XXXI. Also sollte jeder Gelehrter ein Hand- werk lernen.
Die Italiäner sprechen mit solchen Geschmack und mit einer so bedächtlichen Mine von der grossen Kunst, Nichts zu thun, und wie nöthig solche besonders jedem mit ganzer Seele arbeitenden Menschen sey, daß ich meine wenige Uebung in derselben mehrmals beklaget habe. Wahr- scheinlich ist es, wo nicht richtig, daß eine beständige An- strengung der Seele, und zwar eine beständige Anstrengung derselben, nach einer gewissen jedem Menschen eigenen Lieb- lingsseite, zuletzt eine Art von üblem Hange nach sich zie- hen müsse; und es ist vielleicht ein Hauptzug in dem Natio- nalcharakter der deutschen Gelehrten, daß sie durch ihre grosse Unerfahrenheit in der Kunst nichts zu thun, und durch die immer gleiche Spannung ihrer Seele nach einer bestimmten Seite, zuletzt ganz einseitig, oder welches ei- nerley ist, Pedanten werden. Man sieht es ihnen eben so gut an, daß sie Gelehrte sind, wie man es einem Hand- werker ansieht, daß er lange mit untergeschlagenen Beinen auf dem Tische gesessen habe. Sie zeigen sich links oder rechts, nachdem der Hang ihrer Seele auf diese oder jene Seite gewöhnt ist. Gleichwohl sollte die wahre Gesundheit der Seele und des Körpers darinn bestehen, daß ihre bey- derseitigen Kräfte ein gewisses Ebenmaaß, und zu allem in den ordentlichen Beruf eines jeden Menschen einschlagenden Geschäften, eine gleich vollkommene Fähigkeit behielten.
Ein Philosoph, mit welchem ich mich einsmals hier- über unterredete, wandte mir zwar ein, daß eben dieser dem Anschein nach fehlerhafte Hang nothwendig zu einem
grossen
Alſo ſollte jeder Gelehrter
XXXI. Alſo ſollte jeder Gelehrter ein Hand- werk lernen.
Die Italiaͤner ſprechen mit ſolchen Geſchmack und mit einer ſo bedaͤchtlichen Mine von der groſſen Kunſt, Nichts zu thun, und wie noͤthig ſolche beſonders jedem mit ganzer Seele arbeitenden Menſchen ſey, daß ich meine wenige Uebung in derſelben mehrmals beklaget habe. Wahr- ſcheinlich iſt es, wo nicht richtig, daß eine beſtaͤndige An- ſtrengung der Seele, und zwar eine beſtaͤndige Anſtrengung derſelben, nach einer gewiſſen jedem Menſchen eigenen Lieb- lingsſeite, zuletzt eine Art von uͤblem Hange nach ſich zie- hen muͤſſe; und es iſt vielleicht ein Hauptzug in dem Natio- nalcharakter der deutſchen Gelehrten, daß ſie durch ihre groſſe Unerfahrenheit in der Kunſt nichts zu thun, und durch die immer gleiche Spannung ihrer Seele nach einer beſtimmten Seite, zuletzt ganz einſeitig, oder welches ei- nerley iſt, Pedanten werden. Man ſieht es ihnen eben ſo gut an, daß ſie Gelehrte ſind, wie man es einem Hand- werker anſieht, daß er lange mit untergeſchlagenen Beinen auf dem Tiſche geſeſſen habe. Sie zeigen ſich links oder rechts, nachdem der Hang ihrer Seele auf dieſe oder jene Seite gewoͤhnt iſt. Gleichwohl ſollte die wahre Geſundheit der Seele und des Koͤrpers darinn beſtehen, daß ihre bey- derſeitigen Kraͤfte ein gewiſſes Ebenmaaß, und zu allem in den ordentlichen Beruf eines jeden Menſchen einſchlagenden Geſchaͤften, eine gleich vollkommene Faͤhigkeit behielten.
Ein Philoſoph, mit welchem ich mich einsmals hier- uͤber unterredete, wandte mir zwar ein, daß eben dieſer dem Anſchein nach fehlerhafte Hang nothwendig zu einem
groſſen
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Alſo ſollte jeder Gelehrter
XXXI.
Alſo ſollte jeder Gelehrter ein Hand-
werk lernen.
Die Italiaͤner ſprechen mit ſolchen Geſchmack und mit
einer ſo bedaͤchtlichen Mine von der groſſen Kunſt,
Nichts zu thun, und wie noͤthig ſolche beſonders jedem
mit ganzer Seele arbeitenden Menſchen ſey, daß ich meine
wenige Uebung in derſelben mehrmals beklaget habe. Wahr-
ſcheinlich iſt es, wo nicht richtig, daß eine beſtaͤndige An-
ſtrengung der Seele, und zwar eine beſtaͤndige Anſtrengung
derſelben, nach einer gewiſſen jedem Menſchen eigenen Lieb-
lingsſeite, zuletzt eine Art von uͤblem Hange nach ſich zie-
hen muͤſſe; und es iſt vielleicht ein Hauptzug in dem Natio-
nalcharakter der deutſchen Gelehrten, daß ſie durch ihre
groſſe Unerfahrenheit in der Kunſt nichts zu thun, und
durch die immer gleiche Spannung ihrer Seele nach einer
beſtimmten Seite, zuletzt ganz einſeitig, oder welches ei-
nerley iſt, Pedanten werden. Man ſieht es ihnen eben ſo
gut an, daß ſie Gelehrte ſind, wie man es einem Hand-
werker anſieht, daß er lange mit untergeſchlagenen Beinen
auf dem Tiſche geſeſſen habe. Sie zeigen ſich links oder
rechts, nachdem der Hang ihrer Seele auf dieſe oder jene
Seite gewoͤhnt iſt. Gleichwohl ſollte die wahre Geſundheit
der Seele und des Koͤrpers darinn beſtehen, daß ihre bey-
derſeitigen Kraͤfte ein gewiſſes Ebenmaaß, und zu allem in
den ordentlichen Beruf eines jeden Menſchen einſchlagenden
Geſchaͤften, eine gleich vollkommene Faͤhigkeit behielten.
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Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/144>, abgerufen am 21.11.2024.
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