Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Klage eines Leibzüchters.

Ach! sagte der gute Alte, das geht nicht an; denn
ich bin Leibeigen; ich habe es schon versucht, und wollte
auf die adelichen Gründe des Hauses ... ziehen. Aber
der gnädige Herr sagte, er wolle nicht, daß ein fremder
Gutsherr den Sterbefall aus seinen Häusern holen sollte;
und er gestattete ihm auch dahin keine unmittelbare Folge.
Ich gieng hierauf zu einem benachbarten Leibeigenen, aber
der entschuldigte sich eben auch damit, wie sein Gutsherr
es übel nehmen würde, wenn er Leute, die einem fremden
Sterbfalle unterworfen wären, auf seine Gründe nehmen,
und sein Erbe dadurch in Verdacht setzen wollte.

Ein freyer Mann, zu dem ich mich in gleicher Absicht
wandte, machte mir nicht allein fast eine gleiche Entschul-
digung, sondern setzte auch ganz trocken hinzu, daß er keine
Leibeigene aufnehme, weil er, wenn sie stürben, für die
Heuergelder kein stillschweigendes Unterpfand an Sachen
haben würde, die zum Sterbefalle gehörten. Endlich er-
barmte sich doch noch ein armer Kötter über mich und mei-
ner seligen Frau, die ihn noch etwas verwandt war, und
überließ uns sein Backhäusgen. O wie froh, wie ruhig
war ich hier; allein wie lange! Meine selige Frau starb,
und nun kam auf einer Seite der Gutsherr, und auf der
andern der Beamte; um mir beyde die Hälfte von allem
dem Meinigen zu nehmen. Was sagte der Gutsherr zum
Beamten, gedenkt er meine Leibeigne Magd als Biesterfrey
zu behandeln? und wie, antwortete der Beamte dem Guts-
herrn, geht der Gutsherrliche Schutz auch ausser der Wehr?
Hierüber entstand ein Proceß, welchen der Gutsherr ver-
lohr, und nun sieht mich jeder als einen Unglücksvogel an,
dem keiner eine Wohnung verheuren will. Der Beamte
sagte ganz eifrig zu mir, es sind hundert freye Kotten durch
die Nachläßigkeit meiner Vorfahren verlohren gegangen,

weil
Die Klage eines Leibzuͤchters.

Ach! ſagte der gute Alte, das geht nicht an; denn
ich bin Leibeigen; ich habe es ſchon verſucht, und wollte
auf die adelichen Gruͤnde des Hauſes … ziehen. Aber
der gnaͤdige Herr ſagte, er wolle nicht, daß ein fremder
Gutsherr den Sterbefall aus ſeinen Haͤuſern holen ſollte;
und er geſtattete ihm auch dahin keine unmittelbare Folge.
Ich gieng hierauf zu einem benachbarten Leibeigenen, aber
der entſchuldigte ſich eben auch damit, wie ſein Gutsherr
es uͤbel nehmen wuͤrde, wenn er Leute, die einem fremden
Sterbfalle unterworfen waͤren, auf ſeine Gruͤnde nehmen,
und ſein Erbe dadurch in Verdacht ſetzen wollte.

Ein freyer Mann, zu dem ich mich in gleicher Abſicht
wandte, machte mir nicht allein faſt eine gleiche Entſchul-
digung, ſondern ſetzte auch ganz trocken hinzu, daß er keine
Leibeigene aufnehme, weil er, wenn ſie ſtuͤrben, fuͤr die
Heuergelder kein ſtillſchweigendes Unterpfand an Sachen
haben wuͤrde, die zum Sterbefalle gehoͤrten. Endlich er-
barmte ſich doch noch ein armer Koͤtter uͤber mich und mei-
ner ſeligen Frau, die ihn noch etwas verwandt war, und
uͤberließ uns ſein Backhaͤusgen. O wie froh, wie ruhig
war ich hier; allein wie lange! Meine ſelige Frau ſtarb,
und nun kam auf einer Seite der Gutsherr, und auf der
andern der Beamte; um mir beyde die Haͤlfte von allem
dem Meinigen zu nehmen. Was ſagte der Gutsherr zum
Beamten, gedenkt er meine Leibeigne Magd als Bieſterfrey
zu behandeln? und wie, antwortete der Beamte dem Guts-
herrn, geht der Gutsherrliche Schutz auch auſſer der Wehr?
Hieruͤber entſtand ein Proceß, welchen der Gutsherr ver-
lohr, und nun ſieht mich jeder als einen Ungluͤcksvogel an,
dem keiner eine Wohnung verheuren will. Der Beamte
ſagte ganz eifrig zu mir, es ſind hundert freye Kotten durch
die Nachlaͤßigkeit meiner Vorfahren verlohren gegangen,

