Schr. eines Frauenz. vom Lande an die Frau ... etc.
Sie haben Recht, über Langeweile zu klagen, so bald Ihnen Spiel oder Gesellschaft fehlet. Sie haben Recht, Ihren Geschmack, ihre Wahl im Anzuge, ihren süßen Ton, ihren anständigen Gang, ihr herrschendes Auge, ihr gelen- kes Köpfgen, ihre zarten Hände und andere Vorzüge, welche ich recht mit Vergnügen an Ihnen bemerke, selbst zu bewun- dern; und ich gestehe gerne, daß Ihnen ihre Belesenheit, ihre Kenntniß der besten englischen und französischen Schrift- steller, und ihre Einsicht in vielen Dingen einen befugten Ekel vor alles dumme Zeug, wie sie zu sagen pflegen, wir- ken müsse. Allein das Blut, welches Arbeit und Gesund- heit uns Landmädgens in die Wangen treibt, muß uns in ihren erhabenen Augen keine unerträgliche Phosionomien ge- ben. Sie müssen nicht über unsere alten Moden spotten, und sich unsere eiserne Hände in ihre Küche wünschen.
Verzeihen sie mir, daß ich Ihnen die Wahrheit ein bisgen nach unserer Art sage. Wie sie uns das letztemal auf dem Lande besuchten, war Ihre Aufführung würklich ein wenig sehr unhöflich, ich forderte bey Ihrer Ankunft nur eine freundliche Mine von Ihnen: allein Sie waren von ihrer viertelstündigen Reise dermaßen fatigirt und aneantirt, daß ich zufrieden war, wie ihre Blicke es nur beym Zanken be- wenden ließen. Ich lief Ihnen mit offenen Armen entge- gen. Sie spitzten aber Ihren Mund so weit voraus, daß ich nicht das Herz hatte, die Rosenblättergen ein wenig aus ih- ren Falten zu drücken. Meine Mutter führte Sie in unser bestes Zimmer: allein die weißen Wände waren Ihnen un- erträglich, der Armstuhl unbequem, und der unbedeckte Bo- den abscheulich. Es wurde des Abends um 8 Uhr gedeckt, und Sie hatten keinen Hunger; weil Sie nicht gewohnt wa- ren vor 11 Uhr zu essen. Der Geruch unserer besten Talg-
lichter
Mösers patr. Phantas.II.Th. F
Schr. eines Frauenz. vom Lande an die Frau … ꝛc.
Sie haben Recht, uͤber Langeweile zu klagen, ſo bald Ihnen Spiel oder Geſellſchaft fehlet. Sie haben Recht, Ihren Geſchmack, ihre Wahl im Anzuge, ihren ſuͤßen Ton, ihren anſtaͤndigen Gang, ihr herrſchendes Auge, ihr gelen- kes Koͤpfgen, ihre zarten Haͤnde und andere Vorzuͤge, welche ich recht mit Vergnuͤgen an Ihnen bemerke, ſelbſt zu bewun- dern; und ich geſtehe gerne, daß Ihnen ihre Beleſenheit, ihre Kenntniß der beſten engliſchen und franzoͤſiſchen Schrift- ſteller, und ihre Einſicht in vielen Dingen einen befugten Ekel vor alles dumme Zeug, wie ſie zu ſagen pflegen, wir- ken muͤſſe. Allein das Blut, welches Arbeit und Geſund- heit uns Landmaͤdgens in die Wangen treibt, muß uns in ihren erhabenen Augen keine unertraͤgliche Phoſionomien ge- ben. Sie muͤſſen nicht uͤber unſere alten Moden ſpotten, und ſich unſere eiſerne Haͤnde in ihre Kuͤche wuͤnſchen.
Verzeihen ſie mir, daß ich Ihnen die Wahrheit ein bisgen nach unſerer Art ſage. Wie ſie uns das letztemal auf dem Lande beſuchten, war Ihre Auffuͤhrung wuͤrklich ein wenig ſehr unhoͤflich, ich forderte bey Ihrer Ankunft nur eine freundliche Mine von Ihnen: allein Sie waren von ihrer viertelſtuͤndigen Reiſe dermaßen fatigirt und aneantirt, daß ich zufrieden war, wie ihre Blicke es nur beym Zanken be- wenden ließen. Ich lief Ihnen mit offenen Armen entge- gen. Sie ſpitzten aber Ihren Mund ſo weit voraus, daß ich nicht das Herz hatte, die Roſenblaͤttergen ein wenig aus ih- ren Falten zu druͤcken. Meine Mutter fuͤhrte Sie in unſer beſtes Zimmer: allein die weißen Waͤnde waren Ihnen un- ertraͤglich, der Armſtuhl unbequem, und der unbedeckte Bo- den abſcheulich. Es wurde des Abends um 8 Uhr gedeckt, und Sie hatten keinen Hunger; weil Sie nicht gewohnt wa- ren vor 11 Uhr zu eſſen. Der Geruch unſerer beſten Talg-
lichter
Möſers patr. Phantaſ.II.Th. F
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0099"n="81"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Schr. eines Frauenz. vom Lande an die Frau …ꝛc.</hi></fw><lb/><p>Sie haben Recht, uͤber Langeweile zu klagen, ſo bald<lb/>
Ihnen Spiel oder Geſellſchaft fehlet. Sie haben Recht,<lb/>
Ihren Geſchmack, ihre Wahl im Anzuge, ihren ſuͤßen Ton,<lb/>
