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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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terland auszog. Der Entschluß, alles was mir theuer
und werth war, in einer so grossen Sache aufzuopfern; die
Arbeit, womit ich jede Thräne erstickte; der hohe Gedanke,
daß meine Liebe einen Helden erschaffen hätte; der Stolz,
womit mich eine so gute That erfüllte; der Schauer, wo-
mit ich mir ihn in der blutigen Schlacht vorstellete; der
Triumph, den ich in dem Kampfe der Angst und der stol-
zen Liebe davon trug; die dankbare Thräne, die bey sei-
nem Ruhme floß; das Feuer, womit ich ihn nach einem
glücklichen Feldzuge in meine Arme schloß; haben mich
glücklicher und grösser gemacht, als alle Sittenlehrer, die
ich je gehöret oder gelesen habe. Nie würde ich so gut von
mir selbst gedacht, nie diesen Grad des edelsten Vergnü-
gens erreichet haben, wenn ich mich blos an den Unter-
richt gehalten, und in meinen Pflichten keine andre Lehre-
rin als die Madame Begumont gehabt hätte.

Ich wollte hieraus gern die Folge ziehn, mein Herr,
daß man um ein Volk groß zu machen, dasselbe nicht aus
einem blossen Vortrage belehren, sondern es in einer gros-
sen Thätigkeit und in einer solchen beständigen Crisis un-
terhalten müste, worinn es immerfort seine Kräfte anspan-
nen, und durch den Gebrauch derselben die Summe des
Guten in der Welt vermehren könnte. Nicht ein Zehntel
der menschlichen Kräfte wird in unserm jetzigen Leyerstande
genutzt. Wir tanzen wie Leute, die nichts dabey empfin-
den, und lieben so süß und sanft, daß wir uns in einer Vier-
telstunde ausgeküßt und ausgeplaudert haben, und uns ein-
ander auf der Ottomane dem Schein nach mit schmachten-
den, in der That aber mit unthätigen Blicken ansehen.

Indessen ist die Leidenschaft der Liebe noch die einzige,
welche uns einigermassen thätig macht, und die Summe
der augenehmen Tugenden vermehren hilft. Sie führet uns

aber
F 4

fuͤr die deutſchen Wochenſchriften.
terland auszog. Der Entſchluß, alles was mir theuer
und werth war, in einer ſo groſſen Sache aufzuopfern; die
Arbeit, womit ich jede Thraͤne erſtickte; der hohe Gedanke,
daß meine Liebe einen Helden erſchaffen haͤtte; der Stolz,
womit mich eine ſo gute That erfuͤllte; der Schauer, wo-
mit ich mir ihn in der blutigen Schlacht vorſtellete; der
Triumph, den ich in dem Kampfe der Angſt und der ſtol-
zen Liebe davon trug; die dankbare Thraͤne, die bey ſei-
nem Ruhme floß; das Feuer, womit ich ihn nach einem
gluͤcklichen Feldzuge in meine Arme ſchloß; haben mich
gluͤcklicher und groͤſſer gemacht, als alle Sittenlehrer, die
ich je gehoͤret oder geleſen habe. Nie wuͤrde ich ſo gut von
mir ſelbſt gedacht, nie dieſen Grad des edelſten Vergnuͤ-
gens erreichet haben, wenn ich mich blos an den Unter-
richt gehalten, und in meinen Pflichten keine andre Lehre-
rin als die Madame Begumont gehabt haͤtte.

Ich wollte hieraus gern die Folge ziehn, mein Herr,
daß man um ein Volk groß zu machen, daſſelbe nicht aus
einem bloſſen Vortrage belehren, ſondern es in einer groſ-
ſen Thaͤtigkeit und in einer ſolchen beſtaͤndigen Criſis un-
terhalten muͤſte, worinn es immerfort ſeine Kraͤfte anſpan-
nen, und durch den Gebrauch derſelben die Summe des
Guten in der Welt vermehren koͤnnte. Nicht ein Zehntel
der menſchlichen Kraͤfte wird in unſerm jetzigen Leyerſtande
genutzt. Wir tanzen wie Leute, die nichts dabey empfin-
den, und lieben ſo ſuͤß und ſanft, daß wir uns in einer Vier-
telſtunde ausgekuͤßt und ausgeplaudert haben, und uns ein-
ander auf der Ottomane dem Schein nach mit ſchmachten-
den, in der That aber mit unthaͤtigen Blicken anſehen.

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welche uns einigermaſſen thaͤtig macht, und die Summe
der augenehmen Tugenden vermehren hilft. Sie fuͤhret uns

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F 4
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[87/0101] fuͤr die deutſchen Wochenſchriften. terland auszog. Der Entſchluß, alles was mir theuer und werth war, in einer ſo groſſen Sache aufzuopfern; die Arbeit, womit ich jede Thraͤne erſtickte; der hohe Gedanke, daß meine Liebe einen Helden erſchaffen haͤtte; der Stolz, womit mich eine ſo gute That erfuͤllte; der Schauer, wo- mit ich mir ihn in der blutigen Schlacht vorſtellete; der Triumph, den ich in dem Kampfe der Angſt und der ſtol- zen Liebe davon trug; die dankbare Thraͤne, die bey ſei- nem Ruhme floß; das Feuer, womit ich ihn nach einem gluͤcklichen Feldzuge in meine Arme ſchloß; haben mich gluͤcklicher und groͤſſer gemacht, als alle Sittenlehrer, die ich je gehoͤret oder geleſen habe. Nie wuͤrde ich ſo gut von mir ſelbſt gedacht, nie dieſen Grad des edelſten Vergnuͤ- gens erreichet haben, wenn ich mich blos an den Unter- richt gehalten, und in meinen Pflichten keine andre Lehre- rin als die Madame Begumont gehabt haͤtte. Ich wollte hieraus gern die Folge ziehn, mein Herr, daß man um ein Volk groß zu machen, daſſelbe nicht aus einem bloſſen Vortrage belehren, ſondern es in einer groſ- ſen Thaͤtigkeit und in einer ſolchen beſtaͤndigen Criſis un- terhalten muͤſte, worinn es immerfort ſeine Kraͤfte anſpan- nen, und durch den Gebrauch derſelben die Summe des Guten in der Welt vermehren koͤnnte. Nicht ein Zehntel der menſchlichen Kraͤfte wird in unſerm jetzigen Leyerſtande genutzt. Wir tanzen wie Leute, die nichts dabey empfin- den, und lieben ſo ſuͤß und ſanft, daß wir uns in einer Vier- telſtunde ausgekuͤßt und ausgeplaudert haben, und uns ein- ander auf der Ottomane dem Schein nach mit ſchmachten- den, in der That aber mit unthaͤtigen Blicken anſehen. Indeſſen iſt die Leidenſchaft der Liebe noch die einzige, welche uns einigermaſſen thaͤtig macht, und die Summe der augenehmen Tugenden vermehren hilft. Sie fuͤhret uns aber F 4

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/101>, abgerufen am 24.11.2024.