weil
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0162" n="148"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Die Klage eines Leibzu&#x0364;chters.</hi> </fw><lb/>
        <p>Ach! &#x017F;agte der gute Alte, das geht nicht an; denn<lb/>
ich bin Leibeigen; ich habe es &#x017F;chon ver&#x017F;ucht, und wollte<lb/>
auf die adelichen Gru&#x0364;nde des Hau&#x017F;es &#x2026; ziehen. Aber<lb/>
der gna&#x0364;dige Herr &#x017F;agte, er wolle nicht, daß ein fremder<lb/>
Gutsherr den Sterbefall aus &#x017F;einen Ha&#x0364;u&#x017F;ern holen &#x017F;ollte;<lb/>
und er ge&#x017F;tattete ihm auch dahin keine unmittelbare Folge.<lb/>
Ich gieng hierauf zu einem benachbarten Leibeigenen, aber<lb/>
der ent&#x017F;chuldigte &#x017F;ich eben auch damit, wie &#x017F;ein Gutsherr<lb/>
es u&#x0364;bel nehmen wu&#x0364;rde, wenn er Leute, die einem fremden<lb/>
Sterbfalle unterworfen wa&#x0364;ren, auf &#x017F;eine Gru&#x0364;nde nehmen,<lb/>
und &#x017F;ein Erbe dadurch in Verdacht &#x017F;etzen wollte.</p><lb/>
        <p>Ein freyer Mann, zu dem ich mich in gleicher Ab&#x017F;icht<lb/>
wandte, machte mir nicht allein fa&#x017F;t eine gleiche Ent&#x017F;chul-<lb/>
digung, &#x017F;ondern &#x017F;etzte auch ganz trocken hinzu, daß er keine<lb/>
Leibeigene aufnehme, weil er, wenn &#x017F;ie &#x017F;tu&#x0364;rben, fu&#x0364;r die<lb/>
Heuergelder kein &#x017F;till&#x017F;chweigendes Unterpfand an Sachen<lb/>
haben wu&#x0364;rde, die zum Sterbefalle geho&#x0364;rten. Endlich er-<lb/>
barmte &#x017F;ich doch noch ein armer Ko&#x0364;tter u&#x0364;ber mich und mei-<lb/>
ner &#x017F;eligen Frau, die ihn noch etwas verwandt war, und<lb/>
u&#x0364;berließ uns &#x017F;ein Backha&#x0364;usgen. O wie froh, wie ruhig<lb/>
war ich hier; allein wie lange! Meine &#x017F;elige Frau &#x017F;tarb,<lb/>
und nun kam auf einer Seite der Gutsherr, und auf der<lb/>
andern der Beamte; um mir beyde die Ha&#x0364;lfte von allem<lb/>
dem Meinigen zu nehmen. Was &#x017F;agte der Gutsherr zum<lb/>
Beamten, gedenkt er meine Leibeigne Magd als Bie&#x017F;terfrey<lb/>
zu behandeln? und wie, antwortete der Beamte dem Guts-<lb/>
herrn, geht der Gutsherrliche Schutz auch au&#x017F;&#x017F;er der Wehr?<lb/>
Hieru&#x0364;ber ent&#x017F;tand ein Proceß, welchen der Gutsherr ver-<lb/>
lohr, und nun &#x017F;ieht mich jeder als einen Unglu&#x0364;cksvogel an,<lb/>
dem keiner eine Wohnung verheuren will. Der Beamte<lb/>
&#x017F;agte ganz eifrig zu mir, es &#x017F;ind hundert freye Kotten durch<lb/>
die Nachla&#x0364;ßigkeit meiner Vorfahren verlohren gegangen,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">weil</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0162] Die Klage eines Leibzuͤchters. Ach! ſagte der gute Alte, das geht nicht an; denn ich bin Leibeigen; ich habe es ſchon verſucht, und wollte auf die adelichen Gruͤnde des Hauſes … ziehen. Aber der gnaͤdige Herr ſagte, er wolle nicht, daß ein fremder Gutsherr den Sterbefall aus ſeinen Haͤuſern holen ſollte; und er geſtattete ihm auch dahin keine unmittelbare Folge. Ich gieng hierauf zu einem benachbarten Leibeigenen, aber der entſchuldigte ſich eben auch damit, wie ſein Gutsherr es uͤbel nehmen wuͤrde, wenn er Leute, die einem fremden Sterbfalle unterworfen waͤren, auf ſeine Gruͤnde nehmen, und ſein Erbe dadurch in Verdacht ſetzen wollte. Ein freyer Mann, zu dem ich mich in gleicher Abſicht wandte, machte mir nicht allein faſt eine gleiche Entſchul- digung, ſondern ſetzte auch ganz trocken hinzu, daß er keine Leibeigene aufnehme, weil er, wenn ſie ſtuͤrben, fuͤr die Heuergelder kein ſtillſchweigendes Unterpfand an Sachen haben wuͤrde, die zum Sterbefalle gehoͤrten. Endlich er- barmte ſich doch noch ein armer Koͤtter uͤber mich und mei- ner ſeligen Frau, die ihn noch etwas verwandt war, und uͤberließ uns ſein Backhaͤusgen. O wie froh, wie ruhig war ich hier; allein wie lange! Meine ſelige Frau ſtarb, und nun kam auf einer Seite der Gutsherr, und auf der andern der Beamte; um mir beyde die Haͤlfte von allem dem Meinigen zu nehmen. Was ſagte der Gutsherr zum Beamten, gedenkt er meine Leibeigne Magd als Bieſterfrey zu behandeln? und wie, antwortete der Beamte dem Guts- herrn, geht der Gutsherrliche Schutz auch auſſer der Wehr? Hieruͤber entſtand ein Proceß, welchen der Gutsherr ver- lohr, und nun ſieht mich jeder als einen Ungluͤcksvogel an, dem keiner eine Wohnung verheuren will. Der Beamte ſagte ganz eifrig zu mir, es ſind hundert freye Kotten durch die Nachlaͤßigkeit meiner Vorfahren verlohren gegangen, weil

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/162
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/162>, abgerufen am 21.11.2024.