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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Sie tanzte gut und kochte schlecht.
meinten Eyfer noch weiter fortgefahren seyn, wenn nicht der
Herr Rittmeister, der eben zu ihr trat, sie plötzlich unterbro-
chen hätte. Was für eine Grazie, rief er aus, indem er auf
ihre eigne Tochter wies; ich glaube, ihr ganzer Körper ist
nichts wie Harmonie, jede Bewegung zeigt neue Reize. Nie
habe ich ein feineres Contour gesehen; Sie scheinet nicht zu
gehn sondern zu schweben, sie muß alle ihre Nerven unter den
unmittelbaren Befehlen ihres Geistes haben, sonst wäre es
nicht möglich, so viele Entzückung zu verbreiten. Mich deucht,
ich sehe ihre Mutter, wie sie als Braut den Ball eröfnete,
und mit einem triumphirenden Schritte die bezauberten Zu-
schauer zu ihren Füßen riß. -- Stille! Stille! versetzte
die Frau Oberamtmännin, diese Zeiten sind vorbey, und wenn
mein Mädgen gut tanzt: so hat sie mir vielleicht etwas
zu danken, aber doch bin ich mit ihr noch nicht so recht zufrie-
den, ihr Auge ist noch etwas zu starr, und überhaupt zeigt
ihre unschuldige Mine, daß der Körper mehr als die Seele
tanze. -- Die Unterredungen auf den Bällen sind kurz,
der Rittmeister ward zum Tanz gefordert, und währender Zeit
die tanzende Gesellschaft das Auge durch ihre gleichförmigen
Schweiffungen ergötzte, wollte die Frau Oberamtmännin
durch das Urtheil des Herrn Rittmeisters bestärkt, ihre vorhin
abgebrochene Rede gegen ihre Nachbarin, die eine wohlha-
bende Pächterin war, fortsetzen. Allein diese, welche sich
immittelst etwes gefaßt hatte, lies ihr nicht die Zeit dazu.

Hören Sie, meine liebe Frau Oberamtmännin, war ihre
Rede; diese Person, deren Stellung ihnen so sehr mißfällt,
tanzt freylich nicht zum besten, ob es gleich gut genug vor-
kommt. Allein ich muß ihnen sagen, sie führet jetzt den gan-
zen Haushalt meines Oheims, der, nachdem er seine Frau
früh verlohren und seine Kinder verheyrathet hat, mit ihrer

Hülfe

Sie tanzte gut und kochte ſchlecht.
meinten Eyfer noch weiter fortgefahren ſeyn, wenn nicht der
Herr Rittmeiſter, der eben zu ihr trat, ſie ploͤtzlich unterbro-
chen haͤtte. Was fuͤr eine Grazie, rief er aus, indem er auf
ihre eigne Tochter wies; ich glaube, ihr ganzer Koͤrper iſt
nichts wie Harmonie, jede Bewegung zeigt neue Reize. Nie
habe ich ein feineres Contour geſehen; Sie ſcheinet nicht zu
gehn ſondern zu ſchweben, ſie muß alle ihre Nerven unter den
unmittelbaren Befehlen ihres Geiſtes haben, ſonſt waͤre es
nicht moͤglich, ſo viele Entzuͤckung zu verbreiten. Mich deucht,
ich ſehe ihre Mutter, wie ſie als Braut den Ball eroͤfnete,
und mit einem triumphirenden Schritte die bezauberten Zu-
ſchauer zu ihren Fuͤßen riß. — Stille! Stille! verſetzte
die Frau Oberamtmaͤnnin, dieſe Zeiten ſind vorbey, und wenn
mein Maͤdgen gut tanzt: ſo hat ſie mir vielleicht etwas
zu danken, aber doch bin ich mit ihr noch nicht ſo recht zufrie-
den, ihr Auge iſt noch etwas zu ſtarr, und uͤberhaupt zeigt
ihre unſchuldige Mine, daß der Koͤrper mehr als die Seele
tanze. — Die Unterredungen auf den Baͤllen ſind kurz,
der Rittmeiſter ward zum Tanz gefordert, und waͤhrender Zeit
die tanzende Geſellſchaft das Auge durch ihre gleichfoͤrmigen
Schweiffungen ergoͤtzte, wollte die Frau Oberamtmaͤnnin
durch das Urtheil des Herrn Rittmeiſters beſtaͤrkt, ihre vorhin
abgebrochene Rede gegen ihre Nachbarin, die eine wohlha-
bende Paͤchterin war, fortſetzen. Allein dieſe, welche ſich
immittelſt etwes gefaßt hatte, lies ihr nicht die Zeit dazu.

Hoͤren Sie, meine liebe Frau Oberamtmaͤnnin, war ihre
Rede; dieſe Perſon, deren Stellung ihnen ſo ſehr mißfaͤllt,
tanzt freylich nicht zum beſten, ob es gleich gut genug vor-
kommt. Allein ich muß ihnen ſagen, ſie fuͤhret jetzt den gan-
zen Haushalt meines Oheims, der, nachdem er ſeine Frau
fruͤh verlohren und ſeine Kinder verheyrathet hat, mit ihrer

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/95>, abgerufen am 24.11.2024.