilte ich der heimlichen Tugend nachzu- denken, welche die Noth in manchen Herzen aufschließt. Wie groß, wie edel, dachte ich, hat sich bey der gegenwärtigen Theurung nicht manches Herz zeigen können? Was für ver- borgne Quellen der Tugend hat die Noth nicht eröfnet! und wie vielen Dank sind wir der Vorsehung nicht für diese Prü- fung schuldig?
Lange glückliche und wohlfeile Zeiten schläfern den Men- schen endlich ein; der Arme wird unerkenntlich, weil ihm leicht geholfen wird, und die leichte Hülfe macht ihn nachläs- sig in seiner Arbeit. Der Philosoph spielt mit der besten Welt, und der Staatsmann mit eitlen Entwürfen. Blos wollüsti- ge Leidenschaften erheben sich aus der Ruhe, und sinken nach einer leichten Befriedigung wieder dahin. Die Tugenden gehn mit den Complimenten ihren ebnen Weg; nichts zwinget zu Erfindungen und großen Entschlüssen; die öffentliche Vor-
sorge
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der Landplagen.
Die letzte Anmerkung des guten Mannes gefiel mir; was wollt ihr aber nun anfangen? fuhr ich fort.
Ich muß jetzt nach Holland, ſagte er, um ſo viel zu verdie- nen, daß ich meine Schuld bezahle. Aber ich habe kein Rei- ſegeld, und da ich von allen die ich kenne, ſchon ſo viel Gutes empfangen: ſo mag ich keinen darum anſprechen; ich muß alſo doch meine Kuh … Hier konnte er fuͤr Schluchzen nicht weiter reden, und manche Thraͤne rollte von dem abgeherm- ten Geſichte. — Und wer weis, ob ich aus Holland wieder komme, da ich mich nach einem ſo traurigen Winter ſchwaͤch- lich finde, und mich ſehr werde anſtrengen muͤſſen, um nur erſt ſo viel zu gewinnen, als ich fuͤr Korn und Heuer ſchuldig bin?
Ich gab ihm zu ſeiner Reiſe, zu ſeiner Erhaltung fuͤr ſeine Kinder — und nun eilte ich der heimlichen Tugend nachzu- denken, welche die Noth in manchen Herzen aufſchließt. Wie groß, wie edel, dachte ich, hat ſich bey der gegenwaͤrtigen Theurung nicht manches Herz zeigen koͤnnen? Was fuͤr ver- borgne Quellen der Tugend hat die Noth nicht eroͤfnet! und wie vielen Dank ſind wir der Vorſehung nicht fuͤr dieſe Pruͤ- fung ſchuldig?
Lange gluͤckliche und wohlfeile Zeiten ſchlaͤfern den Men- ſchen endlich ein; der Arme wird unerkenntlich, weil ihm leicht geholfen wird, und die leichte Huͤlfe macht ihn nachlaͤſ- ſig in ſeiner Arbeit. Der Philoſoph ſpielt mit der beſten Welt, und der Staatsmann mit eitlen Entwuͤrfen. Blos wolluͤſti- ge Leidenſchaften erheben ſich aus der Ruhe, und ſinken nach einer leichten Befriedigung wieder dahin. Die Tugenden gehn mit den Complimenten ihren ebnen Weg; nichts zwinget zu Erfindungen und großen Entſchluͤſſen; die oͤffentliche Vor-
ſorge
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der Landplagen.
Die letzte Anmerkung des guten Mannes gefiel mir; was
wollt ihr aber nun anfangen? fuhr ich fort.
Ich muß jetzt nach Holland, ſagte er, um ſo viel zu verdie-
nen, daß ich meine Schuld bezahle. Aber ich habe kein Rei-
ſegeld, und da ich von allen die ich kenne, ſchon ſo viel Gutes
empfangen: ſo mag ich keinen darum anſprechen; ich muß alſo
doch meine Kuh … Hier konnte er fuͤr Schluchzen nicht
weiter reden, und manche Thraͤne rollte von dem abgeherm-
ten Geſichte. — Und wer weis, ob ich aus Holland wieder
komme, da ich mich nach einem ſo traurigen Winter ſchwaͤch-
lich finde, und mich ſehr werde anſtrengen muͤſſen, um nur
erſt ſo viel zu gewinnen, als ich fuͤr Korn und Heuer ſchuldig
bin?
Ich gab ihm zu ſeiner Reiſe, zu ſeiner Erhaltung fuͤr ſeine
Kinder — und nun eilte ich der heimlichen Tugend nachzu-
denken, welche die Noth in manchen Herzen aufſchließt. Wie
groß, wie edel, dachte ich, hat ſich bey der gegenwaͤrtigen
Theurung nicht manches Herz zeigen koͤnnen? Was fuͤr ver-
borgne Quellen der Tugend hat die Noth nicht eroͤfnet! und
wie vielen Dank ſind wir der Vorſehung nicht fuͤr dieſe Pruͤ-
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Lange gluͤckliche und wohlfeile Zeiten ſchlaͤfern den Men-
ſchen endlich ein; der Arme wird unerkenntlich, weil ihm
leicht geholfen wird, und die leichte Huͤlfe macht ihn nachlaͤſ-
ſig in ſeiner Arbeit. Der Philoſoph ſpielt mit der beſten Welt,
und der Staatsmann mit eitlen Entwuͤrfen. Blos wolluͤſti-
ge Leidenſchaften erheben ſich aus der Ruhe, und ſinken nach
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/53>, abgerufen am 21.11.2024.
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