Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

Gedanken über die Getraidesperre,
Theil geworden, und der Schleichhandel, der seiner Natur
nach, ein grausamer Verächter aller göttlichen und mensch-
lichen Gesetze, und verwüstender als alle freye Ausfuhr ist,
würde ihre zugesperreten Unterthanen auf das äußerste ge-
bracht haben, wenn uns die Noth dazu gezwungen und das
Geld dahin gereichet hätte.

Gesetzt aber auch, ein Land von hundert Meilen im Um-
kreise ließe sich glucklicher sperren, als der enge Schoos der
Danae, welcher sich aller Riegel und Wachen ungeachtet,
für Jupiters güldnen Regen öfnete: so würde ich dennoch in
jenem Falle nicht zur Sperrung rathen.

Schwerlich würd es Länder geben, dessen Einwohner alle
dem Ackerbau obliegen; und wenn es dergleichen giebt: so
wird die Sperrung daselbst am wenigsten nöthig seyn, weil
vorausgesetzt wird, daß nothdürftiger Vorrgth in demselben
vorhanden sey, und man weiter voraussetzen kan, daß ein
Ackerbauer allemal seine eigne Nothdurft selbst zurückhalten
werde.

Der gewöhnlichste Fall ist, daß man in einem Lande einen
Ackerbauer gegen zehn andre, die sich auf andre Art ernäh-
ren, antreffe. Hier frägt man nun billig: soll der eine
Ackerbauer die Macht haben, jenen neun Familien, die ihm
bisher sein Korn abgekauft, die ihm neunzehn Jahr mit ih-
rem Fleiße und mit ihrem Gelde gedient, ohne die er zur
andern Zeit gar nicht fertig werden kan, soll er, sage ich,
im zwanzigsten Jahre (den alle zwanzig Jahr kommt doch
wol nur eine Theurung) die Macht haben, diese nun auf
einmal im Kornpreise zu übersetzen, und sie um deswillen
wohl gar darben zu lassen, weil er außerhalb Landes einen
übermäßigen Preis erhalten kan? Sollte nicht der neun-

zehn-

Gedanken uͤber die Getraideſperre,
Theil geworden, und der Schleichhandel, der ſeiner Natur
nach, ein grauſamer Veraͤchter aller goͤttlichen und menſch-
lichen Geſetze, und verwuͤſtender als alle freye Ausfuhr iſt,
wuͤrde ihre zugeſperreten Unterthanen auf das aͤußerſte ge-
bracht haben, wenn uns die Noth dazu gezwungen und das
Geld dahin gereichet haͤtte.

Geſetzt aber auch, ein Land von hundert Meilen im Um-
kreiſe ließe ſich glucklicher ſperren, als der enge Schoos der
Danae, welcher ſich aller Riegel und Wachen ungeachtet,
fuͤr Jupiters guͤldnen Regen oͤfnete: ſo wuͤrde ich dennoch in
jenem Falle nicht zur Sperrung rathen.

Schwerlich wuͤrd es Laͤnder geben, deſſen Einwohner alle
dem Ackerbau obliegen; und wenn es dergleichen giebt: ſo
wird die Sperrung daſelbſt am wenigſten noͤthig ſeyn, weil
vorausgeſetzt wird, daß nothduͤrftiger Vorrgth in demſelben
vorhanden ſey, und man weiter vorausſetzen kan, daß ein
Ackerbauer allemal ſeine eigne Nothdurft ſelbſt zuruͤckhalten
werde.

Der gewoͤhnlichſte Fall iſt, daß man in einem Lande einen
Ackerbauer gegen zehn andre, die ſich auf andre Art ernaͤh-
ren, antreffe. Hier fraͤgt man nun billig: ſoll der eine
Ackerbauer die Macht haben, jenen neun Familien, die ihm
bisher ſein Korn abgekauft, die ihm neunzehn Jahr mit ih-
rem Fleiße und mit ihrem Gelde gedient, ohne die er zur
andern Zeit gar nicht fertig werden kan, ſoll er, ſage ich,
im zwanzigſten Jahre (den alle zwanzig Jahr kommt doch
wol nur eine Theurung) die Macht haben, dieſe nun auf
einmal im Kornpreiſe zu uͤberſetzen, und ſie um deswillen
wohl gar darben zu laſſen, weil er außerhalb Landes einen
uͤbermaͤßigen Preis erhalten kan? Sollte nicht der neun-

