Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite
Gedank. über die Getraidesp. an den Deutschen.
fuhr; gleichwie diese ohne Rücksicht auf die fraternite
des nations
veranstaltet wird, um den Einwohnern
das Leben zu erhalten, also kan auch jene bestehen, weil
sie dieselbe Absicht hat, und die obrigkeitliche Pflichten
immer dieselben sind, zu verhindern, daß der Tod nicht
über die Gränzen herein, oder das Leben nicht über die
Gränzen hinaus gelassen werde, ohne auf die Hülfe frem-
der Aerzte zu rechnen.
2) Sie ist aber auch verbunden, nicht ohne Noth
Sturm zuschlagen, sondern diesem allem vorgängig
mit Weisheit den wahren Fall der Noth zu un-
tersuchen.
3) Dieses sind keine Operationen, die von sich selbst er-
folgen, sie müssen schlechterdings von der Regierung ge-
leitet werden, indem der Patriotismus in Deutschland
zumal bey den Kornwucheren immer nur ein Modestu-
dium ist, auf welches man sich nicht verlassen kan, so,
daß, wenn auch der reiche Mann bey den vollen Spei-
chern zuverläßig wüßte, daß er in seinem Distrikte der
einzige Mann wäre, der dem Mang el steuren könnte,
es doch allemal sehr gewagt seyn würde, dieses blos seinen
guten Willen oder seiner Ehrbegierde zu überlassen, die
beyde immer, durch die Theuren Preise der Nachbar-
schaft gereizt, mit einer schweren Versuchung zu käm-
pfen haben würden, so lange die Nachbarschaft nicht
vor ihm versperret, und damit die Versuchung zur Aus-
fuhr durch höhere Gewalt abgeschnitten wäre.

Ich will Ihnen auch zugeben, daß der Erzvater Noah
sehr unvorsichtig gehandelt haben würde, wenn er mehr

Men-
Gedank. uͤber die Getraideſp. an den Deutſchen.
fuhr; gleichwie dieſe ohne Ruͤckſicht auf die fraternité
des nations
veranſtaltet wird, um den Einwohnern
das Leben zu erhalten, alſo kan auch jene beſtehen, weil
ſie dieſelbe Abſicht hat, und die obrigkeitliche Pflichten
immer dieſelben ſind, zu verhindern, daß der Tod nicht
uͤber die Graͤnzen herein, oder das Leben nicht uͤber die
Graͤnzen hinaus gelaſſen werde, ohne auf die Huͤlfe frem-
der Aerzte zu rechnen.
2) Sie iſt aber auch verbunden, nicht ohne Noth
Sturm zuſchlagen, ſondern dieſem allem vorgaͤngig
mit Weisheit den wahren Fall der Noth zu un-
terſuchen.
3) Dieſes ſind keine Operationen, die von ſich ſelbſt er-
folgen, ſie muͤſſen ſchlechterdings von der Regierung ge-
leitet werden, indem der Patriotiſmus in Deutſchland
zumal bey den Kornwucheren immer nur ein Modeſtu-
dium iſt, auf welches man ſich nicht verlaſſen kan, ſo,
daß, wenn auch der reiche Mann bey den vollen Spei-
chern zuverlaͤßig wuͤßte, daß er in ſeinem Diſtrikte der
einzige Mann waͤre, der dem Mang el ſteuren koͤnnte,
es doch allemal ſehr gewagt ſeyn wuͤrde, dieſes blos ſeinen
guten Willen oder ſeiner Ehrbegierde zu uͤberlaſſen, die
beyde immer, durch die Theuren Preiſe der Nachbar-
ſchaft gereizt, mit einer ſchweren Verſuchung zu kaͤm-
pfen haben wuͤrden, ſo lange die Nachbarſchaft nicht
vor ihm verſperret, und damit die Verſuchung zur Aus-
fuhr durch hoͤhere Gewalt abgeſchnitten waͤre.

Ich will Ihnen auch zugeben, daß der Erzvater Noah
ſehr unvorſichtig gehandelt haben wuͤrde, wenn er mehr