ihren anſtaͤndigen Gang, ihr herrſchendes Auge, ihr gelen-<lb/>
kes Koͤpfgen, ihre zarten Haͤnde und andere Vorzuͤge, welche<lb/>
ich recht mit Vergnuͤgen an Ihnen bemerke, ſelbſt zu bewun-<lb/>
dern; und ich geſtehe gerne, daß Ihnen ihre Beleſenheit,<lb/>
ihre Kenntniß der beſten engliſchen und franzoͤſiſchen Schrift-<lb/>ſteller, und ihre Einſicht in vielen Dingen einen befugten<lb/>
Ekel vor alles dumme Zeug, wie ſie zu ſagen pflegen, wir-<lb/>
ken muͤſſe. Allein das Blut, welches Arbeit und Geſund-<lb/>
heit uns Landmaͤdgens in die Wangen treibt, muß uns in<lb/>
ihren erhabenen Augen keine unertraͤgliche Phoſionomien ge-<lb/>
ben. Sie muͤſſen nicht uͤber unſere alten Moden ſpotten,<lb/>
und ſich unſere eiſerne Haͤnde in ihre Kuͤche wuͤnſchen.</p><lb/><p>Verzeihen ſie mir, daß ich Ihnen die Wahrheit ein bisgen<lb/>
nach unſerer Art ſage. Wie ſie uns das letztemal auf dem<lb/>
Lande beſuchten, war Ihre Auffuͤhrung wuͤrklich ein wenig<lb/>ſehr unhoͤflich, ich forderte bey Ihrer Ankunft nur eine<lb/>
freundliche Mine von Ihnen: allein Sie waren von ihrer<lb/>
viertelſtuͤndigen Reiſe dermaßen <hirendition="#aq">fatigi</hi>rt und <hirendition="#aq">aneanti</hi>rt, daß<lb/>
ich zufrieden war, wie ihre Blicke es nur beym Zanken be-<lb/>
wenden ließen. Ich lief Ihnen mit offenen Armen entge-<lb/>
gen. Sie ſpitzten aber Ihren Mund ſo weit voraus, daß ich<lb/>
nicht das Herz hatte, die Roſenblaͤttergen ein wenig aus ih-<lb/>
ren Falten zu druͤcken. Meine Mutter fuͤhrte Sie in unſer<lb/>
beſtes Zimmer: allein die weißen Waͤnde waren Ihnen un-<lb/>
ertraͤglich, der Armſtuhl unbequem, und der unbedeckte Bo-<lb/>
den abſcheulich. Es wurde des Abends um 8 Uhr gedeckt,<lb/>
und Sie hatten keinen Hunger; weil Sie nicht gewohnt wa-<lb/>
ren vor 11 Uhr zu eſſen. Der Geruch unſerer beſten Talg-<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Möſers patr. Phantaſ.</hi><hirendition="#aq">II.</hi><hirendition="#fr">Th.</hi> F</fw><fwplace="bottom"type="catch">lichter</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[81/0099]
Schr. eines Frauenz. vom Lande an die Frau … ꝛc.
Sie haben Recht, uͤber Langeweile zu klagen, ſo bald
Ihnen Spiel oder Geſellſchaft fehlet. Sie haben Recht,
Ihren Geſchmack, ihre Wahl im Anzuge, ihren ſuͤßen Ton,
ihren anſtaͤndigen Gang, ihr herrſchendes Auge, ihr gelen-
kes Koͤpfgen, ihre zarten Haͤnde und andere Vorzuͤge, welche
ich recht mit Vergnuͤgen an Ihnen bemerke, ſelbſt zu bewun-
dern; und ich geſtehe gerne, daß Ihnen ihre Beleſenheit,
ihre Kenntniß der beſten engliſchen und franzoͤſiſchen Schrift-
ſteller, und ihre Einſicht in vielen Dingen einen befugten
Ekel vor alles dumme Zeug, wie ſie zu ſagen pflegen, wir-
ken muͤſſe. Allein das Blut, welches Arbeit und Geſund-
heit uns Landmaͤdgens in die Wangen treibt, muß uns in
ihren erhabenen Augen keine unertraͤgliche Phoſionomien ge-
ben. Sie muͤſſen nicht uͤber unſere alten Moden ſpotten,
und ſich unſere eiſerne Haͤnde in ihre Kuͤche wuͤnſchen.
Verzeihen ſie mir, daß ich Ihnen die Wahrheit ein bisgen
nach unſerer Art ſage. Wie ſie uns das letztemal auf dem
Lande beſuchten, war Ihre Auffuͤhrung wuͤrklich ein wenig
ſehr unhoͤflich, ich forderte bey Ihrer Ankunft nur eine
freundliche Mine von Ihnen: allein Sie waren von ihrer
viertelſtuͤndigen Reiſe dermaßen fatigirt und aneantirt, daß
ich zufrieden war, wie ihre Blicke es nur beym Zanken be-
wenden ließen. Ich lief Ihnen mit offenen Armen entge-
gen. Sie ſpitzten aber Ihren Mund ſo weit voraus, daß ich
nicht das Herz hatte, die Roſenblaͤttergen ein wenig aus ih-
ren Falten zu druͤcken. Meine Mutter fuͤhrte Sie in unſer
beſtes Zimmer: allein die weißen Waͤnde waren Ihnen un-
ertraͤglich, der Armſtuhl unbequem, und der unbedeckte Bo-
den abſcheulich. Es wurde des Abends um 8 Uhr gedeckt,
und Sie hatten keinen Hunger; weil Sie nicht gewohnt wa-
ren vor 11 Uhr zu eſſen. Der Geruch unſerer beſten Talg-
lichter
Möſers patr. Phantaſ. II. Th. F
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/99>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.