Der Fall ist bisweilen, daß die Obermacht nützliche Anstalten in der Absicht macht, um eine besondere Rache zu vergnügen, oder einen Feind zu ihren Nebenabsichten geschmeidig zu machen. So legt oft ein französischer In- tendant dem widerspenstigen Edelmanne die schönste und nützlichste Heerstrasse durch die Küche; und so führte Me- aupon eine bessere Verwaltung der Gerechtigkeit ein, um seine Feinde damit zu stürzen. Auf der andern Seite ist der Fall auch nicht selten, daß die Untermacht im Staat Beschwerden führt, oder sich einer Neuerung widersetzt, nicht mit der Absicht solche gehoben zu sehen, sondern nur um die Obermacht zu nöthigen, ihr Privatvortheile einzu- räumen. Hier bleibt man immer bey den wahren Grün- den, welche die Sache aufklären konnten, gleichgültig; und in jene Nebenabsichten hinein gehen, dem Patrioten die Maske vom Gesichte reissen, oder dem Intendanten die Wahrheit ins Gesicht sagen zu sollen, ist eine unüberlegte Forderung.
In England, worauf Sie mich verwiesen haben, lebt man wie in einem grossen Walde, wo man den Löwen brül- len, den Hengst wiehern, die Krähe krächzen, den Heger schreyen, und den Frosch quacken läßt, und sich an dieser mannigfaltigen Stimme der Natur ergötzt; dabey aber doch nicht mehr erhält als man bezahlen kann. Allein in dem kleinen Gartenzimmer, worin wir Nachbarskinder uns ver- sammlen, ist auch das Gezische einer Heime empfindlich.
Urtheilen Sie also Selbst Ehr- und Tugendsame Po- lyxena, ob es rathsam sey, sich hierauf einzulassen: und ob auch wohl ein kleiner Staat einen Tummelplatz für die Heldentugenden, wofür Sie so grosse Achtung zu haben scheinen, abgeben könne? Wären Sie überdem mit dem edlen Degen Wolf-Dieterich bekannt, und wüsten wie der
beder-
Ein neues Ziel
Der Fall iſt bisweilen, daß die Obermacht nuͤtzliche Anſtalten in der Abſicht macht, um eine beſondere Rache zu vergnuͤgen, oder einen Feind zu ihren Nebenabſichten geſchmeidig zu machen. So legt oft ein franzoͤſiſcher In- tendant dem widerſpenſtigen Edelmanne die ſchoͤnſte und nuͤtzlichſte Heerſtraſſe durch die Kuͤche; und ſo fuͤhrte Me- aupon eine beſſere Verwaltung der Gerechtigkeit ein, um ſeine Feinde damit zu ſtuͤrzen. Auf der andern Seite iſt der Fall auch nicht ſelten, daß die Untermacht im Staat Beſchwerden fuͤhrt, oder ſich einer Neuerung widerſetzt, nicht mit der Abſicht ſolche gehoben zu ſehen, ſondern nur um die Obermacht zu noͤthigen, ihr Privatvortheile einzu- raͤumen. Hier bleibt man immer bey den wahren Gruͤn- den, welche die Sache aufklaͤren konnten, gleichguͤltig; und in jene Nebenabſichten hinein gehen, dem Patrioten die Maske vom Geſichte reiſſen, oder dem Intendanten die Wahrheit ins Geſicht ſagen zu ſollen, iſt eine unuͤberlegte Forderung.
In England, worauf Sie mich verwieſen haben, lebt man wie in einem groſſen Walde, wo man den Loͤwen bruͤl- len, den Hengſt wiehern, die Kraͤhe kraͤchzen, den Heger ſchreyen, und den Froſch quacken laͤßt, und ſich an dieſer mannigfaltigen Stimme der Natur ergoͤtzt; dabey aber doch nicht mehr erhaͤlt als man bezahlen kann. Allein in dem kleinen Gartenzimmer, worin wir Nachbarskinder uns ver- ſammlen, iſt auch das Geziſche einer Heime empfindlich.
Urtheilen Sie alſo Selbſt Ehr- und Tugendſame Po- lyxena, ob es rathſam ſey, ſich hierauf einzulaſſen: und ob auch wohl ein kleiner Staat einen Tummelplatz fuͤr die Heldentugenden, wofuͤr Sie ſo groſſe Achtung zu haben ſcheinen, abgeben koͤnne? Waͤren Sie uͤberdem mit dem edlen Degen Wolf-Dieterich bekannt, und wuͤſten wie der
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Ein neues Ziel
Der Fall iſt bisweilen, daß die Obermacht nuͤtzliche
Anſtalten in der Abſicht macht, um eine beſondere Rache
zu vergnuͤgen, oder einen Feind zu ihren Nebenabſichten
geſchmeidig zu machen. So legt oft ein franzoͤſiſcher In-
tendant dem widerſpenſtigen Edelmanne die ſchoͤnſte und
nuͤtzlichſte Heerſtraſſe durch die Kuͤche; und ſo fuͤhrte Me-
aupon eine beſſere Verwaltung der Gerechtigkeit ein, um
ſeine Feinde damit zu ſtuͤrzen. Auf der andern Seite iſt
der Fall auch nicht ſelten, daß die Untermacht im Staat
Beſchwerden fuͤhrt, oder ſich einer Neuerung widerſetzt,
nicht mit der Abſicht ſolche gehoben zu ſehen, ſondern nur
um die Obermacht zu noͤthigen, ihr Privatvortheile einzu-
raͤumen. Hier bleibt man immer bey den wahren Gruͤn-
den, welche die Sache aufklaͤren konnten, gleichguͤltig;
und in jene Nebenabſichten hinein gehen, dem Patrioten
die Maske vom Geſichte reiſſen, oder dem Intendanten die
Wahrheit ins Geſicht ſagen zu ſollen, iſt eine unuͤberlegte
Forderung.
In England, worauf Sie mich verwieſen haben, lebt
man wie in einem groſſen Walde, wo man den Loͤwen bruͤl-
len, den Hengſt wiehern, die Kraͤhe kraͤchzen, den Heger
ſchreyen, und den Froſch quacken laͤßt, und ſich an dieſer
mannigfaltigen Stimme der Natur ergoͤtzt; dabey aber doch
nicht mehr erhaͤlt als man bezahlen kann. Allein in dem
kleinen Gartenzimmer, worin wir Nachbarskinder uns ver-
ſammlen, iſt auch das Geziſche einer Heime empfindlich.
Urtheilen Sie alſo Selbſt Ehr- und Tugendſame Po-
lyxena, ob es rathſam ſey, ſich hierauf einzulaſſen: und
ob auch wohl ein kleiner Staat einen Tummelplatz fuͤr die
Heldentugenden, wofuͤr Sie ſo groſſe Achtung zu haben
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/108>, abgerufen am 16.02.2025.
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