Men-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <list>
          <item><pb facs="#f0061" n="43"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Gedank. u&#x0364;ber die Getraide&#x017F;p. an den Deut&#x017F;chen.</hi></fw><lb/>
fuhr; gleichwie die&#x017F;e ohne Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf die <hi rendition="#aq">fraternité<lb/>
des nations</hi> veran&#x017F;taltet wird, um den Einwohnern<lb/>
das Leben zu erhalten, al&#x017F;o kan auch jene be&#x017F;tehen, weil<lb/>
&#x017F;ie die&#x017F;elbe Ab&#x017F;icht hat, und die obrigkeitliche Pflichten<lb/>
immer die&#x017F;elben &#x017F;ind, zu verhindern, daß der Tod nicht<lb/>
u&#x0364;ber die Gra&#x0364;nzen herein, oder das Leben nicht u&#x0364;ber die<lb/>
Gra&#x0364;nzen hinaus gela&#x017F;&#x017F;en werde, ohne auf die Hu&#x0364;lfe frem-<lb/>
der Aerzte zu rechnen.</item><lb/>
          <item>2) Sie i&#x017F;t aber auch verbunden, nicht ohne Noth<lb/>
Sturm zu&#x017F;chlagen, &#x017F;ondern die&#x017F;em allem vorga&#x0364;ngig<lb/>
mit Weisheit den wahren Fall der Noth zu un-<lb/>
ter&#x017F;uchen.</item><lb/>
          <item>3) Die&#x017F;es &#x017F;ind keine Operationen, die von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t er-<lb/>
folgen, &#x017F;ie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chlechterdings von der Regierung ge-<lb/>
leitet werden, indem der Patrioti&#x017F;mus in Deut&#x017F;chland<lb/>
zumal bey den Kornwucheren immer nur ein Mode&#x017F;tu-<lb/>
dium i&#x017F;t, auf welches man &#x017F;ich nicht verla&#x017F;&#x017F;en kan, &#x017F;o,<lb/>
daß, wenn auch der reiche Mann bey den vollen Spei-<lb/>
chern zuverla&#x0364;ßig wu&#x0364;ßte, daß er in &#x017F;einem Di&#x017F;trikte der<lb/>
einzige Mann wa&#x0364;re, der dem Mang el &#x017F;teuren ko&#x0364;nnte,<lb/>
es doch allemal &#x017F;ehr gewagt &#x017F;eyn wu&#x0364;rde, die&#x017F;es blos &#x017F;einen<lb/>
guten Willen oder &#x017F;einer Ehrbegierde zu u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en, die<lb/>
beyde immer, durch die Theuren Prei&#x017F;e der Nachbar-<lb/>
&#x017F;chaft gereizt, mit einer &#x017F;chweren Ver&#x017F;uchung zu ka&#x0364;m-<lb/>
pfen haben wu&#x0364;rden, &#x017F;o lange die Nachbar&#x017F;chaft nicht<lb/>
vor ihm ver&#x017F;perret, und damit die Ver&#x017F;uchung zur Aus-<lb/>
fuhr durch ho&#x0364;here Gewalt abge&#x017F;chnitten wa&#x0364;re.</item>
        </list><lb/>
        <p>Ich will Ihnen auch zugeben, daß der Erzvater Noah<lb/>
&#x017F;ehr unvor&#x017F;ichtig gehandelt haben wu&#x0364;rde, wenn er mehr<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Men-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0061] Gedank. uͤber die Getraideſp. an den Deutſchen. fuhr; gleichwie dieſe ohne Ruͤckſicht auf die fraternité des nations veranſtaltet wird, um den Einwohnern das Leben zu erhalten, alſo kan auch jene beſtehen, weil ſie dieſelbe Abſicht hat, und die obrigkeitliche Pflichten immer dieſelben ſind, zu verhindern, daß der Tod nicht uͤber die Graͤnzen herein, oder das Leben nicht uͤber die Graͤnzen hinaus gelaſſen werde, ohne auf die Huͤlfe frem- der Aerzte zu rechnen. 2) Sie iſt aber auch verbunden, nicht ohne Noth Sturm zuſchlagen, ſondern dieſem allem vorgaͤngig mit Weisheit den wahren Fall der Noth zu un- terſuchen. 3) Dieſes ſind keine Operationen, die von ſich ſelbſt er- folgen, ſie muͤſſen ſchlechterdings von der Regierung ge- leitet werden, indem der Patriotiſmus in Deutſchland zumal bey den Kornwucheren immer nur ein Modeſtu- dium iſt, auf welches man ſich nicht verlaſſen kan, ſo, daß, wenn auch der reiche Mann bey den vollen Spei- chern zuverlaͤßig wuͤßte, daß er in ſeinem Diſtrikte der einzige Mann waͤre, der dem Mang el ſteuren koͤnnte, es doch allemal ſehr gewagt ſeyn wuͤrde, dieſes blos ſeinen guten Willen oder ſeiner Ehrbegierde zu uͤberlaſſen, die beyde immer, durch die Theuren Preiſe der Nachbar- ſchaft gereizt, mit einer ſchweren Verſuchung zu kaͤm- pfen haben wuͤrden, ſo lange die Nachbarſchaft nicht vor ihm verſperret, und damit die Verſuchung zur Aus- fuhr durch hoͤhere Gewalt abgeſchnitten waͤre. Ich will Ihnen auch zugeben, daß der Erzvater Noah ſehr unvorſichtig gehandelt haben wuͤrde, wenn er mehr Men-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/61
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/61>, abgerufen am 21.11.2024.