zehn-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0064" n="46"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Gedanken u&#x0364;ber die Getraide&#x017F;perre,</hi></fw><lb/>
Theil geworden, und der Schleichhandel, der &#x017F;einer Natur<lb/>
nach, ein grau&#x017F;amer Vera&#x0364;chter aller go&#x0364;ttlichen und men&#x017F;ch-<lb/>
lichen Ge&#x017F;etze, und verwu&#x0364;&#x017F;tender als alle freye Ausfuhr i&#x017F;t,<lb/>
wu&#x0364;rde ihre zuge&#x017F;perreten Unterthanen auf das a&#x0364;ußer&#x017F;te ge-<lb/>
bracht haben, wenn uns die Noth dazu gezwungen und das<lb/>
Geld dahin gereichet ha&#x0364;tte.</p><lb/>
        <p>Ge&#x017F;etzt aber auch, ein Land von hundert Meilen im Um-<lb/>
krei&#x017F;e ließe &#x017F;ich glucklicher &#x017F;perren, als der enge Schoos der<lb/>
Danae, welcher &#x017F;ich aller Riegel und Wachen ungeachtet,<lb/>
fu&#x0364;r Jupiters gu&#x0364;ldnen Regen o&#x0364;fnete: &#x017F;o wu&#x0364;rde ich dennoch in<lb/>
jenem Falle nicht zur Sperrung rathen.</p><lb/>
        <p>Schwerlich wu&#x0364;rd es La&#x0364;nder geben, de&#x017F;&#x017F;en Einwohner alle<lb/>
dem Ackerbau obliegen; und wenn es dergleichen giebt: &#x017F;o<lb/>
wird die Sperrung da&#x017F;elb&#x017F;t am wenig&#x017F;ten no&#x0364;thig &#x017F;eyn, weil<lb/>
vorausge&#x017F;etzt wird, daß nothdu&#x0364;rftiger Vorrgth in dem&#x017F;elben<lb/>
vorhanden &#x017F;ey, und man weiter voraus&#x017F;etzen kan, daß ein<lb/>
Ackerbauer allemal &#x017F;eine eigne Nothdurft &#x017F;elb&#x017F;t zuru&#x0364;ckhalten<lb/>
werde.</p><lb/>
        <p>Der gewo&#x0364;hnlich&#x017F;te Fall i&#x017F;t, daß man in einem Lande einen<lb/>
Ackerbauer gegen zehn andre, die &#x017F;ich auf andre Art erna&#x0364;h-<lb/>
ren, antreffe. Hier fra&#x0364;gt man nun billig: &#x017F;oll der eine<lb/>
Ackerbauer die Macht haben, jenen neun Familien, die ihm<lb/>
bisher &#x017F;ein Korn abgekauft, die ihm neunzehn Jahr mit ih-<lb/>
rem Fleiße und mit ihrem Gelde gedient, ohne die er zur<lb/>
andern Zeit gar nicht fertig werden kan, &#x017F;oll er, &#x017F;age ich,<lb/>
im zwanzig&#x017F;ten Jahre (den alle zwanzig Jahr kommt doch<lb/>
wol nur eine Theurung) die Macht haben, die&#x017F;e nun auf<lb/>
einmal im Kornprei&#x017F;e zu u&#x0364;ber&#x017F;etzen, und &#x017F;ie um deswillen<lb/>
wohl gar darben zu la&#x017F;&#x017F;en, weil er außerhalb Landes einen<lb/>
u&#x0364;berma&#x0364;ßigen Preis erhalten kan? Sollte nicht der neun-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zehn-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0064] Gedanken uͤber die Getraideſperre, Theil geworden, und der Schleichhandel, der ſeiner Natur nach, ein grauſamer Veraͤchter aller goͤttlichen und menſch- lichen Geſetze, und verwuͤſtender als alle freye Ausfuhr iſt, wuͤrde ihre zugeſperreten Unterthanen auf das aͤußerſte ge- bracht haben, wenn uns die Noth dazu gezwungen und das Geld dahin gereichet haͤtte. Geſetzt aber auch, ein Land von hundert Meilen im Um- kreiſe ließe ſich glucklicher ſperren, als der enge Schoos der Danae, welcher ſich aller Riegel und Wachen ungeachtet, fuͤr Jupiters guͤldnen Regen oͤfnete: ſo wuͤrde ich dennoch in jenem Falle nicht zur Sperrung rathen. Schwerlich wuͤrd es Laͤnder geben, deſſen Einwohner alle dem Ackerbau obliegen; und wenn es dergleichen giebt: ſo wird die Sperrung daſelbſt am wenigſten noͤthig ſeyn, weil vorausgeſetzt wird, daß nothduͤrftiger Vorrgth in demſelben vorhanden ſey, und man weiter vorausſetzen kan, daß ein Ackerbauer allemal ſeine eigne Nothdurft ſelbſt zuruͤckhalten werde. Der gewoͤhnlichſte Fall iſt, daß man in einem Lande einen Ackerbauer gegen zehn andre, die ſich auf andre Art ernaͤh- ren, antreffe. Hier fraͤgt man nun billig: ſoll der eine Ackerbauer die Macht haben, jenen neun Familien, die ihm bisher ſein Korn abgekauft, die ihm neunzehn Jahr mit ih- rem Fleiße und mit ihrem Gelde gedient, ohne die er zur andern Zeit gar nicht fertig werden kan, ſoll er, ſage ich, im zwanzigſten Jahre (den alle zwanzig Jahr kommt doch wol nur eine Theurung) die Macht haben, dieſe nun auf einmal im Kornpreiſe zu uͤberſetzen, und ſie um deswillen wohl gar darben zu laſſen, weil er außerhalb Landes einen uͤbermaͤßigen Preis erhalten kan? Sollte nicht der neun- zehn-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/64
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/64>, abgerufen am 21.11.2024.